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Kinderschutz muss Vorrang haben!

Rede von Diana Golze,

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen!

Zu Recht ist dem Thema Kinderschutz in den letzten Jahren ein höherer Stellenwert zugekommen. Niemand kann und darf sich der Verantwortung der Gesellschaft für den Schutz des Wohles unserer Kinder entziehen. Der Kinderschutz muss Vorrang haben.
Das ist natürlich auch Anliegen und Ziel der Linken. Wir haben dies mit verschiedenen Initiativen deutlich gemacht. Ich nenne zum Beispiel unsere vorbehaltlose Unterstützung des Aktionsbündnisses für die Aufnahme von Kinderrechten ins Grundgesetz.

(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Caren Marks (SPD))

Kinderrechte - Frau Marks hat das angesprochen - sind die Grundlage für eine Stärkung des Kindeswohls. Ich sage gerne und - vor allem an die Adresse der Unionsfraktion gerichtet - immer wieder: Wer den Kinderschutz ernst nimmt, muss die Kinderrechte ernst nehmen. Deshalb müssen sie ins Grundgesetz.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN - Johannes Singhammer (CDU/CSU): Was ist mit der Familie?)

Ach, Herr Singhammer, Sie verstehen es einfach nicht. Das Ministerium hat nun einen Gesetzentwurf vorgelegt, in dem, wie es der Bundesverband für Erziehungshilfen treffend benennt, Selbstverständlichkeiten formuliert sind. In diesem Gesetzentwurf sind aber auch Regelungen vorgesehen, die an der Realität vorbeigehen; ich komme darauf noch zu sprechen.

In den Stellungnahmen finde ich von der Stellungnahme der Diakonie über die des Deutschen Kinderschutzbundes und die der AWO bis hin zur Stellungnahme der Kinderschutz-Zentren zum Teil vernichtende Absagen an dieses Vorhaben. Dies beginnt bereits bei der Vorfeldarbeit. Ich kann mich gut an die großtönenden Worte erinnern, mit denen die Bundesfamilienministerin hier die Ergebnisse des sogenannten Kindergipfels gefeiert hat. Die Diakonie zeigt in ihrer Stellungnahme auf, wie wichtig der Ministerin die Suche nach effektiven Wegen zum Kinderschutz wirklich ist: Die berufene Expertengruppe hat ihre Arbeit bereits nach einer Sitzung wieder eingestellt. Wie können sachlich fundierte und ausdiskutierte Vorlagen zustande kommen, wenn man so an die Sache herangeht?

(Beifall bei der LINKEN)

Die Kinderschutz-Zentren haben - ich zitiere - die geplanten Veränderungen in § 8 a des SGB VIII mit Sorge zur Kenntnis genommen. Der Deutsche Verein warnt vor weiteren gesetzlichen Verfahrensvorgaben. Die Diakonie sagt Ihnen, dass Sie Ihr selbstgestecktes Ziel nicht erreichen. Die AWO tut Selbiges.Nach Kinderzuschlag und Kinderförderungsgesetz ist dies ein weiterer Gesetzentwurf, der von der Fachwelt in hohem Maße kritisiert wird. Bei einer Schülerin würde diese Beurteilung wahrscheinlich zu einem Elternbesuch führen, weil die Versetzung gefährdet wäre.

(Heiterkeit bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Die Fachverbände versuchen mit ihren Stellungnahmen, uns dabei zu helfen, einen besseren Gesetzentwurf daraus zu machen. Ich hoffe auf die Anhörung und darauf, dass Sie die Kritik und die Vorschläge annehmen.

Genügend Gesprächs- und Klärungsbedarf gibt es auch von unserer Seite, zum Beispiel bei der Rolle der Jugendämter. Wer die Situation in den Kommunen nur ein bisschen kennt, weiß, dass sie schon jetzt am äußersten Level ihrer Möglichkeiten arbeiten. Sie unterlagen personell und finanziell einem Kürzungsdruck in Größenordnungen, so dass sie die Einsparungen kaum noch überbrücken können. Das Ergebnis ist traurig: Den Anlaufstellen fehlen die Mittel und das Personal, um qualifizierte Angebote machen zu können. Wenn Sie ein System aufbauen wollen, das einen effektiven Schutz von Kindern gewährleistet, dann müssen Sie da anfangen, wo Sie in den letzten Jahren den Rotstift angesetzt haben. Doch statt endlich diese Richtung der Politik zu korrigieren, brummen Sie den Jugendämtern nun neue Aufgaben auf, ohne zu sagen, wie sie es bewerkstelligen sollen.

In diesem Zusammenhang nenne ich nur den ganz aktuellen Fall von Lara aus Hamburg. Die Mitarbeiter des Allgemeinen Sozialen Dienstes schreiben in einem offenen Brief: „Wir haben die Nase voll davon, als Sündenböcke für eine Politik herzuhalten, die es jahrelang versäumt hat, den ASD qualitativ und quantitativ ausreichend auszustatten“. Sie arbeiten mit 90 Fällen pro Mitarbeiter in der Verwaltung. Dies kann und darf so nicht weitergehen.

(Beifall bei der LINKEN)

Doch neben der Frage, wie die in dem Gesetzentwurf enthaltenen verpflichtenden Hausbesuche personell gestemmt werden sollen, bleibt unsere Skepsis, ob diese Hausbesuche überhaupt dazu führen, den Kinderschutz zu erhöhen. Aus meiner Sicht wird damit vielmehr Vertrauen zerstört, und es birgt die Gefahr, dass Hilfeprozesse abgebrochen werden, sodass es kontraproduktiv im Hinblick auf die Kinder wirkt, die wir eigentlich unterstützen wollen. Wir dürfen die sozialstaatlich ausgerichtete Jugendhilfe nicht durch ein kontrollierendes System ersetzen. Genau dies sieht aber dieser Gesetzentwurf vor.

(Beifall der Abg. Ekin Deligöz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Damit wird das Sozialgesetzbuch VIII untergraben, das eigentlich einen vorsorgenden, unterstützenden und helfenden Charakter hat. Es soll durch Kontrolle und Vertrauensbrüche ersetzt werden, und die Jugendhilfe wird durch weitere Aufgaben auch noch überfordert und weiterhin kaputt gemacht. Damit muss endlich Schluss sein. Dazu braucht es auch ein Verständnis dafür, dass ein besserer Kinderschutz zum Nulltarif nicht zu haben ist. Hier setzt einen das Vorblatt des Gesetzes schon sehr in Erstaunen; denn dort steht, das Gesetz werde keine Auswirkungen auf die öffentlichen Haushalte haben.

(Ekin Deligöz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ja, genau! - Zuruf von der CDU/CSU: Ein Gesetz, das nichts kostet, taugt nichts?)

Dazu ist sicherlich kein weiterer Kommentar notwendig. Ich freue mich auf die bevorstehenden Diskussionen und hoffe, dass wir aus dem Entwurf noch ein Kinderschutzgesetz machen können.

Vielen Dank.
(Beifall bei der LINKEN - Caren Marks (SPD): Schade, dass die Ministerin nicht da ist!)