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Innovationen im Dienstleistungssektor müssen stärker gefördert werden

Rede von Petra Sitte,

- Rede zu Protokoll -

Sehr geehrte Damen und Herren,

Zwei Motive prägen die Innovationspolitik dieser Bundesregierung: da ist zum einen die Rede von „großen Herausforderungen“ wie dem Klimawandel der Knappheit fossiler Ressourcen, den demographischen Veränderungen oder neuen Lebensbedingungen in einer globalisierten und digital vernetzten Welt. Auf diese Herausforderungen sollten, so die Bundesregierung, die Instrumente der staatlichen Förderung ausgerichtet sein. So weit, so richtig.

Das zweite Motiv ist die Wettbewerbsfähigkeit auf sogenannten internationalen „Leitmärkten“. Auf der Homepage des Forschungsministeriums prangt der Satz: „Innovationen ‚Made in Germany‘ begeistern die Welt“ und meint alleine Technik.

Bringt man beide Leitmotive der deutschen Innovationspolitik zusammen, zeigt sich der Denkfehler. Die zukünftigen Herausforderungen unserer Gesellschaft brauchen zu ihrer Lösung ganz sicher Innovationen, aber sind neue Technologien in erster Linie die angemessenen Problemlöser?

Wir meinen, der Fokus auf neue Autos, Maschinen, digitale Netzwerke, Biotechnologien greift zu kurz, wenn wir die Zukunftsprobleme wirklich nachhaltig angehen wollen. Soziale, also nichttechnische Innovationen tragen mindestens ebenso zur Gestaltung der Zukunft bei.

So werden von der Bundesregierung Elektrofahrzeuge in urbanen Räumen als Lösung für das Klima- und Ressourcenproblem der Automobilgesellschaft gesehen. Längst ist aber klar, dass wir gerade in großstädtischen Räumen um eine Verschiebung vom privaten Auto hin zu öffentlichen Verkehrsträgern nicht herum kommen. Man muss sich nur die täglichen Pendlerstaus in Ballungsräumen zu Gemüte führen, für die die Bahn alleine oft keine Alternativen bereit hält. Hier nutzt auch kein Elektroauto. Vielmehr müssen Bahn, Rad und Carsharing intelligent verknüpft werden und als Dienstleistungen aus einer Hand, etwa über Smartphones entwickelt werden. Diese notwendige Neuorganisation der städtischen Mobilität ist ein Paradebeispiel für soziale Innovationen. Technik ist auch hier ein Bestandteil, vor allem aber müssen Nutzerinnen und Nutzer Anreize für ein anderes Mobilitätsverhalten erhalten und Verkehrsträger auf neue Art und Weise kooperieren. Wir brauchen Wissen und Forschung, um solch eine Mammutaufgabe zu bewältigen!

Mein zweites Beispiel ist das Problem der Welternährung. Die Bundesregierung setzt hier ganz auf Erforschung transgener Pflanzen, die als geradezu unvermeidbar zur Lösung der Mangelernährung verkauft werden. Doch globale Mangelernährung, so der umfassende Bericht des Büros für Technikfolgenabschätzung, hängt in erster Linie mit der ungerechten Verteilung der vorhandenen Nahrungsmittel sowie mit Verlusten aufgrund falscher Lagerung und langer Transportwege zusammen. Transgenes Saatgut als patentierte Importtechnologie kann diese Probleme sogar verschärfen. Hilfreicher sind Ansätze für eine bessere Organisation der Warenströme oder für politische Instrumente, die eine gerechtere Preispolitik vor Ort durchsetzen.

Soziale Innovationen haben auch große Wirkung auf unsere Wirtschaft. Sie setzen Impulse im öffentlichen Sektor oder in Dienstleistungsbranchen frei. In den letzteren sind drei Viertel der Beschäftigten tätig. Weniger bekannt ist: Sie erwirtschaften auch fast drei Viertel der Wertschöpfung.

Die Expertenkommission Forschung und Innovation hat bereits 2008 empfohlen, Innovationen im Dienstleistungssektor in der Breite stärker zu fördern. Die Bundesregierung konzentriert sich im Rahmen der Hightech-Strategie aber ungerührt auf die Klassiker Fahrzeuge, Maschinen, Chemie und Pharma. Etwa 5 Milliarden Euro schwer ist die jährliche Forschungsförderung allein des BMBF, das Programm für Dienstleistungsinnovationen umfasst hingegen lächerliche 13,8 Millionen Euro. Das sind 0,3 Prozent!

Wir fordern in unserem Antrag, die Förderung von Innovationen tatsächlich unter dem Vorzeichen der großen gesellschaftlichen Herausforderungen anzugehen. Wir brauchen eine stärker bedarfsorientiert motivierte Innovationspolitik, die auch auf Lösungen durch Dienstleistungen, Organisationskonzepte oder innovative Instrumente der politischen Steuerung setzt. Dazu müssen auch mehr Vertreter der Zivilgesellschaft mit an den Tisch, wenn Förderkonzepte erdacht werden. Wir wollen, dass die Bundesregierung die Positionen ihrer Expertenkommission und vergleichbare Positionen von ver.di, dem BUND und weiterer Verbände ernst nimmt. Soziale Innovationen und innovative Dienstleistungen gehören längst in den Förderkatalog der Innovationspolitik.