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Jörn Wunderlich: Der Überwachungsstaat lässt grüßen!

Rede von Jörn Wunderlich,

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Führerscheinentzug als Hauptstrafe, Überwachung von Anbahnungsgesprächen des Verteidigers mit inhaftierten Mandanten, Blutentnahmen ohne richterlichen Vorbehalt, Videoaufzeichnung der ersten Vernehmung eines Beschuldigten – all das war Gegenstand des Gesetzes in der ersten Lesung. Daneben gab es noch einige Regelungen zur Veruntreuung von Arbeitsentgelt und zum Naturschutz; Naturschutz haben wir auch positiv gesehen. Alles in allem Pillepalle im Vergleich zu dem, was uns heute vorliegt.

Experten halten es für eines der invasivsten Überwachungsgesetze der vergangenen Jahre. Heute soll hier in diesem Haus dieses Gesetz mit nachträglichen Änderungen verabschiedet werden, Änderungen, welche den Ermittlungsbehörden den Zugriff auf private Geräte, Handys, Laptops und Tablets ermöglichen sollen – heimlich, zur Strafverfolgung, ohne dass sich die Verdächtigen wehren können. Die geplanten Maßnahmen sind noch weitgehender als der große Lauschangriff aus den 90ern.

(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ist es!)

– Genauso ist es. – Aber wieso findet sich dazu kaum Resonanz in der Bevölkerung? Hier wird wieder einmal mit einem Verfahrenstrick gearbeitet. Diese massiven Grundrechtseingriffe wurden im Wege eines Änderungsantrages bezogen auf ein Gesetz mit ganz anderen Maßnahmen kurzfristig durchgebracht. Die einzige Schnittmenge ist das Wörtchen „StPO“. Das Thema soll eben kleingehalten werden.

Was will die Bundesregierung erreichen? Bei der Quellen-TKÜ wird eine Schadsoftware auf das Gerät eines Verdächtigen aufgespielt, ein sogenannter Staatstrojaner, der die laufende Kommunikation mitliest. Wesentlich eingriffsstärker ist die Onlinedurchsuchung. Aber auch hier muss eine Software auf dem Gerät des Verdächtigen installiert werden, allerdings kann dann auf sämtliche gespeicherte Inhalte zugegriffen werden, also die gesamte Festplatte ausgelesen werden.

Wie wird die Software durch Ermittler installiert? In vielen Fällen werden sie bestehende Sicherheitslücken nutzen müssen, um sich von Ferne Zugriff auf das Gerät zu verschaffen. Doch wenn solche Sicherheitslücken notwendig sind, werden staatliche Stellen bestimmt wenig Interesse daran haben, sie den Softwareherstellern zu melden, was wiederum auch Cyberkriminellen die Nutzung dieser Lücken ermöglicht und diesen somit Vorschub leistet. Die Cyberkriminellen können sich vorab schon einmal bei der Bundesregierung bedanken.

Aus einer Ausnahmemaßnahme zur Terrorabwehr soll nun eine Standardmaßnahme der Polizei werden. Wo bislang abgehört wurde, soll nun der Staatstrojaner eingesetzt werden. Das Gesetz sieht nicht nur vor, die laufende Kommunikation mitzulesen, sondern auch, den Zugriff auf gespeicherte Kommunikation zu erlauben. Experten befürchten daher, dass die Quellen-TKÜ so quasi zu einer Onlinedurchsuchung unter viel geringeren Voraussetzungen wird.

Beide Instrumente gibt es im Übrigen schon, sie werden aber kaum angewandt: Die Onlinedurchsuchung darf etwa nur zur Prävention von äußerst schweren Verbrechen, also beispielsweise zur Terrorabwehr, genutzt werden. Auch die Quellen-TKÜ wurde bislang nur vereinzelt zum Einsatz gebracht. Doch nun sollen diese Maßnahmen nicht nur präventiv, sondern auch zur Strafverfolgung genutzt werden, in einem Anwendungsfeld, das seinesgleichen sucht. Man hätte die Anwendung zumindest auf schwerste Straftaten beschränken müssen.

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Schon im Jahr 2008 hat der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts geurteilt, dass Onlinedurchsuchungen nur zur Abwehr von Gefahren – ich zitiere jetzt mal – für „Leib, Leben und Freiheit der Person oder solche Güter der Allgemeinheit, deren Bedrohung die Grundlagen oder den Bestand des Staates oder die Grundlagen der Existenz der Menschen berührt“, dienen dürfe.

(Beifall des Abg. Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE])

Dass Drogenhandel und Verstöße im Asylverfahrensrecht den Bestand des Staates oder die Grundlagen der Existenz der Menschen bedrohen, das kann mir hier in diesem Hause keiner erklären.

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Schon heute gibt es bei den Strafverfolgungsbehörden Begehrlichkeiten – das wissen wir aus der Stellungnahme des Oberstaatsanwalts beim BGH –, die Eingriffsschwelle zu senken. Er sagte: Die Schwere des Eingriffes kann man eigentlich erst feststellen, wenn man die Beweismittel gesichert hat. – Deswegen: Wenn ich es beantrage, kann ich noch gar nicht die Schwere bejahen. Daher müsste die Regelung zur Schwere des Eingriffes eigentlich aus dem Gesetz heraus.

Ich bin gespannt, was das Verfassungsgericht zu diesem Gesetz sagen wird. Es wird mit Sicherheit vor dem Verfassungsgericht landen; denn es entspricht nicht den Vorgaben der Entscheidung von 2008. Diese Regierung wird aus den Watschen, die sie sich permanent vom Verfassungsgericht holt, nicht klüger;

(Dr. Johannes Fechner [SPD]: Das waren die Grünen – die letzte Klatsche!)

aber das wundert mich nicht.

Bei der ersten Lesung des Ursprungsgesetzes, Herr Fechner, hatte ich noch die Hoffnung, in den Beratungen etwas retten zu können. Was heute hier von der Koalition im Omnibusverfahren, im Übrigen am Bundesrat vorbei, ohne Beteiligung der Bundesdatenschutzbeauftragten, ohne Beteiligung der Verbände, ohne Diskussion in der Öffentlichkeit, verabschiedet werden soll, ist mit Worten jenseits der Fäkalsprache nicht mehr zu beschreiben.

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf von der CDU/CSU: Dann lassen Sie es auch sein!)