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Kinder sind die Opfer des Koalitionsvertrags

Rede von Diana Golze,

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen!

Alles hat sein Gutes, sogar langandauernde Koalitionsverhandlungen. Auch wenn sie den Nachteil haben, dass das Parlament, um es einmal diplomatisch auszudrücken, nur sporadisch arbeiten darf, so haben sie doch den Vorteil, dass eine geschäftsführende Ministerin heute zu einem Thema Rede und Antwort stehen muss, bei dem es um die Fehler geht, die in der Vergangenheit beim Kitaausbau gemacht wurden.

Die Fehler, die durch den Gesetzentwurf des Bundesrates nun zum Teil ausgebügelt werden sollen, liegen hauptsächlich bei den beiden jüngsten Bundesregierungen. Die Fristverschiebung bezüglich der Finanzhilfen des Bundes ist natürlich der Kern dieses Gesetzentwurfes. Diese Fristverschiebung ist vor allem für die Kommunen wichtig, damit die Mittel länger abrufbar bleiben und die Bauvorhaben zu Ende geführt werden können. Doch geht es bei diesem Thema um mehr als nur um diese Fristverschiebung. Es geht vielmehr um die Darstellung einer Politik des Ignorierens, des Wegduckens und des Herausstehlens aus der Verantwortung des Bundes.

(Beifall bei der LINKEN)

Schließlich war es der Bund, der es 2008 bei der Einrichtung des Sondervermögens zum Kitaausbau versäumt hat, verbindliche Berichtspflichten über die Verwendung der Mittel in die Vereinbarung aufzunehmen. Nun wird dies als Hauptgrund für die noch fehlenden Kitaplätze genannt. Fakt ist: Der Bund hat nicht nur diese Kontrollpflicht viel zu lange nicht wahrgenommen, sondern hat sich auch aus der Verantwortung gegenüber den Kommunen gestohlen, die für die Kitabauten in der Tat in Vorleistung getreten sind und dann den Rückzahlungen der Mittel teilweise über Jahre hinweg hinterherlaufen mussten.

Es war ebenfalls der Bund, der den Betreuungsbedarf quasi freihändig bei 35 Prozent festgeschrieben hat. Man ging also davon aus, dass nur gut ein Drittel der Eltern einen vorhandenen Kitaplatz für ihre Kinder auch tatsächlich in Anspruch nehmen würde. Aber schon damals gab es Erhebungen, die davon ausgingen  sie waren auch glaubwürdig , dass der Bedarf wesentlich höher liegen wird.

Es war ebenfalls der Bund, der den Widerspruch zwischen diesem festgeschriebenen Ausbauziel und dem beschlossenen Rechtsanspruch völlig ignoriert hat. Denn wenn man einen festgeschriebenen Rechtsanspruch hat, kann ein Ausbauziel doch nur eine Orientierung sein. Aber nein, über Jahre hinweg haben die beiden Ministerinnen, die dafür zuständig waren, dieses Ausbauziel wie ein Naturgesetz vor sich hergetragen und waren nicht bereit und willens, hier nachzusteuern und zusätzliches Geld zu investieren. All dies kam zu spät. Auch das Ausbauziel ist nur minimal auf 38 Prozent korrigiert worden. Fatal ist dabei: Es sind die Länder und vor allem die Kommunen, die mit den Folgen alleingelassen wurden.

Ebenfalls alleingelassen wurden die Handelnden vor Ort im Hinblick auf den Mangel an Fachkräften. Dass Sie uns Linken nicht zugehört haben, mag die Macht der Gewohnheit sein. Aber auch die zuständige Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft hat wieder und wieder gesagt: Wir brauchen zusätzliches Personal; es muss investiert werden. Bund, Länder und Kommunen müssen gemeinsam die Verantwortung für die Fachkräfte tragen. - Angesichts dessen frage ich mich: Warum ist dieser Ruf ignoriert worden?

Frau geschäftsführende Ministerin Schröder, Sie sagen, dass über das Bundesprogramm „Offensive Frühe Chancen“ die Fachkräfte besser bezahlt werden. Sie dürfen aber nicht verschweigen, dass es sich dabei nur um halbe Stellen handelt, die von den Kommunen mit Stunden aufgestockt werden müssen, damit die betroffenen Menschen überhaupt davon leben können. Es nützt nichts, wenn man halbe Stellen gut finanziert. Denn es handelt sich hier in erster Linie um Frauen, die ihre Familien ernähren müssen und die von halben Stellen nicht leben können.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Die Liste der Versäumnisse seitens des Bundes ist lang. Die fehlende Debatte um Qualität war auch dem Umstand geschuldet, dass im Bundesgesetz keine Mindeststandards festgeschrieben worden sind. Die nach wie vor vorhandene Ungleichheit zwischen Kitas und Kindertagespflege hat ihre Ursachen auch darin, dass man nicht über bessere Arbeitsbedingungen und Verdienstmöglichkeiten reden wollte. Dann darf man sich nicht darüber wundern, dass es nach wie vor nicht genügend Tagespflegepersonen gibt.

Nun schlägt der Bundesrat ein weiteres Mal die Korrektur eines Gesetzes der letzten Bundesregierung vor, das den Realitätstest nicht bestanden hat. Ich fürchte, das wird in Zukunft öfter der Fall sein. Ich fürchte es auch deshalb, weil ich mir angeschaut habe, was alles in der Nacht der langen Messer aus dem Entwurf des Koalitionsvertrages gestrichen worden ist.

(Volker Kauder (CDU/CSU): So lang waren die Messer doch nicht! Das waren doch kurze Messer!)

Die Kinder sind die Opfer dieser Nacht gewesen. Die angedachten Verbesserungen beim BAföG, das Ganztagsschulprogramm, das Qualitätsgesetz für Kitas, das Thema Kinderarmut, all das kommt nicht mit einem Wort vor. Kindergeld und Kinderzuschlag werden nicht erwähnt. Es gibt keine Verbesserungen beim Bildungs- und Teilhabepaket, keine Einbeziehung der Leistungen für Kinder mit Behinderungen in die Jugendhilfe. Diese Liste ließe sich fortsetzen. Hier ist noch einiges zu tun, vor allem für die Opposition.

Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN  Volker Kauder (CDU/CSU): Na dann tut mal!)