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Klaus Ernst: Mitbestimmungsdumping schadet der europäischen Idee

Rede von Klaus Ernst,

Rede von Klaus Ernst zur zweiten und dritten Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der Regelungen über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer bei einer Verschmelzung von Kapitalgesellschaften aus verschiedenen Mitgliedstaaten.

 

Mitbestimmung ist als elementarer Baustein unserer Demokratie und Wirtschaft das Erfolgsmodell im Rahmen der Globalisierung.

Klaus Ernst (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren!

Die Mitbestimmung ist ein elementarer Baustein unserer Demokratie und der Wirtschaft. Ich möchte aber hier auf einen kleinen Etikettenschwindel, den wir auch beim Kündigungsschutz haben, aufmerksam machen. Jeder, der von Mitbestimmung ein wenig versteht, weiß, dass es sich dabei nicht um eine echte Mitbestimmung im Sinne von Parität handelt. Jeder, der wirklich etwas davon versteht, weiß vielmehr, dass der Vorsitzende nach dem Mitbestimmungsrecht immer von der Arbeitgeberseite kommt, damit ein Zweitstimmrecht hat und die Arbeitnehmerseite, selbst wenn sie sich einig wäre, obwohl ein leitender Angestellter dazugehört, immer überstimmen kann. Es gibt also keine Mitbestimmung, sondern nur ein Informationsrecht. Es ist dringend notwendig, dass ein solches Recht eingeräumt wird. Eigentlich wäre es noch viel notwendiger, für echte Mitbestimmung zu sorgen, indem man eine echte Parität schafft.

Die Gegner der Mitbestimmung sollten sich überlegen, ob nicht die Abschaffung oder das Schleifen des Mitredens im Betrieb, selbst wenn es heute keinen echten Einfluss garantiert, zu einer Situation führt, in der sich nur der Herr im Hause mit seinem Standpunkt durchsetzt. Wäre es tatsächlich modern, wenn der Eigentümer eines Betriebs oder seine Vertreter sagen könnten, wo es langgeht, ohne dass die Arbeitnehmer Einfluss haben und sich wehren können?

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner: Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Kolb?

Klaus Ernst (DIE LINKE): Sehr gerne.

Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Herr Kollege Ernst, Sie stellen die Parität infrage und bezweifeln, dass sie eine echte Mitbestimmung gewährleistet. Können Sie mir erklären, welchen Unterschied es dann macht, ob es eine Drittelparität und eine Vollparität gibt?

Klaus Ernst (DIE LINKE):
Das erkläre ich Ihnen gerne. Wenn mehr Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat sitzen - die Mitbestimmung im Aufsichtsrat gewährleistet eine formale, nicht aber eine echte Parität -, können natürlich auch mehr Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat mitentscheiden.

(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Aber die haben doch auch nichts zu sagen!)

- Wenn Sie eine Antwort von mir wollen, müssen Sie zuhören. -
Damit wird vermieden, dass sich Politik in kleinen Zirkeln abspielt, wie es bei den Arbeitgebern in der Regel der Fall ist. Wenn wir die Mitbestimmung an dieser Stelle ausweiteten, würden wir den Arbeitnehmern im Aufsichtsrat, insbesondere wenn es um den Abbau von Arbeitsplätzen geht, mehr Möglichkeiten geben. Dann würden Vorgänge wie jene bei BenQ und bei anderen Unternehmen in dieser Republik nicht derart negative Folgen haben. Wenn die Arbeitnehmer im Aufsichtsrat die Möglichkeit zur echten Mitbestimmung hätten, würden sie kaum wie die Kapitaleigner für eine Verlagerung der Arbeitsplätze ins Ausland stimmen, um mehr Rendite einzufahren.

(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: BenQ ist am Ende in die Insolvenz gegangen!) -

BenQ ist in Insolvenz gegangen, weil zum Beispiel die Mitbestimmung der Arbeitnehmer bei Siemens nicht ausreichte, um so etwas zu verhindern.

(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Das ist eine gewagte These!)

Ich verstehe Ihre Frage so, dass Sie mit mir dafür kämpfen wollen, dass sich etwas ändert. Das können wir machen.

Wie beim Kündigungsschutz stellen sich bei der Mitbestimmung die Verhältnisse anders dar, als der Titel des Gesetzentwurfs vermuten lässt. Bereits in erster Lesung haben wir daran erinnert, dass der hohe Anteil ausländischer Konzerne, die in Deutschland tätig sind und dem Mitbestimmungsrecht unterliegen, dafür spricht, dass das deutsche Modell der Mitbestimmung, wie es sich momentan darstellt, erfolgreich ist.
Von den 767 Unternehmen, die dem deutschen Mitbestimmungsgesetz unterliegen, gehören rund 30 Prozent zu ausländischen Konzernen. Nach einem Gutachten von Professor Kempen zeigen zudem aktuelle Untersuchungen, dass Deutschland aus Investorensicht der attraktivste Investitionsstandort in Europa ist, weltweit rangiert er an dritter Stelle, nach den USA und China.

Wir haben also nicht das Problem, dass wir uns zurückhalten müssen. Die Linke begrüßt die Zielsetzung des Gesetzentwurfs, die Interessenvertretung der Beschäftigten auch im Verschmelzungsfall sicherzustellen. Zur vollständigen Einlösung dieses Anspruchs sollten einige Regelungen noch präziser gefasst werden. Insbesondere ist die Festlegung notwendig, dass dem nach einer Verschmelzung fortbestehenden Gesamtbetriebsrat ein autorisierter Gesprächs- und Verhandlungspartner gegenübersteht. Geschieht dies nämlich nicht, läuft die im Gesetzentwurf vorgesehene Bewahrung der Arbeitnehmervertretung unter Umständen darauf hinaus, dass zwar die Arbeitnehmervertretung fortbesteht, aber auf der Unternehmerseite kein Verhandlungspartner existiert. Daher sollte das Gesetz sicherstellen, dass auch die Leitung eines europäischen Unternehmens den rechtlichen Verpflichtungen eines Arbeitgebers aus der deutschen Gesetzgebung nachkommt. Dies hat der Gutachter Hawreliuk in der Anhörung vorgeschlagen.

Die Bundesregierung ist nicht nur gefordert, die Mitbestimmung auf europäische Unternehmen auszuweiten, sondern auch, das deutsche Mitbestimmungsrecht europafest zu machen. Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Derzeit ist es deutschen Unternehmen möglich, eine GmbH & Co KG in eine britische Limited umzuwandeln und damit das deutsche Mitbestimmungsrecht zu umgehen.

Ein solches Mitbestimmungsdumping schadet der europäischen Idee und den betroffenen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern; es sollte unverzüglich durch den Gesetzgeber abgestellt werden.

Wir müssen nicht nur Mitbestimmungslücken schließen, sondern auch dafür Sorge tragen, dass zukünftig die durch Beschäftigungsabbau und Unternehmensverlagerung entstehenden Risiken für die Beschäftigten stärker als bisher zum Gegenstand der Mitbestimmung werden. Die zunehmende Finanzmarktorientierung von Unternehmen bringt es mit sich, dass dem Ziel einer hohen Eigenkapitalrendite gute Arbeitsbedingungen und die Arbeitsplatzsicherheit geopfert werden. Ein Beispiel für diese Politik habe ich Ihnen gerade gegeben. Aus Sicht der Beschäftigten kann die Antwort auf diese Entwicklung nur in einem Ausbau der Mitbestimmung bei Standort- und Investitionsentscheidungen liegen.

Unser Fazit ist: Mitbestimmung ist gut für Beschäftigte und Unternehmen. Damit das so bleibt, muss die Mitbestimmung weiterentwickelt werden. Dafür wird die Linke gemeinsam mit den Gewerkschaften konkrete Vorschläge entwickeln.

Ich danke Ihnen fürs Zuhören.
(Beifall bei der LINKEN)