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Kirsten Tackmann: Agrarpolitik darf Tierleid nicht zulassen

Rede von Kirsten Tackmann,

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Gäste! Herr Stier, Ihr Verständnis von der Unabhängigkeit von Gerichten ist sehr spannend.

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Um eines am Anfang ganz klar zu sagen: Die Zustände in den Ställen, die in der Panorama -Sendung gezeigt wurden, sind absolut inakzeptabel. Diese Bilder sind für mich als Tierärztin wirklich sehr, sehr schwer zu ertragen. Man muss, glaube ich, kein tiefes Fachwissen besitzen, um zu erahnen, welche Schmerzen die Tiere in den Videosequenzen haben und dass diese Tiere schon länger unter den Schmerzen leiden. Den Einschätzungen meiner beiden Berufskolleginnen, die in dem Beitrag zu Wort kommen, ist aus meiner Sicht nichts hinzuzufügen, und sie bieten auch keinen Bewertungsspielraum. Natürlich muss das endlich ganz konsequent aufgeklärt werden, und zwar ohne Ansehen der Person.

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Rita Stockhofe [CDU/CSU]: Wenn es denn mal so wäre!)

Ehrlich gesagt überlege ich seit Tagen, was mich eigentlich mehr entsetzt: das unnötige Leid der Tiere, das aus diesen Bildern spricht, oder die Ausflüchte und Rechtfertigungsmanöver der Verantwortlichen, die immerhin hohe Funktionen im Berufsstand bekleiden? Aus vielen Betriebsbesuchen weiß ich, dass es eben nicht in allen Ställen so aussieht wie in diesen Videos. Gerade deshalb sind diese Bilder wahrscheinlich für viele Tierhalterinnen und Tierhalter wirklich bitter. Sie kämpfen seit Monaten ums Überleben und fühlen sich jetzt zu Unrecht an den Pranger gestellt. Umso wichtiger ist es für mich als Linke, die Kritik richtig zu adressieren.

Dabei ist es für mich übrigens nicht wichtig, wie die Bilder zustande gekommen sind und warum. Entscheidend ist, dass sie real existierende Probleme zeigen. Ja, natürlich sehe gerade ich als gelernte Tierseuchenbekämpferin Guerillaaktionen, bei denen man sich illegal Zutritt zu Ställen verschafft, problematisch. Auch die totale Ablehnung jeder Nutztierhaltung, die oft hinter solchen Aktionen steckt, entspricht nicht meiner Position – im Gegenteil. Aber das darf uns doch nicht darüber hinwegtäuschen, dass wir reale und ernsthafte Probleme in der Nutztierhaltung haben,

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

und zwar nicht nur in der konventionellen und auch nicht nur in größeren Ställen. Auch hier ist die Welt eben bunt und nicht schwarz-weiß. Aber deshalb macht es doch gerade Sinn, über die Botschaft zu diskutieren und nicht den Boten zu verteufeln. Wenn allerdings bei Kenntnis der Missstände durch die Akteurinnen und Akteure nicht sofort eine Anzeige erstattet wurde,

(Dr. Wilhelm Priesmeier [SPD]: Das ist schon sehr fragwürdig!)

dann riecht das eben ein bisschen sehr nach Kampagne, und zwar auf Kosten der Tiere. Auch das ist nicht akzeptabel.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des Abg. Dr. Wilhelm Priesmeier [SPD])

Aber die eigentlich spannende Frage an uns als Gesetzgeber ist doch bei dem Thema Tierwohl folgende: Handelt es sich nur um persönliches Fehlverhalten oder um einen Systemfehler? Die eigentliche Ursache der Probleme in der Nutztierhaltung ist doch, dass Tiere oder auch die menschliche Arbeitskraft zur Ware degradiert werden, die möglichst billig sein muss. Das ist natürlich ein Systemfehler.

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Rainer Spiering [SPD])

Wer profitiert denn von diesem System? Das sind doch nicht die Landwirtschaftsbetriebe, die um ihre Existenz kämpfen, sondern die Handels-, Schlachthof- und Molkereikonzerne, die nicht bereit sind, die Erzeugerpreise zu zahlen, die für mehr Tierwohl und für gute Löhne für gute Arbeit gebraucht werden. Ihr Geschäftsmodell beruht doch auf Ausbeutung von Mensch, Tier und Natur. Davor muss der Gesetzgeber schützen.

(Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die moralischen Appelle der Bundesregierung sind doch glatte Arbeitsverweigerung. Politik muss den Rahmen dafür setzen, dass unmoralisches Verhalten nicht zugelassen, sondern verhindert wird. Ohne die erpresserische Marktübermacht nicht endlich wirksam zu beenden, werden wir auch die Probleme in den Ställen nicht lösen. Verlierer sind nicht nur die Tiere, sondern auch die Menschen, die sie betreuen. Sie fühlen sich zu Recht oft im Stich gelassen. Es läuft doch grundsätzlich etwas schief in einem Land, wenn diejenigen, die unsere Existenzgrundlage, die Versorgung mit Lebensmitteln, sichern, selbst nicht davon leben können. Viele sind allerdings längst weiter als mancher Bauernverbandsfunktionär. Sie wollen Veränderungen. Wir sollten sie dabei unterstützen.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Rainer Spiering [SPD])

Wir sollten übrigens auch die Kontrollbehörden vor Ort unterstützen. In der Haut der Kontrolleure möchte ich, ehrlich gesagt, auch nicht stecken. Wer sich mit ihnen unterhält, weiß, dass sie im Brennpunkt dieses Konfliktes stehen. Einerseits wachsen die Erwartungen vieler Menschen, dass es mehr Tierwohl in den Ställen gibt, und damit allerdings auch die Erwartungen an die Kontrollbehörden, genau das durchzusetzen. Andererseits wird die Lücke zwischen dem, was die Gesellschaft erwartet, und dem, was mit den bestehenden Gesetzen tatsächlich durchgesetzt werden kann, immer größer. Ergebnis ist, dass die Kontrollbehörden wieder für die Missstände verantwortlich gemacht werden, die gar nicht sie zu verantworten haben, sondern wir als Gesetzgeber.

Deswegen ist es wichtig, dass wir endlich handeln und nicht nur reden. In diesem Zusammenhang weise ich auch darauf hin, dass das Personal in den Kontrollbehörden oft so gering ist, dass eine lückenlose oder annähernd vernünftige Überwachungsdichte in den Ställen gar nicht realisiert werden kann. Ich sage ganz klar: Das Thema Tierwohl ist sehr wichtig. Es ist uns ein großes Anliegen, hier Lösungen zu finden, die tatsächlich auch für die Betriebe funktionieren. Wir müssen hier endlich handeln; sonst eskaliert die Situation. Ich möchte nicht, dass wir die einheimische Tierhaltung verlieren.

Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)