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Jüngste Entwicklungen in Pakistan

Rede von Norman Paech,

Dr. Norman Paech (DIE LINKE):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Was wir in diesen Tagen in Pakistan erleben, sollte uns nicht überraschen. Hier zerbricht eine Militärdiktatur. Sie greift zum einzigen Mittel, das sie offenbar noch hat, nämlich zum Ausnahmezustand und zu offener Gewalt. Nun kommen von überallher Rufe nach Demokratie, Freilassung der obersten Richter und der Intellektuellen sowie Freiheit für die Opposition. Diese Rufe sind richtig und wichtig. Wir schließen uns ihnen an. Aber wir müssen sehen, dass leider einige davon ziemlich verlogen sind; denn das alles hat eine lange Vorgeschichte, an der wir nicht unbeteiligt gewesen sind. Pakistan ist nicht erst seit gestern eine Militärdiktatur mit einem Putschgeneral als Präsident. Darauf müssen wir ohne Illusionen schauen.

Es gibt heute kaum einen gefährlicheren Staat auf der Welt als Pakistan. Das Land hat alles, was sich zum Beispiel ein Mann wie Osama Bin Laden mit seiner al-Qaida nur wünschen kann: politische Instabilität, ein funktionierendes Netzwerk radikaler Islamisten, unzugängliche Trainingslager, exzellente elektronische Technologie, reguläre Luftverbindungen zum Westen und Sicherheitsdienste, die nicht immer das tun, was sie eigentlich tun sollten. Wenn al-Qaida Stoff für eine Bombe suchen sollte, dann ist Pakistan der Ort, wo er zu finden ist. Machen wir uns nichts vor: Pakistan ist heute ein Sammelbecken und Rekrutierungsgebiet für islamistische Krieger jeder Couleur, ob Taliban oder Al-Qaida-Kämpfer. Sie können sich dort weitgehend frei und vor Verfolgung geschützt bewegen; denn anders als in Afghanistan und im Irak findet dort die Operation „Enduring Freedom“ nicht statt. Pakistans Streitkräfte verfügen zudem das wurde bereits erwähnt über 75 Atomsprengköpfe.

Gleichzeitig steht das Land im Foreign Policy Magazine auf Platz 9 der Liste mit den Namen der Failed States, der gescheiterten Staaten. Das müssen wir uns einmal vorstellen: eine Atommacht als gescheiterter Staat! Die USA sollten sich fragen, wer eigentlich gefährlicher ist: der Iran, der vielleicht über 2,5 Kilogramm angereichertes Uran verfügt, oder das nun außer Kontrolle geratene Pakistan mit Hunderten oder sogar Tausenden Kilos. Das ist doch ein Unterschied. Musharraf ist außerdem nicht der erste Putschgeneral. Die USA brauchten seinen Vorgänger, Zia ul-Haq, im Krieg gegen die Sowjets und finanzierten mit Milliarden von Dollarn den Widerstand der Mudschahedin. Diese Milliarden flossen in die Taschen und in die Kriegskassen beider Generäle. Aus den afghanischen Flüchtlingen, die im Nachbarland Pakistan Zuflucht suchten, rekrutierte der berüchtigte militärische Geheimdienst ISI dann die Taliban, die anschließend wiederum zurück nach Afghanistan gingen. Nun werden die USA die Zauberlehrlinge, die sie schufen, nicht mehr los. Diese Entwicklung war abzusehen. Schlimmer noch: Die Bundesregierung trägt Mitverantwortung an der jetzigen Situation;

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

denn sie hat dem wichtigen Verbündeten im Kampf gegen den Terror offenbar ebenso wie die USA einen Freifahrtschein ausgestellt. Was hat sie das frage ich die Regierung eigentlich in Sachen Menschenrechte und Menschenrechtsverletzungen getan, und was hat sie gegen den von Pakistan unterstützten Terror in Kaschmir unternommen? Sie hat sich mit ihrer Rüstungsexportpolitik gegenüber Pakistan zum Mittäter gemacht und verstößt gegen die eigenen Exportrichtlinien ebenso wie gegen den Verhaltenskodex der EU für Waffenausfuhren. Das ist ihr Beitrag gewesen. Schlimmer noch: Seit 2001 ist Pakistan mit der Operation „Enduring Freedom“ im Antiterrorkampf verbunden. Haben die USA eigentlich nie gemerkt, dass die Terroristen bei ihrem engsten Verbündeten zu Hause sind? Die Terroristen, die die USA angeblich über die ganze Welt verfolgen, haben ihre Rückzugsgebiete gerade bei ihrem Verbündeten, und dieser droht jetzt ein Opfer der eigenen Brut zu werden.

Die USA haben sich nie groß um die Demokratie in Pakistan gekümmert. Würden sie heute die Finanzhilfe für dieses Land einstellen, könnte es so nicht länger existieren. Statt jetzt, was an sich richtig ist, nach Demokratie zu rufen, wäre es da nicht besser, vollständig die Beseitigung des Systems Musharraf zu fordern und sich ebenso von dem gescheiterten System dieses Antiterrorkampfs zu trennen?

Danke schön.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier (fraktionslos))