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Jungs Abschusspläne „verschieben rechtsstaatliche und moralische Maßstäbe“

Rede von Paul Schäfer,

Paul Schäfer (Köln) (DIE LINKE):
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir hatten in der alten Bundesrepublik einmal einen Innenminister, der gesagt hat: Ich kann doch nicht immer mit dem Grundgesetz unter dem Arm herumlaufen. Jetzt haben wir einen Minister, der in voller Kenntnis des Grundgesetzes und der aktuellen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts im Grunde genommen sagt: Ich halte mich nicht daran, ich setze mich darüber hinweg.- Ich finde, das ist ein beispielloser Vorgang.
(Beifall bei der LINKEN - Widerspruch bei der CDU/CSU)
In einem solchen Fall ist es besser, der Minister tritt nicht erst nach einem Abschussbefehl zurück, sondern vorher. Die Bundeskanzlerin müsste ihn eigentlich entlassen.
(Beifall bei der LINKEN)
Ich finde, der Hinweis auf die verfassungsrechtliche Klarstellung ist eine Nebelkerze. Das Verfassungsgericht hat im Februar letzten Jahres klargestellt, der Abschuss von Flugzeugen, in denen Unbeteiligte sitzen, sei mit Art. 1 und Art. 2 des Grundgesetzes nicht in Einklang zu bringen.
(Dr. Jürgen Gehb (CDU/CSU): Das finden wir nicht!)
Das ist eine eindeutige Aussage, an der Sie nicht vorbeikommen. Sie gilt genauso wie das absolute Folterverbot. Ich finde, hier muss ganz klar sein: Wer das aufweicht, der macht sich nicht nur strafbar, sondern der verschiebt rechtsstaatliche und moralische Maßstäbe. Das können wir allesamt nicht wollen.
(Beifall bei der LINKEN)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, hier werden Szenarien heraufbeschworen. Sie reden einer vorbeugenden Tötung von Passagieren einer gekaperten Maschine das Wort. Damit beanspruchen Sie, genau zu wissen, wie das Ganze ausgeht. Es heißt, die Menschen in der Maschine würden ohnehin getötet. Wenn es nicht gelingt, die Maschine abzuschießen, würden möglicherweise noch mehr Menschen sterben. Woher wissen Sie, dass das so ausgeht? Es könnte genauso gut sein, dass den Passagieren die Entwaffnung der Terroristen gelingt. Sie aber wollen im Vorfeld darüber entscheiden. Wenn wir sagen: „Der Abschuss wird freigegeben“, dann frage ich: Wie wirkt das auf die Passagiere in dieser Maschine? Haben Sie sich das einmal überlegt? Ich glaube, es ist ganz klar: Sie kommen an dem Leitsatz 3 des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe nicht vorbei. Diese Abwägung von Leben gegen Leben darf es nicht geben.
Ich frage mich, was Sie in dieser Sache geritten hat, wenn Sie Art. 35 des Grundgesetzes ändern bzw. erweitern wollen. Man kann zwar sagen, die Bundeswehr kann im Bereich der inneren Sicherheit neue Zuständigkeiten für sich reklamieren, doch das löst das Problem nicht. Deshalb denken Sie an die Erweiterung von Art. 87 des Grundgesetzes. Auch hierdurch beseitigen Sie das Verfassungsgerichtsurteil nicht; aber es ist ganz klar, worauf dies hinausläuft. Sie sagen, das sei praktisch ein Verteidigungsfall. Wir müssen also gegen eine solche terroristische Attacke quasi mit dem Kriegsrecht antworten. Dazu sage ich: Terrorismus bleibt ein Fall von Schwerstkriminalität und muss entsprechend bekämpft werden. Das ist keine Aufgabe für eine Kriegsführung.
(Beifall bei der LINKEN)
Wenn wir es zulassen, dass hier eine Tür aufgemacht wird, dann orientieren wir uns wirklich am War on Terrorism. Ich habe ein wenig den Verdacht, dass es in diese Richtung gehen soll. Wir haben in den USA aber erlebt, wohin das führt, wenn man sagt: „Wir müssen in einem gewissen Maß die innerstaatliche Mobilmachung gegen den äußeren Feind betreiben“. Dabei bleiben oft Grundrechte und Freiheiten auf der Strecke, oder sie werden beschnitten. Genau diese Entwicklung wollen wir in der Bundesrepublik Deutschland nicht.
(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier (fraktionslos))
Herr Minister, es ist richtig - Sie haben auf dieses Dilemma angespielt -, dass es Grenzsituationen sind, in denen entschieden werden muss. Daher könnten Sie nach Lage der Dinge mildernde Umstände für sich geltend machen. Aber es muss klar sein, dass die Abwägung, die Sie vornehmen, nicht rechtens ist. So zu handeln, das wäre strafbar. Diesem Problem muss man sich stellen. Man kann das nicht im Voraus regeln. Das ist der Punkt, um den es hier geht.
(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier (fraktionslos))
Noch eine Bemerkung zum Schluss. Mindestens genauso schlimm wie ein vorsätzlicher Gesetzesbruch ist es, andere mit hineinzuziehen. Wie wir hören, sollen sogar schon Piloten ausgesucht worden sein, die dazu bereit sind, alle Befehle zu 100 Prozent zu befolgen. Ich finde, das ist ein starkes Stück. Sie sind als Minister nicht aus dem Schneider, wenn Sie zurücktreten, nachdem Sie den Abschussbefehl gegeben haben. Denn dann muss geprüft werden, ob dieser Befehl nicht eine Anstiftung zum Totschlag war. Diese Verantwortung müssen Sie übernehmen. Sie können zurücktreten, die Piloten können nicht einmal das.
Reden Sie den Piloten auch nicht ein, sie brauchten aufgrund des übergesetzlichen Notstands keine Skrupel zu haben. Zentral ist der Hinweis auf § 11 des Soldatengesetzes, in dem es heißt, dass ein Befehl, durch den eine Straftat begangen würde, nicht ausgeführt werden darf. Es ist eine ganz entscheidende Errungenschaft, die auf die Erfahrungen mit der Wehrmacht im Dritten Reich zurückgeht, dass es unseren Soldatinnen und Soldaten möglich sein muss, einen Befehl zu verweigern. Das ist die Umsetzung des Konzepts des Staatsbürgers in Uniform. Diese wichtige Tradition und Errungenschaft der Bundeswehr dürfen wir jetzt nicht aufgeben.
Danke.
(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier (fraktionslos))