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Kitaplätze statt Betreuungsgeld

Rede von Diana Golze,

Diana Golze (DIE LINKE):
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen!

Ich gebe jeder Politikerin und jedem Politiker recht, wenn sie oder er sagt, dass mit dem heute vorliegenden Gesetzesvorhaben zur Errichtung eines Sondervermögens „Kinderbetreuungsausbau“ ein wichtiger Schritt gemacht wird. Es ist gut, dass in den letzten Monaten Dynamik in diese Debatte gekommen ist. Es ist auch gut, dass es hier zu einem Prozess des Umdenkens der politisch Handelnden gekommen ist: weg von der Stigmatisierung der Kindertagesbetreuung und hin zu einer gesellschaftlichen Akzeptanz von Kindertagesstätten. Diese Leistung muss man Ihnen, Frau von der Leyen, unumwunden zugestehen.

(Nicolette Kressl (SPD): Bei den Sozialdemokraten war da keine Kehrtwende notwendig!)

Ja, es ist gut, dass es intensive Gespräche mit den Ländern gegeben hat. Es ist natürlich auch gut, dass es zu einer grundsätzlichen Einigung zwischen Bund, Ländern und Kommunen über die Wichtigkeit dieses Themas und letztlich über die Umsetzung des Ausbaus gekommen ist. Ja, es ist gut, dass Herr Steinbrück schlussendlich das nötige Signal der Mitfinanzierung dieses Vorhabens durch den Bund in Form dieses Sondervermögen gegeben hat.

Doch vor allem angesichts der Höhe des Sondervermögens stellt sich die Frage, wie ein Kinderbetreuungsangebot aussehen wird, das mit einer solchen Summe ausgebaut wird. Damit bin ich bei dem, was die Linke zum einen an diesem Sondervermögen und dessen gesetzlicher Ausgestaltung und zum anderen an den vorgesehenen Änderungen im Kinder- und Jugendhilfegesetz kritisch betrachtet.

Bei einem Blick in die Historie der Kindertagesbetreuung wird schnell offensichtlich, dass das, was heute als großer Durchbruch gefeiert wird, letztlich ein Ablenkungsmanöver kurz vor Fristablauf ist.

(Beifall bei der LINKEN)

Das Tagesbetreuungsausbaugesetz ist mit dem Datum 27. Dezember 2004 versehen. Heute, am Tag der Debatte über die nötige Finanzierung, schreiben wir den 11. Oktober 2007. Angesichts der zeitlichen Abläufe und der Fristen von der Verabschiedung des Gesetzes 2004 bis zur Schaffung des Sondervermögens 2007 bin ich gespannt, wann die Bundesrepublik endlich das große Ziel erreicht, auf einen vergleichbaren Stand wie Schweden, Dänemark oder Frankreich zu kommen.

Eine solche Politik geht zulasten der Kinder, die schon jetzt von einer guten Tagesbetreuung profitieren sollten. Es ist schon beachtlich, Frau von der Leyen, wie Sie es geschafft haben, der Öffentlichkeit den ausgehandelten Kompromiss zum ab 2013 bestehenden Rechtsanspruch als Erfolg zu verkaufen,

(Steffen Kampeter (CDU/CSU): Stimmt aber!)

obwohl dieser laut Tagesbetreuungsausbaugesetz bereits 2010 gelten sollte.

(Nicolette Kressl (SPD): Ist doch nicht wahr!)

Es ist vielleicht eines der Glanzstücke des Politikmarketings, ein großes Versagen als immensen Schritt nach vorn zu verkaufen.

(Beifall bei der LINKEN)

Denn das neue Vorhaben, nicht 2010, sondern erst 2013 einen solchen Rechtsanspruch auf Kinderbetreuung zu garantieren, sehe ich nicht als Erfolg, sondern als weiteren traurigen Beweis verfehlter Kinder- und Familienpolitik.

(Beifall bei der LINKEN)

Nennen Sie die Dinge beim Namen, Frau Ministerin! Die Bundesrepublik Deutschland erreicht das durch die rot-grüne Bundesregierung gesetzlich verbriefte Ziel, bis 2010 ein bedarfsgerechtes Kinderbetreuungsnetz auszubauen, nicht einmal ansatzweise. Im Bericht des Familienministeriums zum Stand des Ausbaus der Kindertagesbetreuung vom 12. Juli 2007 war man ehrlicher. Da heißt es, dass der Ausbau von einer geringen Dynamik gekennzeichnet ist. Man schlussfolgert auf Seite 4 ich zitiere:
Die bisherige Entwicklung reicht damit nicht aus, um das Ausbauziel des TAG zu erreichen.

Das war im Juli dieses Jahres.
Die Bundesrepublik wird im Jahre 2013 auf einem Stand sein, der schon jetzt, im Jahre 2007, nicht ausreichend ist. In § 24 a Abs. 4 des TAG steht ich zitiere wieder:
Solange das erforderliche Angebot noch nicht zur Verfügung steht, sind bei der Vergabe der neugeschaffenen Plätze
1. Kinder, deren Wohl nicht gesichert ist, und
2. Kinder, deren Eltern oder alleinerziehende Elternteile eine Ausbildung oder Erwerbstätigkeit aufnehmen ..., besonders zu berücksichtigen.

Sie wollen mit diesem Sondervermögen ein Kinderbetreuungsnetz aufbauen, das 35 Prozent der in der Bundesrepublik lebenden Kinder einen Kita-Platz liefert. Dieses Angebot wird nicht für alle Kinder ausreichen, die dies in Anspruch nehmen wollen. Ich befürchte, dass, wie schon jetzt, leider auch in meinem Bundesland Brandenburg die Kinder von erwerbslosen Eltern vom Besuch einer Kita ausgeschlossen bleiben. Das hätte dann nichts, aber auch gar nichts mit einem Rechtsanspruch für jedes Kind zu tun; denn dieser muss unabhängig vom Erwerbstatus der Eltern gelten.

(Beifall bei der LINKEN)

Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Kressl?

Diana Golze (DIE LINKE):

Da sie wahrscheinlich wieder keine Frage stellt, werde ich das heute nicht zulassen.

(Nicolette Kressl (SPD): Weil Sie wieder nicht antworten können!
Gegenruf von der LINKEN: Das entscheidet wohl die Präsidentin, ob das eine Frage ist oder nicht!)

Gleichzeitig frage ich mich, warum Sie Ihren eigenen Anreizgesetzen so wenig Vertrauen schenken. Sollte Ihre Elterngeldlogik aufgehen, würde es 2013 mit den geschaffenen Plätzen recht eng in den Kitas und Tagespflegestuben. Gut wäre es gewesen, wenn Sie sich nicht nur darauf festgelegt hätten, wann dieser Rechtsanspruch für unter Dreijährige kommt, sondern was der Rechtsanspruch umfasst: ob er für alle Kinder gilt und wie lange Kinder mit diesem Rechtsanspruch in der Kita betreut werden können. Dazu schweigt sich die Bundesregierung einmal mehr aus.
Nun werden Sie mir vielleicht sagen, dass dies nicht in das Gesetz zur Errichtung eines Sondervermögens gehöre. Aber ich sage Ihnen: Ein Rechtsanspruch macht aus unserer Sicht nur dann einen Sinn, wenn er auf das Kind bezogen festgeschrieben ist.

(Beifall bei der LINKEN)

Nur dann entspricht er dem, was Sie, Frau von der Leyen, mit Ihren eindrucksvollen Rechenbeispielen von einem Podium zum nächsten tragen, nämlich einem Angebot, das kein Kind vor der Kita-Tür stehen lässt, das kein Kind von der Betreuung halb- oder ganztags ausschließt, weil seine Eltern nicht in der glücklichen Situation sind, einen Nachweis über die wirtschaftliche Notwendigkeit der Betreuung vorzulegen. Das sollten Sie dann auch klar und deutlich sagen, Frau Ministerin.

Wenn Erwerbstätigkeit der Eltern weiterhin der Maßstab ist, dann wird das Gesetz in der Tat zu dem, wie Sie es verfassungsmäßig begründen. Hier muss auch ich leider auf die Verfassungsmäßigkeit eingehen. Den Ausbau der Kinderbetreuung und die dazu nötige Anschubfinanzierung mit Art. 104 b des Grundgesetzes zu begründen, ist mehr als fragwürdig. In Art. 104 b heißt es ich zitiere erneut:
Der Bund kann ... den Ländern Finanzhilfen für besonders bedeutsame Investitionen der Länder und der Gemeinden ... gewähren, die
1. zur Abwehr einer Störung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts oder
2. zum Ausgleich unterschiedlicher Wirtschaftskraft im Bundesgebiet oder
3. zur Förderung des wirtschaftlichen Wachstums erforderlich sind.

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, wir als Fraktion DIE LINKE verwahren uns dagegen, dass Kinder auf ein Instrument zur Förderung der Wirtschaftskraft reduziert werden.

(Widerspruch bei der CDU/CSU)

Wir wollen nicht, dass der Ausbau der Kinderbetreuung zur Abwehr einer Störung des gesamtwirtlichen Gleichgewichts herangezogen wird. Wir wollen nicht, dass er als ausgleichendes Moment für die unterschiedlichen wirtschaftlichen Entwicklungen dienen soll. Und all dies nur wegen Ihrer verkorksten Föderalismusreform!

(Beifall bei der LINKEN Nicolette Kressl (SPD): Das ist doch Blödsinn!)

Wir wollen, dass eine Kindertagesbetreuung entsteht, die vorrangig ein Ziel hat: qualitativ hochwertige frühkindliche Förderung und Bildung für jedes Kind unabhängig vom Erwerbsstatus oder der Herkunft seiner Eltern.

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, hochwertige Betreuung setzt auch einen Betreuungsschlüssel voraus, der Erzieherinnen und Erzieher in die Lage versetzt, dem Bildungs-, Betreuungs- und Erziehungsanspruch, der an Kindertagesbetreuung heute gestellt wird, gerecht zu werden. Auch setzt sie voraus, dass genügend Erzieherinnen und Erzieher da sind. Kein Wort dazu in den vergangenen Wochen von der Bundesregierung. Ich frage Sie: Wer soll die Kinder in den vielen neuen Kitas betreuen?

Hochwertige Betreuung setzt eine gute Ausbildung und übrigens auch eine gute Bezahlung für Erzieherinnen und Erzieher sowie für Tagesmütter und Tagesväter voraus.

(Beifall bei der LINKEN)

Kein Wort dazu in den vergangenen Wochen dazu von der Bundesregierung.

Wie soll die Kinderbetreuung in den kommenden Jahren aussehen? Welche Mindestanforderungen stellen wir? Was sind die Qualitätsstandards? Kein Wort dazu in den letzten Wochen von der Bundesregierung. Die Länder und Kommunen werden diese Fragen sicherlich stellen, spätestens dann, wenn die Kitas fertiggestellt sind und man nach qualifiziertem Personal sucht. Denn alle politischen Kräfte fordern qualifiziertes Personal. Niemand will irgendeine beliebige Betreuung. Alle wollen eine qualitativ hochwertige.

Schließlich und endlich komme ich auf das politische Hintertürchen zu sprechen, das Sie der CSU gelassen haben, Frau von der Leyen. Ich spreche von der Einführung des sogenannten Betreuungsgeldes. Dadurch rücken Sie Ihre eigene Debatte in ein fragwürdiges Licht. Durch diesen Passus der Begründung, auch wenn er mit der Formulierung „soll eingeführt werden“ versehen ist, wird die Diskussion über die Rolle der öffentlichen Kindertagesbetreuung weit zurückgeworfen. Mit dieser Absichtserklärung werden wieder die alten Diskussionen über Bildung und Betreuung einerseits und Förderung, Erziehung und Elternsorge andererseits eröffnet.

Ich kenne diese Diskussionen, Frau Ministerin. Sie endeten bisher nie dort, wo Sie mit Ihrem Vorstoß eigentlich hin wollten. Diese Debatten führen immer wieder in die Rabenmüttersackgasse, die Sie eigentlich überwinden wollten. Dass sich elterliche Sorge und öffentliche Kindertagesbetreuung ergänzen, wobei die öffentliche Kindertagesbetreuung die Erziehung der Kinder fördern, sie den Eltern aber nicht abnehmen soll, davon lenkt die Debatte über das Betreuungsgeld ab. Dadurch werden diese zwei Aspekte in unzulässiger Weise gegenübergestellt.

(Beifall bei der LINKEN)

Ihr großzügiges Zugeständnis wird sich nicht positiv auf das ursprüngliche Ziel auswirken. Dadurch werden die Unterschiede noch größer gemacht: Die einen bekommen einen Kitaplatz, die anderen das Betreuungsgeld. Ich hoffe immer noch auf den bereits mehrmals deutlich artikulierten Widerstand der SPD-Familienpolitikerinnen und der SPD-Familienpolitiker.

Außerdem hoffe ich, dass Frau Fischbach recht hat. Sie hat im Rahmen einer Diskussionsrunde beim Deutschen Jugendinstitut gesagt, da diese Veranstaltung öffentlich war, darf ich das hier wiederholen; außerdem war auch die Ausschussvorsitzende dort: Das Betreuungsgeld wird nicht kommen; darauf gebe ich Ihnen mein Wort. Ich hoffe darauf.
Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)

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Nach einigen Bemerkungen von Abgeordneten erwiderte Diana Golze:

Zur ersten Kurzintervention. Ich habe nicht davon gesprochen, dass es einen eingeschränkten Rechtsanspruch geben wird, sondern ich habe meine Befürchtung zum Ausdruck gebracht.

(Lachen bei Abgeordneten der SPD)

Wissen Sie, ich habe lange Politik im Land Brandenburg gemacht. Da ist genau dasselbe passiert: Man hat sich hehre Ziele gesteckt und dann, als man festgestellt hat, dass das Geld nicht reicht, bei denen gespart, die sich am wenigsten dagegen wehren können, nämlich bei den Kindern erwerbsloser Eltern. Man hat den Rechtsanspruch wieder eingeschränkt.

(Beifall bei der LINKEN)

Meine Befürchtung ist, dass hier genau dasselbe passiert: dass man sich ein hehres Ziel vornimmt - wir unterstützen dieses Ziel ja - aber nicht nachkommt mit dem Ausbau.
Dass man nicht weit genug geht, sehen wir leider schon jetzt an der Frage, inwieweit auch wir als Bund finanzielle Verantwortung tragen.
Ich befürchte, dass der Rechtsanspruch so, wie Sie ihn sich vorgenommen haben, nicht wird kommen können. Bis 2013 wollen Sie für 35 Prozent der Kinder Plätze schaffen. Was passiert, wenn am 1. Januar 2014 mehr Kinder vor der Tür stehen und Kinder abgewiesen werden müssen, weil nicht genügend Plätze vorhanden sind?

(Nicolette Kressl (SPD): Es gibt einen Anspruch!)

Wie wollen Sie das dann rechtfertigen? Wie wollen Sie diesen Rechtsanspruch, wie Sie es nennen, dann umsetzen? Das ist meine Befürchtung. Sie können mir diese Befürchtung ganz einfach nehmen, indem Sie in das Gesetz schreiben: Der Rechtsanspruch gilt für alle Kinder unabhängig vom Erwerbsstatus der Eltern.

(Beifall bei der LINKEN)

Frau Fischbach, dass Sie versuchen, sich zu rechtfertigen, kann ich verstehen. Es waren noch weitere Kolleginnen des Hauses anwesend. Es wäre interessant, zu erfahren, wie diese Ihren Satz aufgenommen haben, den Sie ich habe ihn mir aufgeschrieben gegenüber dem Diskussionsleiter dieser Runde, einem Journalisten der Süddeutschen Zeitung, genau so gesagt haben. Wir waren alle erfreut, das zu hören, da auch die Kolleginnen der SPD hoffen, dass dieses Betreuungsgeld nicht kommt. Insofern haben wir diesen Satz wohlwollend zur Kenntnis genommen. Dass Sie ihn jetzt wieder etwas entschärfen, finde ich schade; es hätte Ihnen gut zu Gesicht gestanden, dabei zu bleiben.

(Beifall bei der LINKEN)