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Inge Höger: Menschenrechte sind kein Meister aus Deutschland

Rede von Inge Höger,

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Der zwölfte Menschenrechtsbericht der Bundesregierung geht an vielen Stellen an der Realität vorbei,

(Stefan Rebmann [SPD]: Was?)

insbesondere wenn es um die Lage der Menschenrechte hier in Deutschland geht.

Seit fast 60 Tagen befindet sich der politische Gefangene Yusuf Tas im Hungerstreik für Kommunikation in seiner Muttersprache. Yusuf Tas war politischer Gefangener in der JVA Heimsheim in Baden-Württemberg und wurde vor kurzem in das Gefängniskrankenhaus Hohenasperg verlegt.

(Manfred Grund [CDU/CSU]: Ein „politischer Gefangener“?)

Dass ihm das Reden und die Lektüre in seiner Muttersprache von der JVA verwehrt werden, ist Diskriminierung und eine Form struktureller Gewalt, die gegen elementare Menschenrechte verstößt.

(Beifall bei der LINKEN)

Das ist ein aktuelles Beispiel. Sie können jetzt sagen: Das ist erst passiert, nachdem der Menschenrechtsbericht geschrieben worden ist. Dieses Beispiel zeigt aber bestimmte Benachteiligungen, die es in Deutschland gibt, aber nicht geben sollte.

Ein anderes Beispiel ist, dass die Praxis des Racial Profilings, also der polizeilichen Kontrolle anhand äußerlicher Merkmale wie Hautfarbe oder ethnischer Zugehörigkeit, keine Erwähnung in dem Bericht findet. Diesen tief verankerten Rassismus in staatlichen Institutionen und Behörden spart die Bundesregierung einfach aus, und das, obwohl Deutschland im Berichtszeitraum wegen Racial Profiling gerügt worden ist, zum Beispiel vom Menschenrechtskommissar des Europarates, vom UN-Ausschuss gegen rassistische Diskriminierung und vom Deutschen Institut für Menschenrechte. Dazu dürfen wir nicht schweigen.

(Beifall bei der LINKEN)

Leider ist der Bericht weitgehend darauf beschränkt, Verordnungen, Vorschriften und Einzelaktivitäten aufzuzählen, die die Bundesregierung im Berichtszeitraum eingeführt oder anerkannt hat. Eine umfassende qualitative Bewertung fehlt.

Im innenpolitischen Teil fehlt insbesondere eine tiefer gehende Untersuchung der sozialen Menschenrechte in Deutschland. Gerade die neoliberale Spar- und Kürzungspolitik der letzten Jahre führte zu gravierenden Menschenrechtsverletzungen.

(Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Wir geben doch mehr Geld aus als im letzten Jahr! – Manfred Grund [CDU/CSU]: 30 Milliarden Euro jedes Jahr!)

Deren Auswirkungen sind steigende soziale Ungleichheit, zunehmende Verarmung und erschwerter Zugang zu gesellschaftlicher Teilhabe. 1,7 Millionen Kinder leben in Armut; das hat ein heute veröffentlichter Bericht von Eurostat ergeben. Auch die Wohnungslosigkeit nimmt zu. Angesichts eines Privatvermögens von 10 Billionen Euro in Deutschland ist diese zugespitzte Armutssituation untragbar.

(Beifall bei der LINKEN)

Die Linke fordert, die reale Entwicklung der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Menschenrechte in Deutschland im nächsten Bericht ausführlich zu reflektieren und zielgerichtete Lösungsansätze zu entwickeln, besonders hinsichtlich der Armutsbekämpfung.

(Beifall bei der LINKEN)

In dem Bericht wird die Situation von Asylsuchenden und Geflüchteten beschönigt. Insbesondere die menschenrechtlichen Folgen von Abschiebung werden nicht untersucht. Heute Vormittag wurden bei einem der schwersten Anschläge in Kabul mindestens 64 Menschen getötet und mehr als 300 verletzt. Afghanistan ist kein sicheres Herkunftsland. Stoppen Sie die Abschiebung nach Afghanistan!

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Im außenpolitischen Teil des Berichts ist die Mitverantwortung der deutschen Außenhandels- und Entwicklungspolitik bei Menschenrechtsverletzungen in Drittstaaten unzureichend beleuchtet worden. Neoliberale Handels- und Investitionsschutzabkommen, Rohstoffausbeutung oder der Export subventionierter Lebensmittel gefährden die soziale Menschenrechtslage in Drittstaaten. Auch Menschenrechtsverletzungen, die auf die deutsche Außen- und Verteidigungspolitik zurückzuführen sind, ignoriert der Bericht. Deutsche Rüstungsexporte und auch die militärische Beteiligung der Bundeswehr an Auslandseinsätzen wirken wie Öl im Feuer zahlreicher Kriegsgebiete und Krisenherde. Das EU-Grenzre­gime einschließlich der EU-Militärmission im Mittelmeer dient der Kontrolle der Fluchtrouten und der Abwehr von Geflüchteten. Das Sterben im Mittelmeer ist eine Folge dieser Abschottungspolitik der EU, spielt im Bericht aber keine Rolle. Das tausendfache Sterben im Mittelmeer darf uns nicht egal sein.

Die Linke fordert eine objektive Analyse der menschenrechtspolitischen Folgen der deutschen Außenpolitik und vor allem die Beendigung aller Auslandseinsätze, einen Stopp von Rüstungsexporten und ein Ende der ausbeuterischen Außenhandelspolitik.

(Beifall bei der LINKEN – Tom Koenigs [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und den Austritt aus der NATO! – Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU], an SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gerichtet: Und mit denen wollt ihr koalieren?)

Es geht weiter. In der Beschlussempfehlung des Menschenrechtsausschusses, die gegen die Stimmen der Oppositionsparteien angenommen wurde, findet sich die Forderung, in den nächsten Menschenrechtsbericht „die Menschenrechtslage auch von befreundeten Staaten künftig in den Länderteil zu integrieren“. Die Aufnahme der bisher fehlenden westlichen Industrienationen fordert die Linke schon lange. Beispielsweise haben die USA als einziges UN-Mitglied die Kinderrechtskonvention nicht unterzeichnet. Sie stehen wegen Kinderarbeit, der Prügelstrafe an Schulen und der Diskriminierung armer Kinder bei der Essensausgabe in der Kritik. Das sind Zustände, die untragbar sind.

Was bedeutet es, von befreundeten Staaten zu sprechen? Heißt das, dass Länder wie zum Beispiel Brasilien, Indien, Montenegro oder Kenia verfeindete oder jedenfalls nicht befreundete Staaten sind?

(Tom Koenigs [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sowjetunion!)

Die Linke hofft auf eine kritische Analyse der Lage der Menschenrechte in allen Staaten im nächsten Bericht.

Sehr positiv an dem Bericht ist, dass die äußerst problematische menschenrechtspolitische Situation der palästinensischen Bevölkerung infolge der israelischen Besatzung angesprochen wird. Kritisiert werden unter anderem die Administrativhaft, die Lage minderjähriger Palästinenser in israelischen Haftanstalten, die Zerstörungen von palästinensischen Privathäusern und humanitärer Infrastruktur sowie die unverhältnismäßige und teils tödliche Gewaltanwendung gegen Zivilisten durch israelische Sicherheitskräfte. Der israelische Siedlungsbau wird konsequent für völkerrechtswidrig erklärt.

Jedoch wird die humanitäre Katastrophe in Gaza allein der Hamas zugeschoben. Dabei schneidet die seit zehn Jahren andauernde Blockade dieses dicht bewohnte Gebiet komplett von der Außenwelt ab. Die israelische Regierung lässt an Nahrung und Medikamenten nur das einführen, was sie selbst zum Überleben für absolut notwendig empfindet.

Auch die ägyptische Regierung behindert Hilfslieferungen an der Grenze. Infolgedessen fehlt etwa ein Drittel dringend benötigter Medikamente und Hilfsmittel, und die gesundheitliche Versorgung jedes dritten Patienten bzw. jeder dritten Patientin ist bedroht. Solche Handlungen sollten im kommenden Bericht mitgedacht und von der Bundesregierung entsprechend kritisiert werden.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich empfehle, dem Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke zuzustimmen.

(Beifall bei der LINKEN – Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Alles andere wäre eine Überraschung!)

Für die umfassende Verwirklichung der universellen Menschenrechte sind Frieden und soziale Sicherheit die wichtigsten Voraussetzungen. Der Einsatz für Frieden und soziale Gerechtigkeit sollte daher auch oberste Aufgabe einer jeden deutschen Bundesregierung sein.

Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)