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In einer Demokratie gehört sich das nicht!

Rede von Halina Wawzyniak,

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen!

Vorratsdatenspeicherung heißt jetzt Höchstspeicherfrist. Was heißt das konkret? Bisher dürfen Telekommunikationsanbieter zu Abrechnungszwecken Daten speichern.

(Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU): Das dürfen sie immer noch!)

Dürfen heißt aber nicht müssen, und so können die Telekommunikationsanbieter auch darauf verzichten, wenn sie wollen, zum Beispiel wenn sie ein datenschutzfreundliches Geschäftsmodell anbieten wollen. Wenn die Vorratsdatenspeicherung durchkommt, dann müssen sie aber Daten speichern. Sie dürfen gerade nicht darauf verzichten. Was wird nun wie lange gespeichert? Verkehrsdaten für zehn Wochen, Standortdaten für vier Wochen. Das Telekommunikationsgesetz regelt klar, was Standortdaten und was Verkehrsdaten zu Abrechnungszwecken sind.

Die Neuregelung verpflichtet die Telekommunikationsanbieter nun zur Speicherung unter anderem folgender Daten: Rufnummer und Kennung des angerufenen und anrufenden Anschlusses; Datum und Uhrzeit von Beginn und Ende der Verbindung; Angaben zum genutzten Dienst, wenn unterschiedliche Dienste genutzt werden; die internationale Kennung des anrufenden und des angerufenen Endgerätes - das ist neu -; bei Internettelefondiensten die Internetprotokolladressen des anrufenden und des angerufenen Anschlusses sowie die zugewiesene Benutzererkennung - das ist neu -; die Übermittlung einer Kurz-, Multimedia- oder ähnlichen Nachricht - das ist neu -; unbeantwortete oder wegen eines Eingriffs des Netzwerksmanagements erfolglose Anrufe - das ist neu -; für die Internetnutzung die zugewiesene Internetprotokolladresse - das ist neu -; die eindeutige Kennung des Anschlusses über den Internetzugang - das ist neu -; Datum und Uhrzeit von Beginn und Ende der Internetnutzung und der zugewiesenen Protokolladresse - das ist neu. Mit anderen Worten: Die Telekommunikationsanbieter werden nicht nur gezwungen, Daten zu speichern, sondern sie werden auch noch gezwungen, mehr Daten als vorher zu speichern.

Wenn Sie jetzt richtig zugehört haben, dann haben Sie gemerkt: Jegliche Kommunikation mit ihren technischen Geräten mit Ausnahme der E-Mail wird erfasst. Jetzt kommt noch hinzu, dass im Falle der Nutzung mobiler Telefondienste die Funkzellen gespeichert werden, die vom anrufenden und angerufenen Anschluss genutzt werden. Ihnen ist jetzt schon klar, dass damit nachvollziehbar ist, wann Sie sich wo aufgehalten haben. Wenn Ihnen das gefällt, dann müssen Sie der Vorratsdatenspeicherung zustimmen. Wenn Ihnen das nicht gefällt, dann stimmen Sie dagegen.

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Matthias W. Birkwald (DIE LINKE): Das machen wir!)

Dem Gesetzentwurf fehlt eine Überwachungsgesamtrechnung. Gerade die hat das Bundesverfassungsgericht aber eingefordert. Schauen wir uns an, was wir da schon haben: Ich nenne beispielsweise die Rasterfahndung, die akustische Wohnraumüberwachung, die anlassunabhängige Funkzellenabfrage, die Videoüberwachung im öffentlichen Raum und, nicht zu vergessen, die Möglichkeiten der Geheimdienste, in die Telekommunikationsfreiheit einzugreifen.

(Michael Grosse-Brömer (CDU/CSU): Irgendwie klingt das alles nicht so schlecht, was Sie vortragen!)

Ich habe einen Tipp für Sie: Lesen Sie in den nächsten beiden sitzungsfreien Wochen einfach einmal Was macht ihr mit meinen Daten? von Malte Spitz. Er hat ein ganzes Buch darüber geschrieben, was mit Daten passiert.

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN- Claudia Roth (Augsburg) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Guter Tipp!)

Sie von der Großen Koalition haben bislang nicht die Frage beantwortet - Sie können sie auch nicht beantworten -, warum Sie Telekommunikationsanbieter verpflichten wollen, die Verkehrs- und Standortdaten zu speichern - wohlgemerkt: verpflichten. Das Standardargument ist: weil Straftaten begangen werden und die gespeicherten Daten möglicherweise, unter Umständen, vielleicht zur Aufklärung benötigt werden können. Das ist aber ein Generalverdacht. In einer Demokratie gehört sich das nicht.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

Ich habe mir unter freiheitlich-demokratischer Grundordnung etwas anderes vorgestellt.

(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Tabea Rößner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Sie haben immer wieder behauptet, die Vorratsdatenspeicherung sei notwendig für die Strafverfolgung und die Gefahrenabwehr; ohne Vorratsdatenspeicherung entstünden Schutzlücken.

(Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU): Stimmt auch!)

Ich weiß, ehrlich gesagt, nicht, wer diese These in den öffentlichen Raum geblasen hat.

(Michael Grosse-Brömer (CDU/CSU): Praktiker!)

Sie wabert da herum, wird ständig wiederholt, und - ich bin geneigt, zu sagen - sie ist zur Ideologie geworden.

(Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Wie es sich für ordentliche Ideologen gehört, sind Sie blind für alles, was diese Ideologie erschüttern könnte.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN - Sabine Weiss (Wesel I) (CDU/CSU): Das kennen Sie ja gar nicht! - Michael Grosse-Brömer (CDU/CSU): Heiterkeit bei der CDU/CSU!))

Es interessiert Sie nicht, dass es keinerlei Nachweis dafür gibt, dass für die Strafverfolgung und für die Gefahrenabwehr die Vorratsdatenspeicherung erforderlich ist. Sie verfahren einfach nach der Devise: Irritieren Sie mich bitte nicht mit Fakten. Ich habe schon eine Ideologie

(Beifall bei der LINKEN - Widerspruch bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD - Michael Grosse-Brömer (CDU/CSU): Sie lassen sich Ihre Vorurteile ja auch durch Argumente nicht zerstören!)

- Ich weiß, dass Sie das aufregt; aber ich kann nichts dafür, dass Sie an dieses Thema ideologisch herangehen.

Herr Minister Maas hat bei der Vorstellung des Gesetzentwurfs gesagt, er habe in der Vergangenheit Gespräche geführt und es habe viele Fälle gegeben, in denen Straftaten nicht hätten aufgeklärt werden können, weil Daten nicht gespeichert worden seien.

(Dr. Johannes Fechner (SPD): Genau! So ist das!)

Als ich nachfragte, welche Fälle das konkret gewesen seien und welche Fakten zu dieser Erkenntnis geführt hätten, lautete die Antwort wie folgt: Es handelt sich um allgemeine Erkenntnisse, die in Gesprächen gewonnen wurden. - Aha. - Die Aussage beziehe sich nicht auf konkrete Einzelfälle. - Interessant. Ich kann mich da nur wiederholen: Es gibt offensichtlich weder viele Fälle noch konkrete Fälle. Es gibt, mit anderen Worten, keinerlei Beleg für die Erforderlichkeit der Vorratsdatenspeicherung. In einem demokratischen Rechtsstaat bedeutet das dann: Finger weg von der Einschränkung von Grundrechten.

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Herr Maas, Sie sind in einer misslichen Situation: Sie haben einen Koalitionspartner, der gar nicht genug Überwachungsinstrumente bekommen kann und jeden Tag nach einem neuen schreit, und dann erklärt Ihr Parteivorsitzender in bester Schröder’scher Art und Weise auch noch: Basta, die Vorratsdatenspeicherung wird gemacht. - Wofür braucht man einen Koalitionspartner, wenn man so einen Parteivorsitzenden hat!

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Zurück zur Erforderlichkeit der Vorratsdatenspeicherung. In der Anhörung wurde versucht, die Erforderlichkeit zu belegen. Das misslang deutlich. Es wurde davon geredet, sie sei ermittlungstechnisch nicht ausreichend. Es gebe unzählige Tatsachen, die belegten, eine sechsmonatige Speicherung sei erforderlich. Es konnte nicht gesagt werden, warum die Regelung nicht ausreicht. Es konnte auch nicht gesagt werden, welche unzähligen Rechtstatsachen es denn konkret sind. Im Gegenteil: Herr Frank vom Richterbund hat uns noch aufgeklärt: Es gibt keine Statistiken über Fälle, die ohne Vorratsdatenspeicherung nicht gelöst werden konnten.

Der Versuch des Sachverständigen Berger, doch noch etwas zur Erforderlichkeit der Vorratsdatenspeicherung beizutragen, indem er auf 25 Seiten 20 Einzelfälle auflistete, scheiterte. Das Problem ist nämlich: Wenn es in 17 von 20 Fällen einen Angeklagten gab, obwohl es keine Vorratsdatenspeicherung gegeben hat, dann ist die Vorratsdatenspeicherung nicht erforderlich. Wenn es in den drei anderen Fällen, bei denen es die frühere Vorratsdatenspeicherung gab, eine Anklage wegen freiwilliger Datenweitergabe und in einem Fall geständige Angaben gab, dann ist auch das ein Beleg dafür, dass die Vorratsdatenspeicherung nicht erforderlich ist.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich fasse zusammen: Eine Schutzlücke durch eine fehlende Vorratsdatenspeicherung gibt es nicht. Sie können es nicht schaffen, die Erforderlichkeit nachzuweisen. In einem demokratischen Rechtsstaat muss für einen Grundrechtseingriff die Erforderlichkeit aber begründet werden. Bei der Vorratsdatenspeicherung geht das nicht. Wenn das so ist, dann ist es in einem demokratischen Rechtsstaat ganz einfach: Finger weg von der Einschränkung von Grundrechten! Finger weg von der Vorratsdatenspeicherung!

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ich sage Ihnen sehr deutlich: Die Gegner der Vorratsdatenspeicherung verteidigen den Rechtsstaat, die Befürworter gefährden ihn.

(Beifall bei der LINKEN - Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU - Thomas Oppermann (SPD): Sie haben wirklich ein klares Weltbild! - Dr. Jan-Marco Luczak (CDU/CSU): Ein bisschen zu viel Kaffee getrunken heute Morgen!)

Nun klopfen Sie von der Sozialdemokratie sich auf die Schulter, weil Sie in den Gesetzentwurf eine Evaluierung hineinverhandelt haben. Ich verstehe das sogar ein wenig; denn die Union ist bei dem Thema so vernagelt, dass das aus Ihrer Sicht vermutlich tatsächlich ein Erfolg ist. Aber wenn Sie der Vorratsdatenspeicherung nun mehrheitlich zustimmen, liebe Genossinnen und Genossen von der SPD: Richtig sozialdemokratische Politik wäre eine Befristung des Gesetzes gewesen.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Lassen Sie mich noch auf einen Punkt eingehen, der Gefahr läuft, in der Debatte unterzugehen. Ich rede vom Straftatbestand der Datenhehlerei. Sie wollen unter Strafe stellen, wenn jemand Daten, die nicht allgemein zugänglich sind und die ein anderer durch eine rechtswidrige Tat erlangt hat, sich oder einem anderen verschafft, einem anderen überlässt, verbreitet oder sonst zugänglich macht, um sich oder einen Dritten zu bereichern oder einen anderen zu schädigen. Ich finde das angesichts der Vorfälle um netzpolitik.org ein ziemlich starkes Stück. Da hilft auch der Absatz 3 nicht weiter, der die Strafbarkeit unter bestimmten Umständen ausschließt.

Natürlich fallen Journalistinnen und Journalisten wegen ihres Zeugnisverweigerungsrechts in der Strafprozessordnung grundsätzlich unter diesen Absatz. Aber Sie schreiben, dass die Daten entgegengenommen, ausgewertet oder veröffentlicht werden müssen. In der Begründung schreiben Sie, dass unter die beruflichen Pflichten, die zum Strafausschluss führen können, journalistische Tätigkeiten in Vorbereitung einer konkreten Veröffentlichung fallen. Ja, da steht tatsächlich „Tätigkeiten in Vorbereitung einer konkreten Veröffentlichung“. Sie können ja etwas anderes gemeint haben. Aber dann gilt: Augen auf bei der Gesetzesformulierung! Wenn der Journalist oder die Journalistin noch gar nicht weiß, ob er oder sie überhaupt etwas veröffentlichen will, dann gilt nach Ihrer Gesetzesbegründung der Ausschluss der Strafbarkeit nicht. Ich habe jetzt noch nicht einmal über Whistleblower geredet. Sie machen ein Whistleblower-Bestrafungsgesetz. Nötig wäre aber ein Whistleblower-Schutzgesetz.

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich komme zum Schluss. Die Erforderlichkeit der Vorratsdatenspeicherung ist nicht erwiesen. Der Straftatbestand der Datenhehlerei führt zu einem Whistleblower-Bestrafungsgesetz. Die Linke lehnt den Gesetzentwurf zur Vorratsdatenspeicherung ab. Ich kann Sie alle nur auffordern, das ebenso zu tun.

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)