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Jährlich am 8. März über Schritte zur Diskriminierungsfreiheit von Frauen nachdenken

Rede von Kirsten Tackmann,

Rede zur Unterrichtung der Bundesregierung "Sechster Bericht der Bundesrepublik Deutschland zum Übereinkommen der Vereinten Nationen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau (CEDAW)", DS 16/5807, und zur 1. Lesung des Antrags der LINKEN "Internationaler Frauentag muss gesetzlicher Feiertag werden", DS 16/8373

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr verehrte Gäste! Das „Übereinkommen der Vereinten Nationen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau“, CEDAW genannt, ist ein Menschenrechtsabkommen. Es schreibt rechtsverbindlich vor, die Diskriminierung von Frauen in allen Lebensbereichen zu bekämpfen. Die große Themenvielfalt ist ebenso eine Stärke von CEDAW wie die Tatsache, dass Frauen in ihren unterschiedlichen Lebenssituationen direkt angesprochen werden, zum Beispiel in Art. 14 dieses Berichts, der die besonderen Probleme von Frauen in ländlichen Räumen thematisiert ein oft überlesener Teil des Berichtes. Dort heißt es, landwirtschaftliche Betriebe würden in Deutschland überwiegend als Familienbetriebe bewirtschaftet. Zitat:
Von den vollbeschäftigten Familienarbeitskräften dieser Betriebe waren 16,9 Prozent weiblich, bei den teilzeitbeschäftigten Familienarbeitskräften lag der Anteil dagegen bei 46,5 Prozent.
Und weiter:
Allerdings hatten nur 9 Prozent aller landwirtschaftlichen Einzelnunternehmen eine Frau als Inhaberin.
Die Bundesregierung kommentiert diesen Passus sehr desinteressiert:
Die Zahlen machen deutlich, dass ohne die Arbeit der Frauen fast alle landwirtschaftlichen Betriebe nicht bestehen könnten.
Die Linke zieht daraus ganz andere Schlüsse: Erstens. Es gibt ein massives Defizit bei der sozialen Sicherung von mitarbeitenden Familienangehörigen. Zweitens. In Deutschland werden weibliche Betriebsleiterinnen in der Landwirtschaft offensichtlich benachteiligt.
Im EU-Durchschnitt wird zum Beispiel jeder fünfte landwirtschaftliche Betrieb von Frauen geleitet, in Österreich sogar jeder dritte. Im Bericht müsste also eigentlich stehen: Frauen leisten einen erheblichen Teil der Arbeit, haben aber eine geringere direkte Teilhabe am erwirtschafteten Gewinn. Das ist eindeutig eine Diskriminierung. Zur Überwindung dieser Diskriminierung hat Deutschland vor über zwei Jahrzehnten CEDAW ratifiziert.
Unsere Forderung ist eindeutig: eine eigenständige Existenzsicherung auch für die mitarbeitenden Frauen in landwirtschaftlichen Betrieben. Die Landfrauen fordern schon länger ein Grundeinkommen. Wir sollten an diesem Problem endlich ernsthaft arbeiten.
(Beifall bei der LINKEN)
Ein weiteres Thema der Bundesregierung ist: mehr Frauen in Führungspositionen. Meiner Fraktion geht es aber nicht nur um mehr Frauen in Führungspositionen. Mehr Beteiligung von Frauen an Erwerbsarbeit als Armutsprävention, das ist das Thema.
(Beifall bei der LINKEN)
Dabei muss Erwerbsarbeit aus Sicht der Linken mindestens drei Forderungen erfüllen. Sie muss erstens die ökonomische Unabhängigkeit und Existenzsicherung garantieren. Sie muss zweitens mit der Familie vereinbar sein. Sie muss drittens das ist wichtig zur Entfaltung der persönlichen Fähigkeiten und Talente beitragen.
Es mag sein, dass man als weibliche Abgeordnete mit Ostbiografie eine spezifische Sicht auf die Rolle von Erwerbsarbeit hat. Eines wird kaum mehr bestritten: Die hohe Erwerbsbeteiligung von Frauen in der DDR hat einen Gleichstellungsvorsprung gegenüber Frauen im Westen begründet. Der geht leider gerade Stück für Stück verloren.
Das lässt sich auch belegen. Im Jahr 2001 sagten in einer Umfrage rund drei Viertel der ostdeutschen Frauen, sie hätten sich zu DDR-Zeiten ihren Männern gegenüber gleichgestellt gefühlt. Zum Zeitpunkt der Umfrage selbst, 2001, waren es gerade noch 18 Prozent. Die verstetigte Langzeitarbeitslosigkeit von Frauen im Osten wird als einer der Gründe dafür benannt.
Aber auch im Erwerbsleben kommt die Gleichstellung schnell unter die Räder. Die dramatische Situation von Frauen im Erwerbsleben kritisierte der CEDAW-Ausschuss bereits anlässlich des letzten Berichts aus Deutschland. Er bemängelte Zitat „das hohe Maß an Langzeitarbeitslosigkeit unter Frauen, die wachsende Anzahl von teilzeitarbeitenden Frauen und von Frauen in niedrig bezahlten und gering qualifizierten Arbeitsverhältnissen, das Fortbestehen der Lohndiskriminierung gegen Frauen und die Diskrepanz zwischen ihrer Qualifikation und ihrem beruflichen Status“.
Was antwortet die Bundesregierung in ihrem aktuellen Bericht auf diese Kritik? Sie stellt lapidar fest, dass Teilzeitarbeit Zitat „trotz ungünstiger Arbeitsmarktlage in den vergangenen Jahren zum Beschäftigungsaufbau und zur Beschäftigungssicherung beigetragen sowie die Chancengleichheit von Männern und Frauen und die Vereinbarkeit von Beruf und Familie gefördert“ habe.
Das ist schlichtweg falsch; denn Teilzeitarbeit verfestigt Rollenklischees. Fragen Sie Frauen, wie es ist, mit Teilzeitarbeit über die Runden zu kommen!
(Beifall bei der LINKEN)
Teilzeitarbeit bedeutet nicht nur weniger Geld am Monatsende, sondern sie bedeutet auch weniger Arbeitslosengeld und weniger Rente. Deswegen ist die Forderung der Linken ganz eindeutig: eigenständige Existenzsicherung und armutsfeste Renten für Frauen - natürlich auch für Männer.
(Beifall bei der LINKEN)
Wenn wir eine wirkliche Vereinbarkeit von Familie und Beruf wollen, brauchen wir weniger Teilzeitarbeit, stattdessen aber erstens eine allgemeine Verkürzung der Vollzeitarbeit, zweitens die Gleichverteilung der Erwerbs- und Sorgearbeit zwischen den Geschlechtern das ist hier schon einmal angeklungen
(Elke Ferner (SPD): Sagt das Christa Müller auch so? - Christian Lange (Backnang) (SPD): Was ist eigentlich mit Christa Müller? - Elke Ferner (SPD): Die sitzt gerade mit Eva Hermann zusammen! - Christian Lange (Backnang) (SPD): Was sagen Sie dazu?)
und drittens gesicherte Mindeststandards in der öffentlichen Daseinsvorsorge und Infrastruktur, besonders in der Kinderbetreuung.
Gerade die dritte Forderung ist mir sehr wichtig, denn die strukturelle Diskriminierung von Frauen hat oft viele unbeachtete und verdeckte Wirkungen. Was passiert denn, wenn Schulen, Arztpraxen, Sportvereine oder Bus- und Bahnlinien in ländlichen Regionen verloren gehen? - Es sind dann vor allen Dingen die Frauen, die den zusätzlichen organisatorischen Aufwand in der Familie abfangen müssen.
(Christian Lange (Backnang) (SPD): Da wohnt sie auch! Der Palast der sozialen Gerechtigkeit ist auch in der ländlichen Region!)
Dies geschieht auf Kosten der Verwirklichung eigener Lebensziele - bis hin zum Verzicht auf eine eigene Erwerbstätigkeit, wenn diese nicht mit der Familie vereinbar ist. Das heißt doch aber im Klartext, dass der Rückbau von öffentlicher Daseinsvorsorge Frauen diskriminiert, weil ihre selbstbestimmte und gleichberechtigte Teilhabe am Leben eingeschränkt wird. Dieser gesellschaftliche Befund ändert sich übrigens nicht, wenn Frauen freiwillig auf die Wahrung ihrer Interessen verzichten.
(Beifall bei der LINKEN)
Noch ein Wort zur Situation von Billiglöhnerinnen. Erschreckende 70 Prozent der im Niedriglohnbereich Beschäftigten sind weiblich. Den lohndrückenden Effekt billiger Frauenerwerbsarbeit hat übrigens schon Clara Zetkin beschrieben. Ich denke, dass wir nach 100 Jahren endlich damit Schluss machen sollten.
(Christian Lange (Backnang) (SPD): Christa Müller statt Clara Zetkin, das wäre mal was!)
Das Modell des männlichen Ernährers und der weiblichen Zuverdienerin ist nun wirklich endgültig verstaubt.
(Beifall bei der LINKEN)
Die Linke fordert deshalb auch aus gleichstellungspolitischen Gründen erstens einen gesetzlichen Mindestlohn, zweitens ein Ende der skandalösen Entgeltdiskriminierung das wurde heute schon angesprochen und drittens ein Ende der diskriminierend niedrigen Löhne in sogenannten Frauenberufen. Dazu gehört nicht nur die berühmte und vielzitierte Friseurin.
(Beifall bei der LINKEN)
Dass gerade die soziale Diskriminierung im Bericht der Bundesregierung ausgespart bleibt, zeigt doch, dass die Bundesregierung das Problem, dass Frauen strukturell diskriminiert werden, ignoriert. Damit wird aber diese Diskriminierung zementiert und nicht bekämpft.
Das Scheitern der freiwilligen Vereinbarung, die allerdings noch zwischen der rot-grünen Bundesregierung und der deutschen Wirtschaft geschlossen wurde, erzwingt geradezu die Forderung nach einem Gleichstellungsgesetz in der Privatwirtschaft.
(Beifall bei der LINKEN)
Ich freue mich, dass die SPD und die Grünen auch dafür sind. Die Linke unterstützt diese Forderung des DGB, der Einzelgewerkschaften und des Deutschen Frauenrates, die sie am Mittwoch noch einmal erhoben haben, ganz ausdrücklich.
Ein Instrument zur Erfüllung der CEDAW-Vorgaben könnte auch die „Strategie Gender Mainstreaming“ sein. Das lässt sich auf der Homepage des Gender-Kompetenz-Zentrums zum Thema CEDAW nachlesen. Frau wird allerdings im CEDAW-Bericht der Bundesregierung Ausführungen zum aktuellen Umsetzungsstand von Gender-Mainstreaming vergeblich suchen. Lediglich konkrete Projekte der vorangegangen Bundesregierung werden dort erwähnt. Damit wird aber eines offensichtlich: Ministerin von der Leyen steuert den Gender-Mainstreaming-Prozess längst nur noch auf dem Papier, wenn überhaupt.
(Ingrid Fischbach (CDU/CSU): Stimmt doch gar nicht! Sie sind doch gar nicht im Ausschuss!)
Unter der Großen Koalition findet somit keine aktive Gleichstellungspolitik mehr statt, geschweige denn die systematische Berücksichtigung von Bedürfnissen, Talenten und Interessen von Frauen und Männern in allen Politikbereichen. Das Recht von Frauen auf eine eigenständige Existenzsicherung rückt dann aber sowohl im Osten als auch im Westen wieder in weitere Ferne.
Für die Linke ist diese Situation Anlass gewesen, den schon zitierten Antrag einzubringen, der für einige möglicherweise ein bisschen überraschend kommt. Wir greifen damit eine Initiative von Hamburger Gewerkschafterinnen auf, die gefordert haben, den Internationalen Frauentag am 8. März zum gesetzlichen Feiertag zu erklären.
(Beifall bei der LINKEN - Caren Marks (SPD): Das ist sinnstiftend!)
Wenn man nach den historischen Wurzeln des Internationalen Frauentages fragt, kommt man nicht an Clara Zetkin vorbei, die ja Alterspräsidentin des letzten frei gewählten Reichstages war. Aber das haben Sie in unserem Antrag sicherlich gelesen.
(Elke Ferner (SPD): Das haben wir nicht nachgelesen! Das wissen wir!)
Spätestens seit der Anerkennung dieses Tages durch die UNO im Jahr 1975 ist der 8. März der Tag, an dem Frauen weltweit gleiche Rechte einfordern. Der Linken reicht das aber nicht. Wir fordern ein Umdenken und ein Anders-Handeln.
(Beifall bei der LINKEN Caren Marks (SPD): Auch von Christa Müller?)
Ein gesetzlicher Feiertag bietet eine verfassungsmäßig garantierte Zeit „der Arbeitsruhe und der seelischen Erhebung“.
(Elke Ferner (SPD): Für die Männer oder für die Frauen?)
Was, liebe Kolleginnen und Kollegen, kann ein geeigneterer Anlass für eine seelische Erhebung sein, als alljährlich wenigstens am 8. März einmal über Schritte hin zur tatsächlichen Diskriminierungsfreiheit von Frauen nachzudenken?
Vielen Dank.
(Beifall bei der LINKEN)