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Kitaplätze statt Taschengeld für Eltern – Das Betreuungsgeld muss weg!

Rede von Diana Golze,

Vielen Dank. - Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Es wäre schön, wenn wir - -

(Anhaltende Unruhe - Glocke des Präsidenten)

- Oh, das habe ich auch noch nicht erlebt; eine Premiere. - Man könnte, passend zur Jahreszeit, sagen: Alle Jahre wieder geht es um das Thema Betreuungsgeld. Aber es ist ja doch einiges anders. Es gibt eine andere Regierungskoalition, und es gibt eine andere Ministerin, die ich auf der Regierungsbank leider vermisse. Aber Caren Marks ist da, also eine Kollegin, die sich mit diesem Thema auskennt.

Auch wenn die Ministerin selber nicht dazu Stellung nehmen kann, will ich für alle Anwesenden ein Zitat aus einer Pressemitteilung vom 10. September dieses Jahres anführen, in der sie erklärt hat:

Das Betreuungsgeld ist grundsätzlich falsch und richtet in seiner fehlerhaften Ausgestaltung viel Schaden an.

(Beifall bei der LINKEN)

Diese Auffassung teile ich uneingeschränkt. Ich kann mir vorstellen, dass es für eine frischgebackene Bundesministerin ein schöneres Thema für ihre erste Debatte gegeben hätte. Vielleicht hat das zu ihrer Entscheidung beigetragen, dass sie heute nicht hier sein kann.

Frau Schwesig hat während der Koalitionsverhandlungen gesagt, sie sei nicht zum Kuscheln da. Dabei hätte ich sie gerne beim Wort genommen. Ich möchte ihr nicht absprechen, dass in der Arbeitsgruppe Familie in den Koalitionsverhandlungen hart verhandelt worden ist; aber auch die Opposition, auch wir sind nicht zum Kuscheln da. Deshalb frage ich mich schon: Womit hat sich die Ministerin, womit hat sich die SPD die Abkehr von ihrer strikten Ablehnung des Betreuungsgeldes abpressen lassen?

(Beifall bei der LINKEN)

Die Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare ‑ dieses Thema hatten wir gerade ‑ kann es anscheinend nicht sein; denn das wird von der Koalition abgelehnt. War es die sogenannte Mütterrente, also die Besserstellung von Frauen, die vor 1992 ein Kind bekommen haben? Auch die wird es nur halb geben: Es wird nur 1 Rentenpunkt geben. Die Mütterrente hatte die CDU/CSU-Fraktion ihrer Frauenunion bereits in der letzten Legislaturperiode versprochen. Das kann es also auch nicht gewesen sein. War es die Angleichung der Bezahlung von Frauen und Männern? Auch da finden sich im Koalitionsvertrag nur sehr schwammige Formulierungen. Das kann es also auch nicht gewesen sein. Oder hat der ‑ sicher hart erkämpfte ‑ Prüfauftrag im Koalitionsvertrag, ob man als Bund vielleicht doch ein bisschen mehr Geld für den Kitaausbau zur Verfügung stellt, etwas damit zu tun, dass die SPD diese Kehrtwende vollzogen hat? Ich kann es mir nicht vorstellen. Ich weiß, wie dick die Bretter sind, die man in Verhandlungen mit der Union zu bohren hat, wenn es darum geht, mehr Geld für den Kitaausbau zu bekommen. Aber ein bloßer Prüfauftrag als Gegenleistung für den Verzicht auf eine Abschaffung des Betreuungsgeldes? Na, ich weiß nicht.

Nicht nur meine Fraktion, auch die Grünen und eben auch die SPD haben in diesem Saal mehrfach betont, dass, um wirkliche Wahlfreiheit herzustellen, die Milliarden, die in das Betreuungsgeld fließen, in den Kitaausbau fließen müssten. Nun fließen sie weiter als Betreuungsgeld. In dieser Hinsicht steht im Koalitionsvertrag nichts von prüfen, es wird nicht einmal erwähnt. Dabei war es doch die SPD, die sogar ein Rechtsgutachten vorgelegt hat, in dem die Verfassungsmäßigkeit des Betreuungsgeldgesetzes infrage gestellt wurde. Nun wird das Betreuungsgeld kommentarlos beibehalten. Nein, Frau Schwesig, nein, liebe Kolleginnen und Kollegen der SPD, bei allem Wissen um die Härte von Koalitionsverhandlungen und bei größtem Verständnis dafür, dass so unterschiedliche Partner Kompromisse eingehen müssen: Das Verhandlungsergebnis in Sachen Betreuungsgeld ist kein Kompromiss, sondern eine Kapitulationserklärung.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Die Tatsache, dass das Betreuungsgeld trotz klarer Positionierung des Bundesrates ‑ an welcher sicherlich auch Frau Schwesig mitgewirkt haben dürfte ‑ kommentarlos erhalten bleibt, ist nicht erklärbar.

Wir wissen: Dieses Betreuungsgeld ist gleichstellungspolitisch ein Katastrophenprogramm. Alle Erfahrungen in den Ländern, in denen es so etwas gegeben hat - und wo es in der Zwischenzeit übrigens wieder abgeschafft wurde -, zeigen: Ein Betreuungsgeld verhindert in erster Linie die Erwerbstätigkeit von Frauen. Das ist ein billiger Ersatz für hochwertige frühkindliche Bildung. Darum bleibt meine Fraktion, darum bleibe ich dabei: Nur dort, wo es ein ausreichendes Angebot an Kindertagesbetreuungsplätzen gibt, kann man von wirklicher Wahlfreiheit reden.

(Beifall bei der LINKEN)

Dort, wo die Eltern aufgrund fehlender Kitaplätze keine echte Wahlfreiheit haben, wird das Betreuungsgeld zum Notanker. Das zeigen die Zahlen: In den Bundesländern, in denen es eine gute Infrastruktur für Kindertagesbetreuung gibt, wird das Betreuungsgeld kaum nachgefragt. Ein Beispiel dafür ist Brandenburg: 624 Anträgen auf Betreuungsgeld stehen 30 960 Kinder unter drei Jahren, die in öffentlichen Einrichtungen betreut werden, gegenüber. Das heißt, dort, wo Betreuungsplätze vorhanden sind, wird das Betreuungsgeld nicht nachgefragt. Im Umkehrschluss heißt das: Wir müssen Betreuungsplätze schaffen, bevor wir uns überlegen, ob wir uns ein Taschengeld leisten können.

(Beifall bei der LINKEN)

Werte Kolleginnen und Kollegen, ich darf daran erinnern: In den Wahlprogrammen von SPD, Grünen und Linken gab es bei diesem Thema eine große Übereinstimmung. Nach der Wahl des neuen Bundestages wäre Zeit gewesen, um diese Mehrheit hier im Parlament dazu zu nutzen, um diesen Gesetzentwurf zu beschließen. Wir haben ihn frühzeitig eingebracht. Es waren die jetzigen Koalitionäre, die Sitzungswochen auf einzelne Sondersitzungstage eingedampft haben, die keine wirkliche Befassung des Parlamentes mit diesen Vorlagen erlaubt haben. Deshalb kann dieser Gesetzentwurf erst jetzt behandelt werden.

Ich fordere die Kolleginnen und Kollegen, die dieses Betreuungsgeld immer abgelehnt haben, auf, das zu tun, was sie vor der Wahl versprochen haben: Schaffen Sie es ab!

Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)