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Ist es auch Wahnsinn, so hat es doch Methode

Rede von Roland Claus,

Rede von Roland Claus, Mitglied des Haushaltsausschusses, während der aktuellen Stunde zur Haltung der Bundesregierung zu Milliardengarantien und Millionenboni bei der HRE.

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren!

Nach der Hartz-IV-Debatte reden wir jetzt über Banken und Boni - ein schöner Zufall. Die Münchener Hypo Real Estate ist der größte Skandalfall in der Bankenkrise in Deutschland. Die HRE nennt sich heute Deutsche Pfandbriefbank. Schon daran merkt man, dass wir in einer anderen Zeitrechnung sind. Die Finanz- und Wirtschaftskrise erweist sich bei näherem Hinsehen mehr und mehr als eine Krise des gesellschaftlichen Systems.


(Beifall bei der LINKEN – Leo Dautzenberg (CDU/CSU): Das müsste Ihnen doch entgegenkommen! Sie plädieren doch für Staatsbanken!)


Diese Krise liegt nicht hinter uns. Richtig ist: Die Banken haben ihr Eigengeschäft wieder in Gang gesetzt - das Kasino ist wieder offen -, aber ihrer Verantwortung für die Gesellschaft und die Wirtschaft, insbesondere für die kleinen und mittleren Unternehmen, werden sie in keiner Weise gerecht.


(Beifall bei der LINKEN)


Weil all das so unglaublich ist und fast niemand mehr versteht, was hier vorgeht, will ich versuchen, mit einer kleinen Chronik zur Aufklärung beizutragen. Genau vor zwei Jahren, am 30. September 2008, kam Minister Steinbrück in alle Bundestagsfraktionen und warb für die Rettungsaktion bei der HRE. Begleitet hat ihn Staatssekretär Jörg Asmussen, der heute noch Staatssekretär ist, bei Bundesfinanzminister Schäuble. Herr Steinbrück hat damals gesagt, der Bund müsse für eine Summe von 26 Milliarden Euro bürgen; eine teilweise Verstaatlichung von Banken wie in England und den USA sei in Deutschland ausgeschlossen. Die privaten Banken bürgten für 8,5 Milliarden Euro. - Es sollte anders kommen. Im Frühjahr 2009 wurde ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss zur Rolle der Bundesregierung bei der HRE-Krise eingesetzt. Das ist ein Extrakrimi; ich kann das hier nicht im Einzelnen ausführen. Im Mai 2009 wurde der Rettungsschirm für Banken mit einem Volumen von 500 Milliarden Euro gespannt. Der Hauptanteil davon entfiel auf die HRE, immer mit Zustimmung der sozialdemokratischen Fraktion, die in ihrer Meinungsbildung selbstverständlich völlig frei ist,


(Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE))


aber im Moment in Sachen Wandlungsfähigkeit  - das muss man einmal aussprechen - wirklich nicht zu toppen ist.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Im August 2009 fragt mein Fraktionskollege Axel Troost öffentlich nach der Eignung des neuen Chefs der HRE, Axel Wieandt. Die Bankenaufsicht hat Zweifel an der Eignung, die Linke auch; aber Wieandt erhält 500 000 Euro Sonderzahlung für 2009. Ende März 2010, einen Tag vor der Bilanzpressekonferenz der HRE, erklärt Herr Wieandt seinen Rücktritt, weil er sich nicht mit dem SoFFin über sein Gehalt einig wurde: Es war ihm zu wenig. Mit dem Rücktritt erwirbt er aber Betriebsrentenansprüche in Höhe von 240 000 Euro jährlich, und das als Mittvierziger.


(Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE): Wahnsinn!)


Jetzt das Verrückte: Nachdem die Münchener HRE über Jahrzehnte ausschließlich eine Männerwirtschaft war, muss nun, nachdem die Bank so richtig gegen die Wand gefahren ist, mit Frau Better zum ersten Mal eine Frau an die Spitze gestellt werden. Auch das spricht für eine Zeitenwende.


(Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE))


Im Juni 2010 steht die spannende Meldung im Netz: Seit 1. Juni 2010 arbeitet Axel Wieandt wieder im Vorstandsbereich der Deutschen Bank. Ende August 2010 bewilligt die Bundesregierung über die bestehenden Garantien in Höhe von 102 Milliarden Euro hinaus Garantien in Höhe von 40 Milliarden Euro für die HRE, am Parlament vorbei, am geheim tagenden Parlamentsgremium zur Bankenrettung vorbei.


(Leo Dautzenberg (CDU/CSU): Nein! Das stimmt nicht! Die gesetzliche Grundlage stammt vom Parlament! Weitere Zurufe von der CDU/CSU)


- Um Ihre Zwischenrufe etwas abzumildern: Das Parlament ist sauer, von der Linken bis zur CSU.


(Leo Dautzenberg (CDU/CSU): Sie haben die Zeit vor 1989 in Erinnerung! Das darf nicht passieren!)


Mitte September 2010 wird bekannt, dass Boni in Höhe von 25 Millionen Euro an Bankmanager der staatlichen HRE gezahlt wurden. Die Bundesregierung sitzt mit zwei Abteilungsleitern aus dem Bundesfinanzministerium im Aufsichtsrat  - ich dachte, sie seien schon als Abteilungsleiter ausgelastet; aber es ist offenbar anders - , der dazu sagt: Das geht in Ordnung.
Nun stellen Sie sich vor, all das hätte ich Ihnen vor vier Jahren erzählt. So eine Story wäre unglaublich gewesen. Selbst in meiner Fraktion hätte man mir wahrscheinlich gesagt: Genosse, du musst zum Arzt!
Frei nach Shakespeare: Ist es auch Wahnsinn, so hat es doch Methode. Wahnsinn und Methode bedeuten heute: Was da verstaatlicht wurde, sind vor allem Schulden. Selbst die Vollverstaatlichung reicht nicht aus, um die HRE auf dem Finanzmarkt wieder handlungsfähig zu machen.
Wir reden gerade über den Haushalt für 2011 im Umfang von 300 Milliarden Euro. Neben diesem Haushalt wurden inzwischen Sondervermögen in Höhe von über 750 Milliarden Euro angehäuft. Die Bundesregierung redet von der Schuldenbremse und will im nächsten Jahr 10 Milliarden Euro einsparen, macht aber im gleichen Atemzug Zusagen über Garantien in Höhe von 40 Milliarden Euro, also das Vierfache, für die schon erwähnte Bank.
Nun sagen Sie: Hartz-IV-Empfänger sollen monatlich 5 Euro mehr bekommen. Ich habe die Bezüge der Menschen  - die Boni bei der HRE und die zusätzlichen 5 Euro für die Bezieher von Hartz IV  - ins Verhältnis gesetzt und ausgerechnet. Hier kommt exakt ein Verhältnis von 1 : 10 000 heraus. So kommt es also zu dem Begriff „die oberen Zehntausend“.


(Beifall bei der LINKEN)


So groß ist der Abstand, so gespalten ist die Gesellschaft, so kaputt haben Sie das Gemeinwesen regiert. Das ist doch nicht staatseigene Bank, das ist doch bankeigener Staat.


(Beifall bei der LINKEN)


Das muss sich ändern, meine Damen und Herren. Zwei radikale Schritte sind notwendig. Zum einen muss die Dominanz der Finanzwirtschaft über die sogenannte Realwirtschaft überwunden werden. Zum anderen muss man etwas hinzufügen.


Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:
Kommen Sie bitte zum Schluss, Herr Kollege.


Roland Claus (DIE LINKE):
Das mache ich gern, Frau Präsidentin. Die Regeln der globalen Börsen, die anfangs einmal vernünftig waren, haben das globale Zusammenleben in die Sackgasse geführt. Das internationale Finanzmarktkasino  - zu dieser Überzeugung bin ich gelangt  - ist nicht länger reformierbar; es gehört geschlossen.


(Beifall bei der LINKEN)