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Kein großer Wurf

Rede von Wolfgang Neskovic,

Als der Gesetzgeber das Insolvenzverfahren mit Wirkung des 1. Januar 1999 umfänglich neu gestaltete, erwartete die Öffentlichkeit zu Recht, eine Beobachtung und Aufbereitung der Auswirkungen dieser Neuregelungen.

Für das Regelinsolvenzverfahren will nun die Bundesregierung mit ihrem aktuellen Gesetzentwurf diesem Anspruch recht spät noch gerecht werden. Sie tut es nicht. Vor allem § 113 Insolvenzordnung, der eine unerträgliche Aushöhlung des gesetzlichen, vertraglichen und tarifvertraglichen Kündigungsschutz bedeutet, soll unverändert weiter gelten.

Sehr geehrte Frau Präsidentin, meine sehr verehrten Damen und Herren,

der vorliegende Entwurf ist tatsächlich geeignet, dem Regel-Insolvenzverfahren einige begrüßenswerte Vereinfachungen zu bescheren. Sie werden aber verstehen, dass ich mich mit meiner knappen Redezeit zunächst solchen Aspekte des Entwurfs widmen werde, die mir nicht gefallen und das Lob strategisch an das Ende stelle.

Ausweislich der Entwurfsbegründung erheben die Entwurfsverfasser für sich den sehr umfassenden Anspruch, die Erfahrungen aus der Reform des Jahres 1999 einer Evaluierung unterzogen und die daraus zu behebenden Mängel erkannt und beseitigt zu haben. Dem ist zu widersprechen.

Der Entwurf leidet vor allem an solchen Mängel, die er gerade nicht beseitigt. Kaum ein Wort verliert der Entwurf zum Insolvenzarbeitsrecht, insbesondere keines zu der Notwendigkeit einer Neufassung des § 113 Insolvenzordnung. Dabei hat die befasste Bund-Ländergruppe diesem Thema in ihrem Abschlussbericht immerhin neun dichte Seiten gewidmet, in denen sie ihrer ablehnenden Stellungnahme zumindest Erwägungen des Für und Wider zur Seite stellt. Im vorliegenden Entwurf vermisse ich diese Auseinandersetzung.

Vor allem die Gewerkschaften haben in der Vergangenheit wiederholt und deutlich auf einen Novellierungsbedarf zu § 113 Insolvenzordnung hingewiesen. Zu Recht. Denn die durch § 113 Insolvenzordnung ermöglichte dreimonatige Fristprivilegierung für die Kündigung von Dienstverhältnissen - unterhalb der individual-vertraglichen, tarifvertraglichen und der gesetzlichen Grenzen - ist schlicht unerträglich.
§ 113 enthält ein Menschenbild, dass abzulehnen ist und dass der vorliegende Entwurf jedoch bestätigt: Die Beschäftigten eines Unternehmens sind gerade kein Hindernis zur Sanierung und auch keine zu vermeidende Belastung der Insolvenzmasse.
Die Beschäftigten sind vielmehr die ersten und wichtigsten Gläubiger dieser Masse, denn sie haben dem Unternehmen seine Masse beschert, indem sie diesem Unternehmen an jedem Arbeitstag ihre Kraft, ihren Einsatz, ihre Zeit und einen großen Teil ihrer Freiheit geopfert haben.
Es sind daher ihre Beschäftigung und ihre unverkürzten Ansprüche, die absoluten Vorzug verdienen und vor jeder Beeinträchtigung zu schützen sind. Die Macher des § 113 Insolvenzordnung dagegen überlassen die Beschäftigten zum baldmöglichsten Zeitpunkt sich selbst und schützen stattdessen vorwiegend die Kreditgeber und die Geschäftspartner des Unternehmens.

Des Weiteren sieht der Entwurf - trotz der bejahenden und eindeutigen Empfehlung der Bund-Ländergruppe Insolvenzrecht - immer noch keine gerichtliche Überprüfung der Feststellung der Masseunzulänglichkeit durch den Insolvenzverwalter vor. Der Entwurf begründet dies in erster Linie mit fehlenden Dokumentationen zum Bedarf eines solchen Rechtsmittels.
Ich erinnere zum Verständnis des Problems an die geltende Rechtslage, insbesondere daran, dass das Mittel der Erinnerung gemäß § 766 Zivilprozessordnung für den angesprochenen Fall gerade keine Handhabe bietet.

Demnach ist eine judikative Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Masseunzulänglichkeitsfeststellung allenfalls inzident möglich und zwar im Rahmen der prozessgerichtlichen Beurteilung einer Haftung des Insolvenzverwalters. Dessen Haftung wollten Sie als Gläubiger vielleicht gar nicht breit klären lassen. Dennoch ist diese Erörterung derzeit der einzige Weg, um zur Beurteilung Ihres eigentlichen Problems zu gelangen.

Und es ist dies ein ungerechter Weg, da er Jeden, der nur mit der Masseunzulänglichkeitsprüfung unzufrieden ist, zwingt, den Insolvenzverwalter in die Haftung zu nehmen, obwohl er ansonsten dazu weder Antrieb noch Veranlassung hätte. Die Entwurfsersteller stellen fest, zur Häufigkeit solcher Umgehungsprozesse lägen leider ebenfalls keine Dokumentationen vor.
Man kann die Entwurfsersteller beruhigen. Dokumentationen sind gar nicht erforderlich. Denn selbst wenn sich bis heute kein Bedarf nach einem gesonderten Rechtsmittel gegen Masseunzulänglichkeitsanzeigen herausgestellt hätte oder sich dieser Bedarf niemals dokumentieren ließe, gilt dennoch: Der Justizgewähranspruch ein Prinzip jenseits von Angebot und Nachfrage.

Zu allen Akten der öffentlichen Gewalt ist in einem Rechtsstaat zwingend judikative Kontrolle bereitzustellen.
Auch das Lob zum Schluss betrifft eine Auslassung im Entwurf. Jedoch in diesem Fall eine sehr sinnvolle Auslassung, für die sich auch die LINKE stark gemacht hat.

Was in diesem Entwurf dankbarerweise nicht erneut auftaucht, ist der Versuch einer Selbstprivilegierung der öffentlichen Hand im Insolvenzverfahren.Diesen Versuch gab es im Mai.

Als die Mehrheit dieses Hauses während der 35. Sitzung den Regierungsentwurfes eines „Gesetzes zum Pfändungsschutz der Altersvorsorge und zur Anpassung des Rechts der Insolvenzanfechtung“ kritiklos durch die erste Beratung winkte, hatte sie gar nicht bemerkt, dass sich hinter dem harmlosen Namen des Entwurfs auch eine teilweise Wiedereinführung des Fiskusprivilegs verbarg.

Es folgte das bisher einzigartige Beispiel für einen echten Diskurs im Rechtsauschuss, in dem es den Vertretern der Opposition gemeinsam mit den Sachverständigen gelang, die Vertreter der Koalition und die Entwurfsersteller des Ministeriums von diesem Vorhaben vorläufig abzubringen.

Wir hoffen, dass die bessere Einsicht bis zur Beschlussfassung anhält und auch für die Diskussion zum vorliegenden Gesetzesentwurf nicht abhanden kommt. Ich danke Ihnen.