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Jeder Tote, ob Soldat oder Zivilist, ist zuviel

Rede von Wolfgang Gehrcke,

Abschließende Debatte zur Verlängerung des ISAF-Mandats am 16. Oktober 2008


Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE):
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich wundere mich über die große Verdrängungsleistung in dieser Debatte; denn viele Tatsachen werden einfach ausgeblendet. Ich wundere mich, dass man nicht bereit ist, einen anderen politischen Grundansatz, der nicht auf militärische Lösungen setzt, ernsthaft zu durchdenken.
Ich unternehme noch einmal den Versuch, Ihnen die Friedensvorschläge der Linken darzustellen, und erwarte, dass diese Vorschläge ernsthaft diskutiert werden.
(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])
Ich nenne Ihnen auch die Bedingungen dafür.
Es ist doch auffällig, dass in der ganzen Debatte nur von der Linken der Begriff „Selbstbestimmung“ in Bezug auf das afghanische Volk verwandt wird.
(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos] - Christian Carstensen [SPD]: Was? - Hartwig Fischer [Göttingen] [CDU/CSU]: Sie haben doch gar keine Chance!)
Ich möchte, dass die Afghaninnen und Afghanen endlich selber bestimmen. Es ist unerträglich, dass der afghanische Präsident und die Regierung nicht einmal darüber entscheiden können, wo welche Bomben in Afghanistan abgeworfen werden.
(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])
All das wird in Washington bzw. von den Militärs entschieden. Es ist unerträglich, dass der Präsident von Pakistan nicht darüber entscheiden kann, ob sein Land bombardiert wird oder nicht. Wir fordern Selbstbestimmung. Das ist der erste Ansatz.
Zweitens möchte ich, dass von der deutschen Politik der Prozess einer nationalen Versöhnung in Afghanistan gefördert wird. Auf diesen Prozess muss man bauen. Ich halte die Friedens-Jirga für einen ganz bedeutenden Fortschritt; denn so versuchen die Afghaninnen und Afghanen, ihre Probleme selber zu lösen. Ich denke, es wäre sinnvoll, eine Politik zu machen, die bereits im nächsten Jahr Waffenstillstandsvereinbarungen ermöglicht, damit die Waffen in Afghanistan endlich schweigen. Darüber muss ernsthaft verhandelt werden.
(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])
Waffenstillstand wäre ein denkbarer nächster Schritt, wenn man ernsthaft in dieser Richtung vorgehen will.
(Zuruf von der SPD: Wer hat denn was dagegen?)
Interessant war, dass niemand von Ihnen den Mekka-Prozess hier erwähnt hat. Auch der Außenminister spricht nicht darüber. Im Ausschuss sagte er, er müsse telefonieren, um zu erfahren, was dort los sei. Sie sind in keinem Friedensprozess richtig verankert und täuschen das Parlament mit Ihren Aussagen.
(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos] - Gert Weisskirchen [Wiesloch] [SPD]: An diesem Platz hat Herr Steinmeier darüber geredet!)
- Das beweise ich Ihnen.
In das Waffenstillstandspaket gehört, dass Fortschritte in Afghanistan festgeschrieben und gesichert werden. Dazu gehören Bildung, Frauenrechte, Rechtstaatlichkeit und Polizeiaufbau, der Aufbau einer nicht korrupten Polizei, die dann auch besser bezahlt werden kann. Es ist Unsinn, wenn Sie hier behaupten, dass zur Absicherung der Arbeit von Nichtregierungsorganisationen Militär unbedingt notwendig sei. Indien hat 3 000 Entwicklungshelfer nach Afghanistan entsandt, aber keinen einzigen Militär. Die indische Regierung hat uns immer gesagt, dass der Einsatz von Militär den Einsatz der Entwicklungshelfer eher gefährdet als erleichtert.
(Beifall bei der LINKEN)
Also, Bildung, Frauenrechte, Rechtsstaatlichkeit und Polizeiaufbau.
Wenn man diese Wege geht, muss drittens eine Hilfe für eine andere Ökonomie in Afghanistan dazugehören. In Afghanistan braucht man Infrastrukturhilfe. Die Afghaninnen und Afghanen sagen aber immer auch, dass sie gern selbst darüber entscheiden möchten, welches Projekt umgesetzt und welches Projekt nicht umgesetzt wird. Auch in diesem Fall entsteht der Eindruck, dass die eigentlichen Entscheidungen im Ausland, aber nicht in Afghanistan selbst fallen. Deshalb muss man eine andere Ökonomie durchsetzen, die wegführt von der Drogenökonomie. Wenn erst einmal ein Krieg gegen Drogen geführt wird, wenn Sie glauben, das Problem durch das Abbrennen der Drogenfelder zu lösen, dann schaffen Sie sich noch ganz andere Probleme an den Hals.
Dieser Prozess muss in eine regionale Sicherheitskonferenz und in regionale Sicherheitsstrukturen eingebaut werden. Es ist notwendig, dass man in der UNO dafür wirbt. Es wäre interessant - Sie haben diese Idee ebenfalls vertreten, Kollege Erler -, zu erfahren, was Deutschland in diese Richtung unternehmen will. Ohne die Zusammenarbeit mit Pakistan - die Destabilisierung Pakistans geht auch vom Krieg in Afghanistan aus -, ohne eine Stabilisierung Pakistans, ohne Krieg und Bombenangriffe, ohne eine Kooperation mit Indien, ohne eine Kooperation mit Iran - der
Iran ist wichtig für diese Zusammenarbeit -, ohne dass man die Schanghai-Gruppe mit China und Russland in diesen Prozess einbezieht, schafft man keine Stabilisierung in der Region. Das ist Politik. Politik ist aber nicht gleichzusetzen mit Militär.
(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])
Das sind die Wege, die gegangen werden können. Wenn Sie aber aus der Logik des Militärischen nicht herauskommen, dann wird eine andere Logik Raum greifen. Die Spirale ist doch: mehr Militär, mehr der Eindruck der Besatzung in Afghanistan, mehr Widerstand, und dann kommen Sie wieder mit der Forderung nach mehr Militär.
Deutschland stellt einen Teil der NATO-Truppen in Afghanistan. Somit verantwortet Deutschland auch die Gesamtpolitik der NATO in Afghanistan. Diese Spirale muss man durchbrechen. Das kann man nur mit Politik, aber nicht dadurch, dass man immer mehr Soldaten schickt. Das ist das, was jetzt getan werden kann.
Schönen Dank.
(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
Ich gebe das Wort zu einer Kurzintervention dem Kollegen Gehrcke.
Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE):
Ich war ja schon froh, dass am Ende der Rede, die hier gehalten worden ist - eine, wie ich finde, rechtsextreme Rede -, eine deutliche Distanz zur Fraktion Die Linke dargelegt worden ist.
(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])
In dieser Nachbarschaft möchte ich mich nicht einmal im Dunkeln bewegen. Wir möchten auf keinen Fall, dass unsere Position mit dieser verwechselt wird. Hier gibt es ganz klare und deutliche Trennungsstriche, die verständlich sein müssen. Man weiß ja, was woher kommt. Ich möchte mich dagegen verwahren und finde es empörend, wenn irgendjemand behauptet, dass es in der Fraktion Die Linke Freude darüber gäbe, dass Soldatinnen und Soldaten in Afghanistan umkommen.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])
Ganz im Gegenteil: Jeder Zivilist, der umkommt, und jeder Soldat, der umkommt, ist entschieden zu viel. Ich möchte, dass endlich eine Politik gemacht wird, die dazu beiträgt, dass niemand in Afghanistan aufgrund von Krieg bzw. Kriegseinwirkung sein Leben lassen muss, ob Zivilist oder Soldat.
(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])
Hier müssen, wie gesagt, klare Trennungsstriche gezogen werden. So kann man keinen Frieden schaffen. Die Art und Weise, in der hier gerade gesprochen wurde, muss man bekämpfen.
Danke sehr.
(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])