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Keine Gerechtigkeit nach Kassenlage!

Rede von Wolfgang Neskovic,

Das Schlechte am aktuellen Haushaltsplan für das Justizwesen des Bundes ist, das er die Bedeutung der Justiz nicht ernst nimmt. Die seit Jahren anhaltende schlechte Ausstattung der Justiz trifft vor allem die Schwächeren in der Gesellschaft. Nötig ist eine sozialstaatlich denkende Justizpolitik.

Wolfgang Neškovic (DIE LINKE):
Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Sehr verehrte Frau Ministerin Zypries!

Das Schlechte an dem heute zu beratenden Einzelplan 07 Justiz ist nicht, dass die finanziellen Zuweisungen unter der einen oder anderen Kennziffer auf Seite sowieso etwas großzügiger hätten ausfallen können. Das Schlechte an diesem Einzelplan ist, dass er so schlecht ist wie seine Vorgängerpläne.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

Denn die deutsche Justiz ist seit Jahren chronisch unterfinanziert.

(Klaus Uwe Benneter (SPD): Die 200 wissenschaftlichen Mitarbeiter nicht zu vergessen!)

Der aktuell vorliegende Einzelplan hilft diesem Zustand auf der Ebene der obersten Bundesgerichte erneut nicht ab.
Viele in diesem Haus finden schmale Justizhaushalte überhaupt nicht ungewöhnlich, sie sind der Regelfall, sie werden nicht hinterfragt, sie sind das Normale. Wenn Menschen definieren, was das Normale ist, dann benennen sie allzu oft lediglich das, woran sie sich gewöhnt haben. Der Zustand der Gewöhnung mag ein friedlicher sein, er ist allerdings völlig untauglich für die Ermittlung dessen, was notwendig und angemessen ist. Dieser Gewöhnung möchte ich entgegenwirken. Die Justiz ist nicht irgendein Aufgabenbereich des Staates, sie ist unentbehrlicher Mindestbestandteil des sozialen Rechtsstaates.

(Klaus Uwe Benneter (SPD): Richtig!)

Viele von uns haben die Fußball-Weltmeisterschaft in diesem Land genossen. Für eine kurze Zeit wurden sogar die ernsten Angelegenheiten der Politik von der Begeisterung über die schönste Nebensache der Welt überstrahlt. Die besten und teuersten Spieler der ganzen Welt traten zum Wettkampf gegeneinander an.
Es gab aber nicht nur 22 Spieler auf dem Platz, sondern es bewegten sich noch drei weitere Personen auf dem Spielfeld.

(Dirk Manzewski (SPD): Die waren eher schlechter!)

Ich meine die Schiedsrichter, die mit einigen tausend Euro Spesen abgefunden wurden, während sie bei manchen Spielen von Spielern umringt wurden, deren Vermögen im dreistelligen Millionenbereich liegt.

(Dr. Sascha Raabe (SPD): Können Sie zum Thema sprechen?)

Nun stellen Sie sich ein Fußballspiel ohne Schiedsrichter vor. Es könnte nicht funktionieren; denn es wäre ein Spiel ohne durchsetzbare Regeln. Chaos! Niemand würde ein solches Spiel sehen wollen; denn es wäre überhaupt keines mehr.

(Andrea Astrid Voßhoff (CDU/CSU): Was wollen Sie denn jetzt sagen?)

Es ist also der vergleichsweise schlecht bezahlte Mann in Schwarz, der das Spiel überhaupt erst ermöglicht, indem er die Spielregeln durchsetzt.

(Zuruf von der SPD: Oh, die armen Richter!)

Im Spiel unserer Gesellschaft sind es die Richterinnen und Richter, die die Regeln unserer Gesellschaft durchsetzen.

(Wolfgang Wieland (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sie sind ja so schlecht bezahlt! Otto Fricke (FDP): Sind die schlecht bezahlt?)

Auch sie kosten wenig und sind dennoch unentbehrlich für den Zusammenhalt und die Funktionsfähigkeit unserer Gesellschaft.

(Wolfgang Wieland (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Alles Hartz-IV-Opfer in diesem Land!)

Deswegen ist es bei dieser Sachlage völlig unverständlich, dass wir der Justiz nicht die sächlichen und personellen Mittel zur Verfügung stellen, die sie braucht, um dieser unentbehrlichen Funktion gerecht zu werden.

(Beifall bei der LINKEN)

Aus diesem Grunde ist es nicht ausreichend, die Ausgaben für die Justiz allenfalls stabil zu halten. Wir benötigen die Bereitschaft zu deutlichen Mehrausgaben. Wir brauchen diese Mehrausgaben, um den ansteigenden Anforderungen bei gleich bleibender Qualität gerecht zu werden.

(Christine Lambrecht (SPD): Mehr Referenten für die Bundesrichter!)

Die steigende Arbeitslast an den Gerichten führt dazu, dass die Richterinnen und Richter keine Zeit mehr für die Parteien und ihre Probleme haben. Das nehmen Sie nur nicht wahr. Ich empfehle Ihnen, einmal auszuschwärmen und sich bei den Leuten zu erkundigen, wie sie die Lebenswirklichkeit bei den Gerichten erleben.

(Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wir reden nicht über die Landeshaushalte! Christine Lambrecht (SPD): Er will Referenten für Bundesrichter!)

In fast allen Völkern und zu fast allen Zeiten galten die Rechtshüter auch als Hüter der Zeit. Sie hüten das Recht nicht nur in der Zeit, in der sie richten, sondern Zeit ist genau das, was sie für die schwierige Aufgabe brauchen, die ihnen anvertraut ist, nämlich Recht von Unrecht zu trennen. Der Wahrheit Mutter ist nämlich die Zeit und nicht der richterliche Erledigungsautomat. Ihre Haushaltspläne führen aber genau dazu.

(Beifall bei der LINKEN Andreas Schmidt (Mülheim) (CDU/CSU): Das ist doch Ländersache!)

Wir benötigen Mehrausgaben für die Justiz aber auch und vor allem darum, um den Anspruch an eine sozialstaatlich orientierte Justiz endlich einzulösen. Ich erinnere dazu an die Motivlage bei der Beratung unseres Grundgesetzes.
Carlo Schmid beantragte seinerzeit, das Prinzip des sozialen Rechtsstaates in das Grundgesetz aufzunehmen. Den Beratungen dieses Antrags lag eine Studie von Hermann Heller die Sozialdemokraten sollten ihn gut kennen aus dem Jahre 1930 zugrunde. Hermann Heller vertrat darin die These, dass nur die Fortentwicklung des liberalen Rechtsstaates - im Sinne der FDP - in einen sozialen Rechtsstaat ein Umschlagen in die Diktatur verhindern könne. Heller wird es nicht gerne gesehen haben, wie schnell und unerhört grausam ihm die Geschichte Recht gab. Es wäre ein grober Fehler und ein Akt der Überheblichkeit, anzunehmen, dass diese These Hellers nicht erneut bestätigt werden kann.

Ich will Ihnen daher sagen, über welchen Erkenntnisvorsprung Hermann Heller 1930 verfügte, den auch Carlo Schmid 1948 beachtete, damit Sie heute, im Jahre 2006, bei der Beschließung des Einzelplanes 07 nicht wieder in die übliche Gewöhnung an schmale Haushaltspläne verfallen. Heller sah die Notwendigkeit, die Vorstellung vom klassischen liberalen Rechtsstaat fortzuentwickeln, da dessen Recht und Justiz die Freiheit nur im formalen Sinne garantierte. Ob nun jemand als Obdachloser frei über das Land zieht oder ein anderer ein freies Unternehmen gründet: Formal frei sind sie darin beide. Sie werden ihre Freiheit aber ganz verschieden als Last oder Lust wahrnehmen.

Last und Lust treffen sich an der Wahlurne wieder. Heller sah daher die Notwendigkeit, die Zustimmung der Menschen zur Demokratie über die gleichmäßige Gewähr realer Freiheit zu gewinnen und zu erhalten. Wer wenig im Leben hat, braucht demnach viel Unterstützung durch das Recht, und wer viel im Leben hat, den muss das Recht nicht noch weiter mästen.
Für Heller waren Recht und Justiz also nicht ignorante Gleichbehandler, sondern bewusste Gleichmacher, die zu den unterschiedlichen materiellen Lebenssituationen der Menschen einen gesunden Ausgleich zu schaffen haben. Was meinen Sie, wie es sich mit dieser Theorie vertrüge, die Prozesskostenhilfe zu beschränken?

(Beifall bei der LINKEN)

Was denken Sie, wie es mit dieser Theorie einhergeht, den Zugang zu den Gerichten von der Höhe des Streitwertes abhängig zu machen? Was meinen Sie, was Heller wohl zur Einführung einer Sozialgerichtsgebühr zu sagen gehabt hätte? Was glauben Sie, wen eine schlecht ausgestattete Justiz wohl härter trifft: den Bessergestellten, der zur Not den Weg der privaten Streitschlichtung beschreitet, oder den von Ihnen gerade neu wahrgenommenen Angehörigen der Unterschicht?
Wer ist wohl eher auf ein mit Zeit ausgestatteten, also ausgeruhten und konzentrierten Richter angewiesen? Ist es der Hartz-IV-Empfänger, der zur Feststellung der Rechtmäßigkeit seines Leistungsbescheides in der ersten Instanz prozessiert oder der Unternehmer, der an irgendeinem Landgericht in der Verhandlungspause bereits mit seinem Anwalt die Möglichkeiten einer Berufung berät?
Die Antworten liegen auf der Hand: Sie liegen in der Verfassung. Denn der eingangs erwähnte Antrag Carlo Schmids hatte Erfolg und wirkt somit bis heute. Ob Sie es wollen oder nicht: Die Theorie Hellers hat es bis ins Grundgesetz geschafft. Das können Sie wegen der Ewigkeitsklausel in Art. 79 Abs. 3 des Grundgesetzes nicht ändern. Sie können es allenfalls ignorieren und genau das tun Sie.

Wir leben in einem Staat, in den dieses Prinzip Eingang gefunden hat. Im sozialen Rechtsstaat des Grundgesetzes, in dem wir leben, gibt es diese Wahl für den Gesetzgeber nicht. In ihm gibt es keine Gerechtigkeit nach Kassenlage; vielmehr hat sich die Kassenlage nach den Anforderungen der Gerechtigkeit zu richten. Über nichts anderes stimmen Sie heute ab.

(Michael Grosse-Brömer (CDU/CSU): Abpfiff!)

Vizepräsidentin Petra Pau:
Kollege Neškovic können Sie bitte zum Schluss kommen.

Wolfgang Neškovic (DIE LINKE): Ich komme zum Ende.
Sie entscheiden heute also nicht wieder aus alter Gewöhnung über den wie gewöhnlich zu schmal geratenen Etat für das gewöhnliche Justizwesen. Sie entscheiden heute über einen Haushalt, der dem sozialen Rechtsstaat in keiner Weise gerecht wird.
Ich danke Ihnen.

(Beifall bei der LINKEN)