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Justiz noch bürgerfreundlicher

Rede von Jens Petermann,

204. Sitzung des Deutschen Bundestages, 8. November 2012
TOP 33: Zweite und Dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Einführung einer Rechtsbehelfsbelehrung im Zivilprozess
Drucksache 17/ 10490
Jens Petermann für die Fraktion DIE LINKE - Rede zu Protokoll

Sehr geehrte(r) Herr/Frau Präsident(in), meine sehr geehrten Damen und Herren,
ich begrüße sehr, dass die Bundesregierung den Bürgerinnen und Bürgern die Orientierung im Instanzenzug des Zivilprozesses - einschließlich der Zwangsvollstreckung - erleichtern möchte. Das ist ein Schritt Richtung bürgerfreundliche Justiz und bringt für die Rechtsunkundigen etwas mehr Durchblick im Gesetzesdschungel.
Für Entscheidungen im Zivilprozess sind derzeit Rechtsbehelfsbelehrungen nicht vorgeschrieben. Dennoch kann man Rechtsbehelfs- und Rechtsmittelbelehrungen, anders als im Gesetzentwurf behauptet, durchaus als verfassungsrechtlich geboten ansehen. Dies folgt aus den Artikeln 19 Absatz 4 und 20 Absatz 1 GG. Rechtsstaatsprinzip und Justizgewährleistungsanspruch garantieren die Rechtswegklarheit und damit auch die Rechtsmittelklarheit. Eine Rechtsbehelfsbelehrung vermindert die Gefahr unzulässiger Rechtsbehelfe, weil sich Form, Frist und zuständiges Gericht für den Rechtsbehelf nicht aus der Entscheidung selbst entnehmen lassen, sondern mühevoll aus dem Gesetz abgeleitet werden müssen, was fehlerträchtig ist. Damit kann sich die neue Bürgerfreundlichkeit auch justizentlastend auswirken.
In einem neuen § 232 ZPO wird die "Rechtsbehelfsbelehrung" geregelt, wonach jede anfechtbare gerichtliche Entscheidung eine Belehrung über das statthafte Rechtsmittel, das zuständige Gericht und über die Form und Frist enthalten muss. Ausgenommen sind Verfahren mit Anwaltszwang, also grundsätzlich alle zivilrechtlichen Angelegenheiten ab Landgerichtszuständigkeit. Ob eine Einschränkung auf Verfahren ohne Anwaltszwang bzw. Anwaltsbeteiligung sinnvoll ist, kann man in Frage stellen. Natürlich sollte ein Anwalt und damit die anwaltlich vertretene Partei immer wissen, wie und innerhalb welcher Frist sie sich gegen Entscheidungen verteidigen kann. Allerdings folgt aus der Differenzierung anwaltlich vertreten und nicht anwaltlich vertreten ein administrativer Aufwand für die Geschäftsstellen der Gerichte, ohne dass dem ein Nutzen gegenübersteht. Es schadet nicht - weder der Partei noch dem Anwalt - von dem Gericht über das nach dessen Sicht zulässige Rechtsmittel bzw. den Rechtsbehelf informiert zu werden. Es sind keine Nachteile oder Bedenken ersichtlich, die gegen eine solche Information auch bei anwaltlicher Vertretung sprechen. Es würde mithin Gerichten und sonstigen berufenen Stellen die Arbeit erleichtern, wenn sie stets ihre Entscheidungen damit versehen müssten; in anderen Verfahrensordnungen ist eine derartige Einschränkung auch nicht üblich. Effiziente und weitsichtige Gesetzgebungspraxis muss sich daran messen lassen.
Sollte nun das Gericht bei einer Entscheidung, die sie an einen nicht anwaltlich vertretenen Verfahrensbeteiligten zustellt, die Rechtsmittel- und Rechtsbehelfsbelehrung vergessen oder fehlerhaft ausstellen, so führt dies bei Versäumung der Rechtsmittelfrist zu einem Wiedereinsetzunganspruch in den vorherigen Stand und der Verfahrensbeteiligte wird so gestellt, als hätte er die Frist nicht versäumt. Nach diesem Schema werden eine Reihe weiterer Vorschriften u.a. im Justizvergütungs- und Justizentschädigungsgesetz, im Rechtsanwaltsvergütungsgesetz, Gerichtskosten- und Gerichtsvollzieherkostengesetz etc. ergänzt.
Dennoch kann ich dem BMJ ein paar kritische Worte nicht ersparen– nicht nur ich warte immer noch auf den Tag, an dem das Bundesjustizministerium zu einem mängelfreien Gesetzentwurf beglückwünscht werden kann. Am heutigen Tag ist das leider nicht möglich, denn der Entwurf enthält weitere Änderungen, die mit dieser Thematik nichts zu tun haben. Artikel 4 des Gesetzentwurfes - Änderung des Rechtspflegergesetzes - setzt augenscheinlich einen deutsch-österreichischen Konkursvertrag um. Artikel 5 ändert die Zulässigkeitsregelungen für Vorlagen an den Gemeinsamen Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes; dort soll das Verfahren effektiviert werden, indem vor Vorlage abzuklären ist, ob der Senat, von dessen Rechtsprechung abgewichen werden soll, überhaupt daran festhalten will. Artikel 6 - Änderung des FamFG - ändert auch Normen im Bereich der Zwangsmaßnahmen wie der gewaltsamen Öffnung der Wohnung zur Vorführung zur Untersuchung in Betreuungssachen. Frau Justizministerin, erklären sie mir einmal, was die Einführung der Rechtsbehelfsbelehrung im Zivilprozess mit gewaltsamem Öffnen von Wohnungen zu tun hat? Wenigstens versuchen Sie nicht diese Regelungen, die Zwangsmaßnahmen erlauben, hinterrücks auszuweiten. Das Argument, mit dem Huckpackverfahren erspare man sich lauter Einzelinitiativen, ist im Hinblick auf das Transparenzgebot parlamentarischer Verfahren bedenklich. Deshalb appelliere ich erneut an Sie, Frau Ministerin, dass in Zukunft bitte je Gesetzentwurf nur diejenigen Änderungen oder Regelungen enthalten sind, die thematisch, sachlich und fachlich korrespondieren.
Auch wenn Sie mit dem Gesetzentwurf sachfremde Rechtsmaterie wieder still und leise heimlich nebenbei mit regeln wollen, stimmen wir Ihrem Gesetzentwurf zu. Er setzt ein rechtsstaatliches Gebot um, das bereits in vielen Verfahrensordnungen enthalten ist. Die Länder haben auf der 81. Konferenz der Justizministerinnen und Justizminister am 23. und 24. Juni 2010 einstimmig beschlossen, dass Rechtsbehelfsbelehrungen in Verfahren, in denen eine anwaltliche Vertretung nicht vorgeschrieben ist und bei denen die Entscheidungen nur befristet anfechtbar sind, eingeführt werden sollen. Das ist nun begrüßenswerterweise geschehen, auch wenn sie dazu gut zwei Jahre Zeit benötigt haben.