Zum Hauptinhalt springen

Keine Anrechnung von Ferienjobs auf Hartz IV

Rede von Matthias W. Birkwald,

Erste Rede von Herrn Matthias W. Birkwald, MdB

Fraktion DIE LINKE

7. Sitzung des Deutschen Bundestages am Donnerstag, den 26. November 2009

TOP 13

Beratung des Antrags

der Abgeordneten Katja Kipping, Klaus Ernst, Dr. Gesine Lötzsch,

weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE

Keine Anrechnung von Ferienjobs auf das Arbeitslosengeld II

- Drucksache 17/76 -

 

Sehr geehrter Herr Präsident!
Meine sehr geehrten Damen und Herren!

Viele Schülerinnen und Schüler jobben in den Schulferien, um sich etwas zu erarbeiten, zum Beispiel einen PC, Reitunterricht oder ein Mofa. Ich kann mich noch gut an meine Ferienjobs als Bahnpostfahrer oder am Fließband in der Hundekuchenproduktion erinnern. Nach einigen Wochen den selbstverdienten Lohn in den Händen zu halten, das war sehr befriedigend. Für Jugendliche aus Hartz-IV-Familien gilt das nicht. Sie können sich so viel anstrengen, wie sie wollen. Weil sie in sogenannten Bedarfsgemeinschaften leben, werden ihre Einkommen bis auf einen kleinen Betrag angerechnet. Das heißt, der Familie des Ferienjobbers oder der Ferienjobberin wird das Sozialgeld gekürzt, weil die Tochter oder der Sohn in den Ferien etwas geleistet hat.

Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist nicht nur leistungsfeindlich. Es ist auch ungerecht, und vor allem demütigt es die betroffenen Jugendlichen.

(Beifall bei der LINKEN - sowie bei Abgeordneten
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Der Ferienjob wird für die Schülerinnen und Schüler aus armen Familien fast zu einem Nullsummenspiel. Die Anrechnung der Ferienjobs diskriminiert Jugendliche aus Arbeitslosengeld-II-Haushalten, und sie demotiviert die Betroffenen. Durch die Kürzung wird ihnen der Eindruck vermittelt, dass sich ihre Leistung nicht lohnt. Das Gegenteil ist doch richtig: Die Eigeninitiative junger Schülerinnen und Schüler muss honoriert und darf nicht bestraft werden.

(Beifall bei der LINKEN - Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Einverstanden!)

Während andere über ihre Einkünfte aus Ferienjobs beliebig verfügen können, bleibt den Schülerinnen und Schülern aus SGB-II-Haushalten fast nichts übrig. Dabei sind diejenigen, die von ihren Eltern wenig bekommen können, weil sie selbst nichts haben, ganz besonders auf das Geld aus dem Ferienjob angewiesen. Nein, diese zusätzliche Benachteiligung ist entwürdigend, und sie muss dringend korrigiert werden.

(Beifall bei der LINKEN)

Meine Damen und Herren, die Linksfraktion rechnet dabei mit Ihrer Unterstützung. Schließlich hatten Vertreter fast aller Fraktionen im Fernsehen erklärt, dass dieser Unsinn geändert werden muss. In der Sendung „Hart aber fair“ vom 26. August dieses Jahres, also mitten im Wahlkampf, wurde der Fall der 15-jährigen Laura geschildert. Sie hatte sich in den Ferien einen elektronischen Bass erarbeitet, und ihrer Mutter wurde daraufhin das Sozialgeld gekürzt.

Dazu sagte der Vorsitzende der CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag in der ARD - ich zitiere -: Wir müssen uns das noch mal sehr ge-nau anschauen. Ich will, dass ein solcher Fall nicht bestehen bleibt. Volker Kauder versprach - Zitat -: Ich sage Ihnen: Dieser Fall wird geregelt werden. Der wird so nicht mehr vorkommen können. Zitat Ende.

Klaus Wowereit, heute stellvertretender SPD-Vorsitzender, versprach - Zitat -: Da muss eine Korrektur her. … Da gibt es eine Gerechtigkeitslücke, die geschlossen werden muss. Zitat Ende.

Für die Grünen forderte Fritz Kuhn in der Sendung - Zitat -: Ferienarbeit muss ein zweckbestimmtes Einkommen sein. Sie darf nicht angerechnet werden.

So weit, so gut.

(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Hat die FDP
denn gar nichts dazu gesagt?)

Am 8. September dieses Jahres wurde hier im Plenum über den Antrag der Linken dazu abgestimmt. Was geschah? Die Grünen stimmten mit Ja, die FDP enthielt sich, aber SPD und Union lehnten unseren Antrag ab.

(Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Pfui!)

Versprochen - gebrochen.

Meine Damen und Herren, auch wir Linken kennen die Geschichte von Saulus, der zum Paulus wurde, sehr gut.

(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Oh! Die steht aber doch gar nicht im Kommunistischen
Manifest!)

Lassen Sie uns gemeinsam dafür sorgen, dass die Söhne und Töchter von Erwerbslosen bei der Ferienarbeit genauso behandelt werden wie die Kinder von Normalverdienenden oder Wohlhabenden. Von der Anrechnungsfreiheit der Ferienjobs ginge die Bundesrepublik Deutschland nicht unter und auch nicht pleite. Stehen Sie zu Ihrem Wort.

Danke schön.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten
des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Präsident Dr. Norbert Lammert:
Lieber Kollege Birkwald, das war Ihre erste Rede im Deutschen Bundestag, zu der ich Ihnen herzlich gratulieren möchte.

(Beifall)

Wäre diese Debatte live im Fernsehen übertragen worden, was, wie Sie wissen, nur noch selten vorkommt,

(Heiterkeit)

hätte sie außer der Aufmerksamkeit im Plenum bei überschaubarer Besetzung der Tribünen sicher eine beachtliche zusätzliche Aufmerksamkeit gefunden, die nun über das pünktlich fertiggestellte Protokoll des Deutschen Bundestages hoffentlich hergestellt wird.

Die Rede zum Anschauen gibt es hier:

http://webtv.bundestag.de/iptv/player/macros/bttv/list.html?pageOffset=0&pageLength=20&lastName=Birkwald&firstName=Matthias+W.&sort=1

(ggf. den Link in Ihren Browser kopieren)