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Industrie 4.0-keine Antworten auf die neuen Herausforderungen

Rede von Herbert Behrens,

Herbert Behrens (DIE LINKE):

Frau Präsidentin!

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es geht um Industrie 4.0, eine Produktionsweise, die heute in den Betrieben schon teilweise vorhanden ist - wir haben es gerade gehört -, aber in der Zukunft noch wesentlich größere Dimensionen erreichen wird. Darum hätte ich bei diesem umfassenden und umfangreichen Antrag der Koalitionsfraktionen erwartet, dass sie Antworten auf die neuen Herausforderungen geben,

(Hubertus Heil (Peine) (SPD): Wo sind denn Ihre Anträge?)

dass sie klarmachen, an was es eigentlich fehlt, nachdem im Bundestag seit zwei Jahren über Industrie 4.0 diskutiert wird. Diese Antworten bleiben sie schuldig. Diesen Anforderungen werden sie nicht gerecht.

Sie haben keine Antwort auf die Frage gegeben: Wie müssen eigentlich die Schwerpunkte gesetzt werden? Es ist eine Ansammlung, teilweise ein Sammelsurium von verschiedenen Maßnahmen, die es in der Vergangenheit gegeben hat und die es auch künftig noch geben soll. Sie haben nicht gleich zu Anfang festgestellt: Es bedarf eines schnellen Internets auf Glasfaserbasis. - Sie haben wiederholt: Es kann so weiterlaufen wie bisher.  Die Industrie hat ja zugesagt, zu investieren. Sie wollen sozusagen technologieneutral - das ist ja das besondere Wort, das Sie verwenden - agieren. Nein, es bedarf eines flächendeckenden Glasfaserausbaus, um wirklich das umzusetzen, was wir mit Industrie 4.0 verbinden.

(Beifall bei der LINKEN - Hubertus Heil (Peine) (SPD): Steht aber drin!)

Industrie 4.0 ist aber auch nicht nur Wirtschaftspolitik. Frau Ministerin Wanka hat ja - allerdings erst unter Punkt 3 - darauf hingewiesen, dass es eben auch darauf ankommt, dass wir es mit real existierenden Belegschaften zu tun haben, die heute und morgen damit konfrontiert sein werden, wie sich ihre Arbeit verändert und auf was sie sich einstellen müssen. Auch dazu gibt es deutliche Leerstellen in diesem Antrag. Sie haben keine Ansagen zu Ihrer Position bzw. klaren Schwerpunktsetzung in Bezug auf die Beschäftigten gemacht.

(Hubertus Heil (Peine) (SPD): Doch!)

Die Linke stellt die heutigen und künftigen Belegschaften ins Zentrum von Industrie 4.0 und ordnet dem alles unter, was wir dort zu erwarten haben. Wir machen Vorschläge, wie wir die Produktivitätsgewinne, die zu erwarten sind, verteilen wollen, um den Fortschritt der Produktion auch zu einem gesellschaftlichen Fortschritt zu machen. Die Gewinne sollen nicht allein den Kapitalgebern zukommen, auch die Belegschaften sollen etwas davon haben.

(Beifall bei der LINKEN)

Konkret heißt das: Wenn in der Zukunft weniger Beschäftigte mehr günstiger und schneller produzieren können, dann dürfen die Gewinne eben nicht einseitig verteilt werden. Wir müssen beispielsweise die kürzeren Produktionszeiten - bedingt durch die produktivere Art und Weise, mit der wir produzieren - in kürzere Arbeitszeiten umsetzen,

(Beifall bei der LINKEN)

um Arbeitsbedingungen zu schaffen, die mehr Zeit für ehrenamtliche Tätigkeit und Familie mit sich bringen.

Kolleginnen und Kollegen, Sie haben keine Antworten auf die teilweise anmaßenden Forderungen gegeben, die seitens der Industrieverbände an Sie herangetragen worden sind. Das wäre ein Signal gewesen. Sie wären frei gewesen, die Bundesregierung in Ihrem Antrag dazu aufzufordern, eindeutig zu der Frage Stellung zu nehmen: Was halten Sie davon, wenn die Industrie den Ausbau von Werkverträgen verlangt und wenn sie fordert, dass die Leiharbeit nicht abgeschafft werden soll? Und sogar der Acht-Stunden-Tag soll infrage gestellt werden. Es gibt keine kommentierenden Hinweise oder Abgrenzungen gegenüber diesen absurden Forderungen. Arbeit im 21. Jahrhundert darf nicht zu Arbeitsbedingungen des 19. Jahrhunderts stattfinden!

(Beifall bei der LINKEN)

Belegschaften, Betriebsräte und Gewerkschaften haben in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten viel Erfahrung mit der Umstellung von Produktionsweisen bzw. ganzer Produktionszweige gemacht. Sie haben Erfahrungen darüber gesammelt, wie Belegschaften darauf reagieren, wie Kolleginnen und Kollegen mit den technologischen Veränderungen umgehen und wie diese einbezogen werden oder eben auch nicht einbezogen werden. Und sie haben sehen müssen, dass es zusätzliche Belastungen gab und dass es zu Qualifikationsverlusten gekommen ist, was einseitig auf die Schultern der Kolleginnen und Kollegen abgewälzt worden ist.

Das hat seinen Grund darin, dass die bisherige Mitbestimmung, die es in den Betrieben gibt, diesen neuen Herausforderungen noch nicht gerecht geworden ist. Darum sagen die Linke, aber auch die Gewerkschaften in ihren Vorschlägen, wie sich Mitbestimmung verändern muss, um diesen Herausforderungen gerecht zu werden: Wir brauchen a) eine Ausweitung der Beteiligung bei Unternehmensentscheidungen, b) zwingend Mitbestimmung bei allen personellen Maßnahmen einschließlich Outsourcing, Leiharbeit und Werkverträgen, und wir brauchen c) Gestaltungsmöglichkeiten von Betriebsräten über die Betriebsgrenze hinaus, wenn es zu Kooperationen kommt. Wenn es dazu kommt, dass Betriebe eng kooperieren, darf die Mitbestimmung nicht an den Betriebsgrenzen Halt machen. Das alles macht ein anderes Betriebsverfassungsgesetz möglich.

Die Linke fordert mehr Mitbestimmung und Beteiligung; denn nur mit mehr Demokratie im Betrieb wird es auch zu einem wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Fortschritt kommen können.

(Beifall bei der LINKEN)

Unsere Aufgabe als Politiker ist es, die Rahmenbedingungen zu setzen. Wir können - das ist klar - nicht jeden einzelnen kleinen Schritt vorgeben. Darum gehört noch viel Forschungsarbeit auf diesem Feld dazu. Ministerin Wanka hat recht, wenn sie sagt: Wir fangen nicht erst heute an. Es gibt bereits aus den Jahren des technologischen Umbruchs bzw. der Digitalisierung in der Produktion weitreichende Forschungsergebnisse. Damals hieß die Überschrift dazu „Leben und Arbeiten in der Informationsgesellschaft“.

Wir brauchen Forschung darüber, wie Belegschaften mit diesem Veränderungsprozess umgehen. Wir müssen ihnen Sicherheit geben, damit sie wissen, auf was sie sich - qualifikatorisch, aber auch im Hinblick auf die Veränderung des Betriebes - vorbereiten müssen. Deshalb fordern wir, dass die Forschungen, die hier in dem Antrag noch einmal explizit genannt worden sind, auch wirklich ernstgenommen werden. Wir brauchen keine weiteren Forschungsergebnisse, die in den Bibliotheken der Universitäten verschwinden oder verstauben. Diese Forschungsergebnisse müssen in die politischen, aber auch in die unternehmerischen Entscheidungen einfließen, sonst machen sie keinen Sinn.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich kritisiere an Ihrem Antrag, dass Sie, wie vorhin schon gesagt, keine eindeutigen Hinweise darauf geben, wie Sie zu den Forderungen stehen, die beispielsweise von der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände oder vom Bundesverband der Deutschen Industrie kommen. Ich lese nichts von Widerspruch zu der anmaßenden Forderung, Unternehmensgründer mit Sonderrechten auszustatten, keine gesetzlichen Beschränkungen beim mobilen Arbeiten zuzulassen oder das Verbot der Sonntags- und Feiertagsarbeit aufzuweichen. Dazu haben Sie Stellung zu nehmen, damit wir Sicherheit in den Umbau der Industrie bekommen. Ohne diese Sicherheit, insbesondere auch für die Beschäftigten, wird es keinen vernünftigen Einstieg in die Industrie 4.0 geben können.

(Beifall bei der LINKEN)

Es besteht die Gefahr, dass Belegschaften zur Restgröße von industriellen Veränderungsprozessen werden. Sie haben keine Antworten auf die Frage, wie sich möglicherweise die Lebensqualität der Belegschaften verändert, wenn es zur Entgrenzung von Arbeitszeiten kommt, sei es, dass sie zu Hause arbeiten müssen oder sollen, sei es, dass sie just in time in den Produktionsprozess integriert werden. Ohne diese Antworten werden wir aber die Industrie 4.0 nicht gestalten können.

(Hubertus Heil (Peine) (SPD): Stellen Sie mal einen Antrag! Wäre mal schön!)

Von daher ist es erforderlich, dass wir zu den Forderungen der Wirtschaftsverbände eindeutig Position beziehen, die aus den Möglichkeiten, die ihnen die neuen Technologien bieten, einseitig ihren Profit heraussaugen wollen. Die Linke sagt: Ja, wir wollen einen technologischen Fortschritt, der den Menschen dient. Wir wollen die Möglichkeiten nutzen für gute Arbeit, für gute Löhne, für eine umweltverträglichere Produktion und für Entwicklungsmöglichkeiten in den Ländern des globalen Südens.

(Beifall bei der LINKEN)

Das sind die wirklichen Herausforderungen der Digitalisierung von Wirtschaft und Arbeit. Ihr Denken ist von gestern und lässt es nicht zu, dass wir wirklich die Probleme von morgen lösen können.

Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Dieter Janecek (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))