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„Jugendverdrossenheit“ endlich ablegen – und bei HARTZ IV damit beginnen!

Rede von Yvonne Ploetz,

Persönliche Erklärung von Yvonne Ploetz vom 25.02.2011 zu Top „Hartz-IV-Vermittlungsausschuss“ im Deutschen Bundestag

Ich lehne den vorliegenden Vorschlag zur Neugestaltung der Hartz-IV-Regelungen mit äußerstem Nachdruck ab. Der Umgang mit Jugendlichen im ALG II-Bezug macht den skandalösen Charakter der Neuregelung besonders deutlich. In meiner Begründung möchte ich deshalb auf diesen Punkt Bezug nehmen.
Die Neuberechnung der Hartz-IV-Sätze, die in den letzten Monaten stattfand, ist unzumutbar. Die Ermittlung des neuen Regelsatzes für 14- bis 18-Jährige basiert auf insgesamt nur 168 Haushalten. Auf Basis einer solch geringen Stichprobe sind keine validen Aussagen möglich – das weiß jeder Studierende der Sozialwissenschaften im ersten Semester! Zudem finden die besonderen Bedarfe junger Menschen bei der Neuberechnung keinerlei Niederschlag. Eine gesunde Ernährung im Wachstum, Mobilität, Ausgaben für Bildung sind auch auf Grundlage der neuen Sätze einfach nicht finanzierbar.
Es bleibt dabei. Hartz IV ist und bleibt eine gesetzlich verordnete Armut – auch bei Jugendlichen und auch auf Basis der neuen Sätze. Wir brauchen eine soziale Sicherung, die die Würde sozial Schwächerer sicherstellt und nicht verletzt.
Ich lehne die Regelung ab, weil mit Hartz-IV keine gesunde Ernährung möglich ist. Ab dem 15. Lebensjahr erhalten Jugendliche im Hartz-IV-Bezug 4,13 € für Nahrungsmittel. Doch selbst „wenn nur die preiswertesten Produkte in ein und der selben Einkaufstätte gekauft werden, reichen die Regelsätze im jugendlichen Alter nicht aus.“ Das bilanzierte das renommierte Forschungsinstitut für Kinderernährung in einer durch DIE LINKE in Auftrag gegeben Studie. Das ist der Bundesregierung bekannt und hat bei der Neuregelung trotzdem keine Berücksichtigung gefunden.
Dieser Punkt ist ein besonderer Skandal. Soziale Benachteiligung und Armut sind selbst schon in hohem Maße mit gesundheitlichen Belastungen verbunden. Die Hartz-IV-Parteien nehmen zusätzlich in Kauf, dass junge Menschen auf Grund zu geringer finanzieller Mittel einem erhöhten Krankheitsrisiko ausgesetzt sind, da sie kein Geld für eine gesunde und ausgewogene Ernährung haben. Und das obwohl jeder weiß, dass Gesundheit eine zentrale Voraussetzung für die gesellschaftliche Teilhabe und Selbstbestimmung der Heranwachsenden ist!
Und auch die Kritik im Grundsatz bleibt bestehen. Hartz IV sollte als arbeitsmarktpolitisches Instrument Menschen wieder schnell in Beschäftigung bringen. Die verfestigte Jugendarbeitslosigkeit zeigt, dass dies auch bei Jugendlichen massiv gescheitert ist. Ein-Euro-Jobs bringen für Heranwachsende gar nichts, sondern führen nur in eine Sackgasse. Und wer sich dagegen wehrt, wird sanktioniert. Ich lehne diese Regelung ab, weil die untragbare Sanktionspraxis des Paragraphen 31 SGB II durch die Neuregelung nicht beendet, sondern fortgeschrieben wird. Jugendlichen kann der Regelsatz bei einem „Vergehen“ sofort um 100 % für drei Monate gekürzt werden. Beim zweiten Vergehen betrifft die Streichung auch die Heizkosten und Miete. Diese verfassungsrechtlich hoch problematischen Regeln wurden durch das Gesetz nicht aufgehoben, obwohl das Bundesverfassungsgericht das Grundrecht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum für „unverfügbar“ erklärt hat. Rund 900 000 junge Menschen waren 2009 auf staatliche Hilfe in Form von Hartz IV angewiesen. Insgesamt wurden in diesem Zeitraum 78.558 Sanktionen gegen die 15- bis 25-Jährigen ausgesprochen. Mit Meldeversäumnissen beläuft sich die Zahl auf 239 989 – so die Angaben, die ich am 19. November 2010 auf eine schriftliche Frage erhalten habe. Dem Regelsatz von 287 Euro stand ein durchschnittlicher Sanktionsbetrag von 269 Euro gegenüber. Viele waren auf Lebensmittelgutscheine angewiesen. Allein im Zeitraum von September bis Dezember wurden 9.927 Gutscheine an Jugendliche ausgegeben.
Studien des Deutschen Jugendinstituts zeigen, dass junge Menschen sehr unterschiedlich auf diese Art von Druck und Sanktionen reagieren. Überschuldung im Jugendalter ist hier nur eine mögliche Folge neben Armut, Kriminalität, Vertrauensverlust, Perspektivlosigkeit und Krankheit. Sie können sich sicherlich vorstellen, was eine solche – oftmals erste – Erfahrung mit dem Sozialstaat, für Auswirkungen haben kann – gerade in einer Zeit, in den junge Menschen Vertrauen in einen Staat und seine demokratische Verfasstheit erlernen sollten.
Ich fasse meine Kritik zusammen: Die neue Regelung schreibt – wie die alte – per Gesetz Armut schon seit Jahren systematisch fest. Und das mit einem dramatischen Ergebnis: Die Jugendarmutsquote liegt derzeit bei 19 %, das ist jeder 5. Jugendliche! Es ist Zeit für eine radikale sozial- und jugendpolitische Kehrtwende. Ich fordere das Ministerium für Arbeit und Soziales auf, endlich ihre „Jugendverdrossenheit“ abzulegen und jungen Menschen auf ihrem Weg ins Erwachsenensein die Steine aus dem Weg zu nehmen.