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Klassenjustiz abschaffen!

Rede von Clara Bünger,

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Minister Buschmann! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Um einen Staat zu beurteilen, muß man sich seine Gefängnisse von innen ansehen.“ Dieser Satz von Tolstoi ist auch heute noch zutreffend. Blicken wir in unsere Gefängnisse, sehen wir dort – wie in ganz Deutschland – sehr viel Armut. Und wenn man sich fragt, warum arme Menschen im Gefängnis sitzen, muss man feststellen, dass sie da sitzen, weil sie arm sind. Herr Fechner hat es erwähnt: 95 Prozent aller Personen, die eine Ersatzfreiheitsstrafe erhalten, verdienen weniger als 1 000 Euro im Monat.

Warum sitzen so viele arme Menschen im Gefängnis? Ich wollte mir davon ein eigenes Bild machen und war letzten Monat in der JVA in Dresden. Dort sitzen alleine über 80 Menschen wegen einer Ersatzfreiheitsstrafe ein, also einer Geldstrafe, die sie nicht bezahlen konnten; elf von ihnen saßen ein, weil sie sich keinen Fahrschein leisten konnten.

(Axel Müller [CDU/CSU]: Aber nur elf!)

Dass Sie, Herr Buschmann, jetzt die Ersatzfreiheitsstrafe anpacken wollen, ist gut; aber mit Ihrer Reform werden Sie keines der existierenden Probleme lösen.

(Beifall bei der LINKEN)

– Genau!

In Ihrem Gesetzentwurf schreiben Sie doch selber, dass eine Ersatzfreiheitsstrafe keine resozialisierende Wirkung hat. Was soll dann eine Halbierung der Hafttage bringen? Nichts. Haben Sie sich denn mal mit der Realität der betroffenen Menschen auseinandergesetzt? Aus meiner Sicht, nicht. Die spendenbasierte Initiative Freiheitsfonds hat heute eine gehörlose Person aus Baden-Württemberg aus dem Gefängnis freigekauft, die ohne Ticket Bus gefahren ist. Die Beamten konnten sich nicht mit ihr verständigen, da das Gefängnissystem nicht auf Gehörlose vorbereitet ist. Das Gefängnis hat sich danach bei der Initiative bedankt. Der Freiheitsfonds bekommt regelmäßig Briefe von Gefängnisdirektoren, die dafür dankbar sind, dass sie Menschen aus dem Gefängnis freikaufen. Und auch ich freue mich, dass sie heute diese Person und 74 weitere Menschen freigekauft haben.

(Axel Müller [CDU/CSU]: Freigekauft!)

Aus meiner Sicht ist es aber ein unerträglicher Zustand, dass es dieser Initiative überhaupt bedarf.

(Beifall bei der LINKEN)

Aber lassen Sie uns auf die Kosten für die Steuerzahler schauen; vielleicht ist das ja ein Punkt, der Sie überzeugt. Über die Hälfte aller Menschen, die jährlich in den Knast gehen, sind dort wegen der Ersatzfreiheitsstrafe. Pro Hafttag fallen durchschnittlich 150 Euro an. Bei 56 000 Betroffenen jährlich reden wir von Hunderten Millionen Euro. Hunderte Millionen Euro, mit denen man so viel Sinnvolleres machen könnte und die man tatsächlich in Angebote und Hilfestellungen investieren könnte.

(Beifall bei der LINKEN)

Statt der vorgelegten Reform fordern wir die Abschaffung der Ersatzfreiheitsstrafe und auch die Abschaffung von § 265a StGB. Wir begrüßen es, dass Herr Fechner da Gesprächsbereitschaft signalisiert hat, und freuen uns auf einen konstruktiven Austausch. Machen Sie keine halben Sachen, Herr Buschmann, und entkriminalisieren Sie die Bagatelldelikte!

(Beifall bei der LINKEN)