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Kein einziger Vorschlag zur Regulierung der Finanzmärkte

Rede von Oskar Lafontaine,

Herr Kollege Eichel, auch ich darf Ihnen viel Glück für Ihre Zukunft wünschen. Als Ihr Nachfolger - in der Rednerliste natürlich - möchte ich dies besonders betonen.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Bundeskanzlerin hat eine Regierungserklärung zu den Themen des G 8-Gipfels abgegeben. Sie hat zehn Themen oder mehr angesprochen. Ich kann mich aus Zeitgründen nur einem Thema zuwenden, der Finanzkrise.

Die Bundeskanzlerin hat in ihrer Regierungserklärung den Satz wiederholt, man habe im internationalen Rahmen eine klare Verpflichtung für eine neue Finanzmarktverfassung auf den Weg gebracht. Ich möchte betonen, dass solche Erklärungen seit mindestens 20 Jahren auf internationaler Ebene abgegeben werden. Die Frage ist also nicht, ob heute wieder solche Erklärungen abgegeben werden, sondern die Frage muss lauten: Was soll konkret wann und wo geschehen? Dazu haben wir leider überhaupt nichts gehört.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich möchte drei Quellen zitieren, um das zu beleuchten. Die erste Quelle ist der Präsident des BDI. Er sagt:

Ich fürchte, dass auf den globalen Finanzmärkten das Kasino schon wieder eröffnet wird.

Ich will es präzisieren: Es ist bereits wieder eröffnet. Das ist das große Problem unserer Zeit.

(Beifall bei der LINKEN)

Das Kasino läuft ohne jede Einschränkung weiter.

Die zweite Quelle ist ein Artikel des Spiegel von dieser Woche, in dem es schlicht und einfach heißt:

Die Notenbanken teilen den Kreditinstituten Rekordsummen zu, doch die geben die Milliarden nicht weiter. Der Wirtschaft droht eine Kreditklemme - während die Banken mit dem Geld glänzende Geschäfte machen.

Es wäre doch das Mindeste gewesen, dass die Bundeskanzlerin auf diesen Sachverhalt eingeht und einmal Vorschläge macht, wie die Kreditklemme überwunden werden kann.

(Beifall bei der LINKEN)

Es ist doch kaum zumutbar, wenn Allgemeinplätze in Serie abgelassen werden, ohne dass die drängendsten Probleme unserer Zeit auch nur angedeutet, geschweige denn irgendwelche Lösungsansätze hierfür vorgetragen werden.

Meine letzte Quelle ist ein Kommentar in der Süddeutschen Zeitung zu den Regulierungsmaßnahmen in den USA:

Minister Geithner verzichtet darauf, die Zahl der Regulierungsbehörden in den USA zu reduzieren. Es bleibt bei dem schädlichen Wirrwarr. Viele Banken hatten die unzähligen Lücken im System meisterhaft genutzt und missbraucht.

Wenn Sie jetzt auf europäischer Ebene neue Behörden schaffen, besteht die Gefahr, dass dieses Urteil auch in vollem Umfang auf die Regulierungsvorschläge der EU zutrifft. Viele Behörden garantieren eben nicht automatisch eine Regulierung. Sie schaffen eher Wirrwarr, und damit wird den Banken die Möglichkeit gegeben, weiterhin das System zu unterlaufen.

(Beifall bei der LINKEN)
Meine Damen und Herren, ich hätte erwartet, dass die Bundeskanzlerin wenigstens einen Vorschlag macht, wie denn international für Regulierung gesorgt werden soll - wenigstens einen einzigen. Leider haben wir keinen gehört. Deshalb möchte ich drei Vorschläge, die es auf internationaler Ebene gibt, noch einmal in Erinnerung rufen:

Erstens. Wir sind der Überzeugung, dass eine Wechselkursstabilisierung stattfinden muss. Es gibt derzeit auch Wechselkurskrisen; über diese wird viel zu wenig geredet. Es ist nötig, Bandbreiten insbesondere zwischen den Leitwährungen festzulegen. Es wäre eine interessante Frage, wie sich die Bundesregierung zu diesem international seit vielen Jahren gemachten Vorschlag stellt.

Zweitens. Wir brauchen eine Regulierung des Kapitalverkehrs. Wer wissen will, wie das geht, möge sich die Regulierung der 80er-Jahre ansehen. Da gab es einen regulierten Kapitalverkehr. Oder er nehme die ungezählten Stellungnahmen auch von Leuten, die von der Deregulierung profitiert haben, zur Kenntnis, zum Beispiel von Herrn Soros, und äußere sich dann dazu, in welcher Form er den internationalen Kapitalverkehr regulieren will. Wer dazu aber keinen einzigen Vorschlag bringt, ist nicht in der Lage, eine sachgemäße Antwort auf die gegenwärtige Krise zu geben.

(Beifall bei der LINKEN - Thomas Oppermann (SPD): 80 Punkte!)

Drittens. Wenn es nicht gelingt, die wichtigsten Leitwährungen über diese Regulierungen in ein vernünftiges Verhältnis zueinander zu bringen, dann muss man auf den Vorschlag der Sonderziehungsrechte zurückgreifen, also auf den Vorschlag, den US-Dollar durch eine andere Leitwährung zu ersetzen. Es würde mich interessieren, ob die Regierung solche Vorschläge überhaupt einmal zur Kenntnis genommen und darüber diskutiert hat und, wenn ja, welche Stellung sie dazu bezieht. Ich stelle hier aber fest, dass es zwar das hehre Bekenntnis gibt, auf internationaler Ebene irgendetwas zum Besten zu wenden, aber kein einziger Vorschlag gemacht wurde, wie das denn geschehen könnte. Die Bundesregierung hat international völlig versagt.

(Beifall bei der LINKEN - Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU): Sie national!)

Nun kommen wir zur Regulierung auf nationaler Ebene. Es ist ja das übliche Spiel, dass man, wenn man national nichts zustande bringt, auf die internationale Ebene ausweicht. Ich habe hier aus dem Spiegel-Artikel den Satz „Die Notenbanken teilen den Kreditinstituten Rekordsummen zu“ erwähnt. Davon kommt aber nichts bzw. - ich muss mich präzisieren - viel zu wenig beim Mittelstand an. Man muss doch sagen, was man angesichts dessen tun will. Unsere Antwort ist klar: Wie nach der großen Depression in den Vereinigten Staaten und wie nach der Krise in Schweden ist jetzt eine staatliche Kontrolle des Bankensektors dringend notwendig, sonst bekommt man die Krise in Deutschland nicht in den Griff. Auch die Kreditklemme wird man sonst nicht in den Griff bekommen.

(Beifall bei der LINKEN)

Es sind nämlich immer noch Risiken in einem Ausmaß in den Bilanzen, dass ein ordentliches Geschäft überhaupt nicht möglich ist. Die Analyse des Spiegel, also nicht die der Fraktion der Linken, sagt ja alles: Das Geld, das die Notenbanken ausgeben, kommt schlicht und einfach nicht in der Realwirtschaft an. Es wäre jetzt aber nicht nur wichtig, die Banken zu stabilisieren, sondern noch viel wichtiger wäre es, die Realwirtschaft zu stabilisieren. Wenn Sie nicht dafür sorgen, dass das Geld auch bei dieser ankommt, versagen Sie auch in diesem Punkt, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der LINKEN)

Es wäre schön, wenn Sie sich dazu durchringen könnten und es gelingen würde, die Banken in staatliche Regie zu übernehmen. Selbst Professor Sinn - er ist doch Ihr Hauptratgeber - schlägt Ihnen das vor; dafür könnte man ihm auf Knien danken. Es wäre jetzt an der Zeit, dass Sie darüber nachdenken. Sie könnten einfach einmal experimentelle Ansätze nutzen und den schwedischen Weg einschlagen; die Schweden haben das ja hinbekommen. Aber Sie lassen weiterhin Banken - ich muss das immer wieder betonen -, die Sie mit 18 Milliarden Euro unterstützen und am Leben erhalten, krumme und sogar kriminelle Geschäfte machen. Damit ist schon an diesem einen Fall der Commerzbank bewiesen, dass Sie völlig ungeeignet sind, die Krise in den Griff zu bekommen oder gar zu lösen.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich möchte noch einmal wiederholen, welche Regulierungen auf nationaler Ebene notwendig sind - es könnte ja sein, dass irgendjemand doch einmal dazu Stellung nimmt -:

Erstens. Wir müssen die kriminellen Geschäfte mit Steueroasen unterbinden. Das ist national regelbar, und das ist auch überhaupt kein Problem. Man muss solche Geschäfte mit Strafe belegen. Warum sagen Sie dazu nichts? Warum reden Sie nur wolkig über die Köpfe der Menschen hinweg? Es wird weiterhin Geld in Steueroasen verschoben, und es werden weiterhin kriminelle Geschäfte gemacht. Sie sind die Hehlerin bzw. der Hehler dieser Geschäfte. Sie sollten sich endlich dieser Frage stellen.

(Beifall bei der LINKEN)

Zweitens. Es werden weiterhin Geschäfte außerhalb der Bilanz getätigt, weil die entsprechende nationale Regulierung fehlt. Auch hier möchte ich daran erinnern: Da man in der Lage war, die Zweckgesellschaften national zu erlauben, ist man auch in der Lage, sie national wieder zu untersagen.

(Beifall bei der LINKEN)

Das Mindeste, was hier geschehen müsste, wäre, Klarheit in den Bilanzen zu schaffen.

Drittens. Es ist ja abenteuerlich: Wir haben mittlerweile sehr viel über die Giftpapiere gehört, und das ist eigentlich eine harmlose Umschreibung. Es hört sich so an, als wäre lediglich ein Gift in den Bankensektor geflossen. Nein, es sind vielmehr Konstrukte, die Verantwortlichkeiten zuweisen. Aber dass diese Giftpapiere auch heutzutage noch einfach so mir nichts, dir nichts überall gehandelt werden, ist kaum zu glauben. Selbst Banken, die zu 100 Prozent in Bundesbesitz sind, handeln weiterhin mit verbrieften Krediten. Diese Banken interessiert es überhaupt nicht, was Sie hier erzählen. Sie handeln einfach weiter mit diesen Giftpapieren. Ich fordere hier für meine Fraktion, den Handel mit solchen Schrott- bzw. Giftpapieren zu untersagen.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich komme viertens zur Regulierung der Hedgefonds. Diesen Punkt hat die Kanzlerin immerhin allgemein angesprochen. Hier wüssten wir gerne konkret, wie dies aussehen soll. Da geht es in erster Linie um die ungeheure Hebelwirkung und die daraus resultierenden Folgen. Hierzu muss man eine Regulierung konkret vorschlagen und hier in der Bundesrepublik anfangen. So kann es doch nicht weitergehen, weil das Wirken der Hedgefonds letztendlich zum Verlust von vielen Arbeitsplätzen führt, um einmal den Zusammenhang an dieser Stelle deutlich zu machen.

(Beifall bei der LINKEN)

Meine sehr geehrten Damen und Herren, aus Zeitgründen möchte ich einen weiteren Punkt nur kurz ansprechen: Hier wird des Öfteren der Klimawandel angeführt. Auch dieser hat etwas mit der Finanzkrise zu tun. Denn das Stichwort Deregulierung hat auch etwas mit der Frage, wie international gewirtschaftet worden ist, zu tun. Ich möchte es noch deutlicher sagen: Solange 25 Prozent Rendite die Ziele der Akteure auf den Finanzmärkten sind, ist eine nachhaltige CO2-Reduzierung bis 2050 eine pure Illusion.

(Beifall bei der LINKEN)

Solche Renditeziele zwingen dazu, die Kosten zu externalisieren, wie es so schön im Fachchinesisch heißt. Sie zwingen dazu, den Umweltschutz zu vernachlässigen, weil der Umweltschutz als lästiger Kostenfaktor betrachtet wird. Deshalb ist eine Umkehr bei den internationalen Renditevorgaben Voraussetzung, wenn man ein nachhaltiges Wirtschaften in Angriff nehmen will.

(Beifall bei der LINKEN)

Es ist interessant, dass bei solchen Regierungserklärungen immer wieder gesagt wird: Wir wollen alles tun, damit sich eine solche Krise nie wieder wiederholt. - Diesen Satz habe ich auch von der Kanzlerin, die übrigens weg ist, gehört. Ich möchte wissen, was sie damit bezweckt

(Zurufe von der CDU/CSU: Sie ist hier! Ihnen fehlt der Überblick!)

und wem sie damit imponieren will. Ich möchte es hier einmal sagen, Herr Präsident: Wenn ein Regierungschef auf kommunaler, Landes- oder Bundesebene eine Erklärung abgibt, dann ist es parlamentarische Gepflogenheit, dass er sich auch die Ausführungen der Opposition dazu anhört. Wer dies nicht tut, verrät schlicht und einfach, dass er parlamentarische Gepflogenheiten nicht kennt.

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Dr. Guido Westerwelle (FDP) - Zurufe von der CDU/CSU: Sie sitzt doch hinten!)

- Ich weiß nicht, wo ich die Frau Bundeskanzlerin suchen soll.

(Hartwig Fischer (Göttingen) (CDU/CSU): Sie ist doch da!)
Sie äußert so oft, dass Deutschland gestärkt aus der Krise hervorgehen wird. Ich wünsche mir, dass Sie insoweit gestärkt aus der Krise hervorgehen, dass Sie sich kritische Reden anhören können. Das wäre die Mindestvoraussetzung für eine Kanzlerin, damit sie gestärkt aus der Krise hervorgehen kann.

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Dr. Guido Westerwelle (FDP) - Hartwig Fischer (Göttingen) (CDU/CSU): Sie sind aber sehr kurzsichtig!)

Wir haben in den letzten Jahren vor allem eines festgestellt: Verantwortungsloses Handeln nicht nur im Bankensektor, sondern auch in der Realwirtschaft hat immer mehr Arbeitsplätze zerstört. Ich erinnere an die Fälle, die in aller Munde sind, in denen mit dem Industrievermögen spekuliert worden ist: Schaeffler, Porsche, Merckle - auch tragische Fälle sollen hier genannt werden.

Unsere Antwort auf diese Krise ist die, dass die Belegschaften in Zukunft stärker an all diesen Entscheidungen beteiligt werden müssen. Denn wir sind von einem zutiefst überzeugt: Einzelne, die ein Milliardenvermögen ihr Eigen nennen, werden es auch in Zukunft nicht unterlassen, weiter zu spekulieren, sondern nur die Gesamtbelegschaft, die haftet und um die Existenz ihrer Arbeitsplätze fürchtet, wird solche unverantwortlichen Spekulationen verhindern. Das ist für uns die entscheidende Antwort auf die Finanzkrise.

(Beifall bei der LINKEN)

Meine Damen und Herren, ich fasse zusammen: Die entscheidende Frage ist zunächst einmal, ob wir zu regulieren bereit sind. Ich stelle hier fest, dass ich von der Bundeskanzlerin keinen einzigen Regulierungsvorschlag gehört habe. Sie hat sich damit das denkbar schlechteste Zeugnis ausgestellt.

Die zweite Frage ist: Wer soll eigentlich die Zeche für die Krise zahlen? Ich muss anerkennen, dass Westerwelle immerhin etwas vorsichtiger geworden ist. Er redet jetzt von einem fairen Steuersystem.

(Dr. Guido Westerwelle (FDP): Das mache ich schon seit vielen Jahren!)

Ich weiß nicht, ob Sie die Akzentverschiebung bemerkt haben. Er hat anscheinend erkannt, dass Steuersenkungsversprechen in der jetzigen Situation mehr oder weniger albern und lächerlich sind.

Die entscheidende Frage ist aber die: Wer soll die Zeche für diese Krise zahlen? Alles, was wir gehört haben - zum Beispiel in Sachen Mehrwertsteuer -, deutet darauf hin, dass Sie wie bisher weitermachen wollen. Dies wird die entscheidende Auseinandersetzung der kommenden Monate sein. Es darf nicht sein, dass Arbeitnehmer, Rentner und sozial Bedürftige die Zeche für dieses verantwortungslose Handeln zahlen müssen.

(Beifall bei der LINKEN)