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Integrations-Indikatorenbericht liest sich wie eine Liste des Versagens

Rede von Sevim Dagdelen,

Mit dem Integrations-Indikatorenbericht ist eine weitere lange Liste des Versagens vorgelegt worden. Es hat keinerlei Angleichung - nicht mal Annäherung - der sozialen Situation der Migrantinnen und Migranten gegeben.

Sehr geehrte Präsidentin, meine Damen und Herren, Nach der Vorstellung des Ersten Integrations-Indikatorenbericht lesen sich die Schlagzeilen zahlreicher Zeitungen wie folgt. Die ”Süddeutsche Zeitung” konstatiert ”Kaum Fortschritte bei Integration von Ausländern”, der 'Kölner Stadtanzeiger' titelte mit ”Integration kommt kaum voran”, 'Die Welt' weiss es scheinbar besser und schreibt ”Integration kommt nicht voran” und der Kommentar ”Bittere Wahrheiten” von Mariam Lau in ”Die Welt” stellt gleich den Pappkameraden, den muslimischen Pater Familias auf, der seinem Sohn klarmachen müsse, ”dass es falsch ist, dem Schulkameraden zu fünft ein Handy wegzunehmen, auf ihn einzustechen oder eine Party im Jugendheim zu terrorisieren.” Leichtsinniger als dieser Kommentar kann man kaum ausländerfeindliche oder islamfeindliche Ressentiments und Klischees bedienen und den gesellschaftlichen Frieden gefährden. Überdies sind die meisten Kommentare und Artikel zum Integrations-Indikatorenbericht verfehlt. Sowohl im Anschreiben der Beauftragten der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration, Frau Maria Böhmer, als auch in der Einleitung im Bericht auf Seite 3 wird darauf verwiesen, dass es um die Integrationspolitik der Bundesregierung geht, die klare Indikatoren brauche. Es geht also darum, zu bewerten, ob die Politik der Bundesregierung imstande ist, die Menschen in die Gesellschaft zu integrieren, d.h. die Teilhabe von Migrantinnen und Migranten in der Gesellschaft zu ermöglichen. Nun, meine Damen und Herren, dies ist nach dem erneuten katastrophalen Befund im Bericht nicht der Fall. Zuverlässig ist man auch, wenn man regelmäßig versagt. Das scheint jedenfalls die Bundesregierung zu denken. Denn mit dem Integrations-Indikatorenbericht ist eine weitere lange Liste des Versagens vorgelegt worden. Es hat keinerlei Angleichung - nicht mal Annäherung - der sozialen Situation der Migrantinnen und Migranten gegeben. Die Wirklichkeit ist seit Jahren bekannt. Zumeist sogar aus Berichten der Bundesregierung selbst wie den Berichten über die Lage der Ausländerinnen und Ausländer in Deutschland oder den Armuts- und Bildungsberichten. All das wissen wir seit Jahren. Und trotzdem schafft es auch diese Bundesregierung, diesem Wissen aus dem Wege zu gehen, nicht zu handeln und ja, eigentlich diese Wirklichkeit zu manifestieren. Wollte die Bundesregierung etwas dagegen, dass doppelt so viele Migrantinnen und Migranten keinen Schulabschluss haben, daß Kinder mit Migrationshintergrund aufgrund von Sprachschwierigkeiten überproportional oft in eine Sonderschule überwiesen werden oder trotz gleicher Leistungen keine Weiterempfehlung erhalten; dann sollte sie sich endlich gegen das selektive dreigliedrige Schulsystem und für die Einführung eines flächen- und bedarfsgerechten ganztägigen Schulangebots, eine gebührenfreie Kinderbetreuung und Kindergartenbetreuung - und zwar nicht erst ab 2013/14 - einsetzen! Wenn die Bundesregierung etwas dagegen tun will, dass über 40 Prozent der Migrantinnen und Migranten keine Ausbildung, daß über 70 Prozent keine Qualifizierung haben und daß ihre Arbeitslosenquote fast doppelt so hoch ist dann soll sie endlich eine gesetzliche Ausbildungsplatzumlage und einen gesetzlichen Mindestlohn einführen. Sie sollte die Leiharbeit abschaffen, weil besonders Migrantinnen und Migranten von dieser modernen Form von Sklavenarbeit betroffen sind und im Niedriglohnbereich arbeiten müssen und Minijobs in sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse umwandeln! So würde die Bundesregierung einen Beitrag leisten, damit Migrantinnen und Migranten nicht mehr mit 21,1 Prozent im Vergleich zu 9,5 Prozent des Bevölkerungsdurchschnitts signifikant häufiger von Armut bedroht sind. Wollte die Integrationspolitik der Bundesregierung wirklich gleichberechtigte Teilhabe und die vollständige politische Partizipation von Migrantinnen und Migranten, dann sollten sie endlich aufhören Einbürgerungen zunehmend unmöglich zu machen. Mit großem Erfolg ist es der jetzigen und vorherigen Bundesregierungen nämlich gelungen, Einbürgerungen zu verhindern: die Einbürgerungszahlen sind in der Amtszeit der Integrationsbeauftragten um über 20 Prozent gesunken und in der Zeit von 2000 bis 2008 sogar um ganze 50%! Aber all diese Verbesserungen an der Lebenssituation der Migrantinnen und Migranten will eben die Bundesregierung gar nicht! Verehrte Damen und Herren, immer häufiger hören wir die Integrationsbeauftragte sagen, dass die Migrantinnen und Migranten noch mehr angespornt werden sollen. Es ist genau so als wenn Frau Böhmer Menschen, die Cholera kriegen, erklärt, sie sollen sich die Hände waschen, obwohl kein oder kein sauberes Wasser da ist. Oder Menschen, deren Baracken abbrennen, die Gefahr von offenem Feuer erklärt, statt die Stromversorgung zu verbessern. Es ist eine Form, Menschen für gesellschaftliche Probleme verantwortlich zu machen und den Eindruck zu vermitteln, sie seien selbst an ihrer Lage schuld. Es geht aber eben nicht um individuelle Probleme der Migrantinnen und Migranten, sondern in erster Linie um ein gesellschaftliches Problem. Die soziale Situation der Migrantinnen und Migranten ist vor allem das unvermeidliche Ergebnis einer grundfalschen, einer neoliberalen nicht sozialen Politik. Es wird Zeit, sich von der einseitigen Fixierung zu lösen, die Integrationsleistung der Migrantinnen und Migranten messen zu wollen. Frau Böhmer, hören Sie endlich auf mit den Phrasen vom ”Werben”, ”Anspornen” und ”Heben von Schätzen”. Der beste Ansporn und das beste Werben sind gute Rahmenbedingungen in der Gesellschaft und dafür braucht es einer Politik, die die gleichberechtigte politische, soziale und gesellschaftliche Teilhabe aller Menschen zum Ziel hat. Ohne eine Politik der sozialen Gerechtigkeit und der rechtlichen Gleichstellung und der Bekämpfung von Diskriminierung ist die Integration in die hiesige Gesellschaft weder für Deutsche noch Migranten möglich. Danke für die Aufmerksamkeit.