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Kirsten Tackmann: Landwirtschaft und ländliche Räume – der Fehler sitzt im System

Rede von Kirsten Tackmann,

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste! Ich finde es ja, ehrlich gesagt, gut, dass die Grüne Woche längst nicht mehr nur Messe ist – übrigens ist der Besuch dort ein sehr spannendes, unterdessen leider auch teures Vergnügen, das sich nicht mehr jeder leisten kann; daran sei auch einmal erinnert –; sie hat sich gemausert zu einem mehr oder weniger willkommenen Anlass für politische Debatten, und das ist auch gut so, zumindest solange es kulturvoll und sachlich zugeht. Ich jedenfalls will keine sogenannten postfaktischen Echoräume als Parallelwelten, in denen man sich gegenseitig nur noch ewige Wahrheiten um die Ohren schlägt. Ich denke, dem sollten wir uns alle verweigern.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Das spricht übrigens überhaupt nicht gegen Emotionen in der Debatte. Im Gegenteil: Ich bin sogar fest davon überzeugt, dass man gute Agrarpolitik nur mit Leidenschaft machen kann.

(Beifall bei der LINKEN – Dr. Wilhelm Priesmeier [SPD]: Richtig!)

Weniger Selbstgerechtigkeit und weniger Selbstgewissheit tun, glaube ich, jeder Debatte gut, real existierende Probleme offen und klar anzusprechen aber auch. Die Welt gerät doch gerade aus den Fugen, nicht nur im Großen, sondern auch an vielen kleinen Baustellen.

(Volker Kauder [CDU/CSU]: Was?)

Die Anträge zu dieser Debatte zeigen das. Ja, die Grünen haben all das vorgelegt, was sie sich einmal zur Landwirtschaft überlegt haben. Aber die Ursachen der Probleme sind aus linker Sicht viel grundsätzlicher. Selbst wenn alle sinnvollen Forderungen umgesetzt würden, wäre manches vielleicht besser, aber doch längst nicht alles gut. Es geht doch längst nicht mehr nur darum, dass das eine oder andere Schräubchen nicht mehr richtig fasst. Nein, das ganze System stottert, das System ist falsch,

(Beifall bei der LINKEN)

weil immer weniger Konzerne über Saatgut, Molkereien, Schlachthöfe und Supermärkte bestimmten, darüber, was im Stall und auf dem Feld passiert. Und sie profitieren von diesem System, das Mensch und Natur ausbeutet. Wer das wirklich ändern will, muss deshalb die Strukturen infrage stellen und, wenigstens in einem ersten Schritt, ihre Macht begrenzen.

(Beifall bei der LINKEN)

So wie jetzt darf es jedenfalls nicht weitergehen. Gerade in den ländlichen Räumen und in der Land-, Forst- und Fischereiwirtschaft rächt sich dieser Systemfehler besonders.

Wie reagieren denn Menschen in den Dörfern, wenn sie keine Einkommensperspektiven haben, wenn sie nicht mehr von A nach B kommen, aber die Ärztin auch nicht mehr zu ihnen, wenn sie nicht neben 400 000 Hühnern, 60 000 Schweinen oder 100 Windrädern leben wollen? Sie werden die Dörfer verlassen, wenn wir das nicht verhindern. Das löst im Übrigen die Probleme nicht, sondern hinterlässt neue; denn Schulen und Kitas, die nicht mehr gebraucht werden, müssen abgerissen werden, um dann in den Städten, wo die Menschen hinziehen, zusätzliche zu bauen. Das ist volkswirtschaftlicher Schwachsinn.

(Beifall bei der LINKEN)

Wenn die Menschen weg sind: Wer produziert denn dann die regionalen Lebensmittel, die wir alle wollen? Wer verarbeitet sie? Wer verkauft sie? Wenn die Menschen die Verbindung zum Dorf und zur Landwirtschaft verloren haben, verkaufen sie vielleicht den Acker, die Wiese oder den Wald ihrer Familie, aber leider eben häufig nicht an die Ortsansässigen, sondern an Meistbietende, wie ich es in meinem Wahlkreis Prignitz/Ruppiner Land immer wieder erlebe. Diesen Heuschrecken sind gute Arbeits- und Lebensbedingungen der Menschen im Dorf und in der Landwirtschaft oder der Erhalt der Natur egal. Das treibt nur ihre Kosten hoch und senkt ihre Gewinne. Die Zeche für diesen Raubbau an Mensch und Natur zahlen wir alle, und deswegen darf es so nicht weitergehen.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Die Landwirtschaft ist auf intakte Ökosysteme und fruchtbare Böden angewiesen. Deshalb sagte man früher: Ein reicher Bauer hat arme Söhne. – Aber auch faire Einkommen, gute Bildung und funktionierende Dorfgemeinschaften sind wichtig. Und auch hier ist der Spruch richtig: Stadt und Land, Hand in Hand. – Lebendige Dörfer sind doch kein Selbstzweck, sondern Voraussetzung dafür, dass gesunde, regionale Lebensmittel produziert werden. Dann geht es auch den Städten besser.

(Beifall bei der LINKEN)

Es macht doch Sinn, aus der Logik auszusteigen, möglichst viel möglichst billig zu produzieren. Es macht Sinn, das Wohl der Tiere zu verbessern, aber eben auch das Wohl der Menschen, die sie betreuen. Es macht Sinn, die Dörfer nicht kaputtzusparen, weil man pro Kopf rechnet. Natürlich sind Straßen in dünnbesiedelten Regionen pro Einwohner länger und ihr Unterhalt damit teurer; dafür braucht man keinen Matheleistungskurs. Also nicht pro, sondern mit dem Kopf rechnen!

(Beifall bei der LINKEN)

Jedenfalls bin ich froh, dass die Diskussion über die Landwirtschaft und über die ländlichen Räume endlich eingefordert und auch geführt wird, selbst wenn manche Debatten überzogen sind, ja, und manchmal auch die Sachkenntnis fehlt. Aber als Linker ist mir besonders wichtig, mit den Betroffenen zu diskutieren und nicht über sie; denn sie gehören zu den wahren Verlierern dieses falschen Systems, selbst wenn sie das manchmal nicht so sehen oder noch nicht sehen.

(Gitta Connemann [CDU/CSU]: Richtig!)

Als Gesetzgeber haben wir nach meiner Überzeugung ganz klar einen Auftrag: Wir haben die Würde aller Menschen zu sichern und – ich ergänze – den Respekt für die Natur ebenso.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)