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Historische Chance nicht verspielen

Rede von Thomas Nord,

Serbien hat ein Aufnahmeverfahren ohne zusätzliche Hürden verdient. Die Beitrittsverhandlungen dürfen nicht mit der Forderung nach Anerkennung eines unabhängigen Staates Kosovo verknüpft werden. Wer das tut, gefährdet die historische Chance einen sehr alten Konflikt, welcher viel Leid verursacht hat, dauerhaft zu beenden.

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Botschafter!

Ich teile - das wird vielleicht den einen oder anderen überraschen - vieles von dem, was Herr Kiesewetter hier über die historische Situation gesagt hat.

(Veronika Bellmann [CDU/CSU]: Das kann man ja nicht mehr umdeuten! Das ist halt so!)

- Gerade in Geschichtsfragen kann man, wie Sie wissen, sehr unterschiedlicher Meinung sein. In dieser sind wir offensichtlich gemeinsam einer Meinung.

(Beifall des Abg. Manuel Sarrazin [BÜND-NIS 90/DIE GRÜNEN])

Die Einleitung von Beitrittsverhandlungen zwischen Serbien und der EU bietet auch aus unserer Sicht eine historische Chance, einen sehr alten Konflikt, der viel Leid verursacht hat, dauerhaft zu beenden. Daher ist die Linke für die Weiterleitung des Beitrittsantrags Serbiens an die Europäische Kommission. Wir wollen, dass sich die Bundesregierung dafür im Rat und bei den übrigen Mitgliedsländern einsetzt.

(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN])

Wie die SPD wollen wir, dass bei den Beitrittsverhandlungen mit Serbien ausschließlich die Kopenhagener Kriterien gelten und keine weiteren Bedingungen gestellt werden. Die Anträge der Koalitionsfraktionen und der Grünen aber lassen erkennen, dass dies für Serbien nicht so gelten soll. Auch der Antrag der SPD bleibt hier leider unklar.
Es entspricht nicht unserer Auffassung, dass die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit Serbien mit der Anerkennung des Kosovos als unabhängiger Staat verknüpft werden darf. Wir halten trotz des Gutachtens des Internationalen Gerichtshofes die Unabhängigkeitserklärung des Kosovos für nicht mit dem Völkerrecht vereinbar, weil sie letztlich dazu beiträgt, einseitige Grenzveränderungen zu legitimieren.

(Beifall bei der LINKEN)

Mit dem zentralen Satz des Gutachtens, das Völkerrecht enthalte kein Verbot von Unabhängigkeitserklärungen und das Kosovo habe deshalb nicht gegen allgemeines internationales Recht verstoßen, wurde aus unserer Sicht die Büchse der Pandora geöffnet. Wer solche Aussagen begrüßt, darf sich über die Sprüche von Milorad Dodik und anderen Nationalisten nicht wundern. Der Außenminister wird noch oft und nicht nur auf dem Balkan erklären müssen, warum für diese nicht gilt, was für den Kosovo rechtens sein soll.

(Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Weil es einen Völkermord gab! - Gegenruf von der LINKEN: Was gab es denn in der Türkei?)

Wir unterstützen die Forderung - das schließt gut an -, dass Serbien uneingeschränkt mit dem Internationalen Strafgerichtshof zusammenarbeiten soll. Gleichwohl lehnen wir die Verknüpfung dieser Forderung mit der Entscheidung über die Weiterleitung des Beitrittsantrags ab.
Die jetzige serbische Regierung unternimmt große Anstrengungen für eine Annäherung an die Europäische Union, darunter solche, die wir scharf kritisieren wie die Umsetzung der Bedingungen des IWF bei der Bewältigung der Krise. Damit dürfte die Bundesregierung aber eher weniger Probleme haben.
Für uns gibt es aber auch positive Belege - dies wurde beispielsweise schon von Herrn Kiesewetter gesagt -, zum Beispiel den Beschluss des serbischen Parlaments zum Massaker in Srebrenica oder die aktiven Bemühungen, gemeinsam mit Kroatien Kriegsfolgen zu überwinden. Es müsste im Interesse der Bundesregierung sein, der serbischen Seite die Durchsetzung dieser politischen Linie zu erleichtern.

(Beifall bei der LINKEN)

Mit der Verknüpfung der Beitrittsverhandlungen an die Forderung nach Anerkennung eines unabhängigen Staates Kosovo durch Serbien wird aber das Gegenteil erreicht. Die Bundesregierung steht mit dieser Politik in einer traurigen Kontinuität. Warren Christopher sagte mit Blick auf die Anerkennung von Slowenien und Kroatien1991:
Beim gesamten Anerkennungsprozess ... wurden schwere Fehler gemacht ... die Deutschen tragen eine besondere Verantwortung.
Diesen Fehlern folgten Bürgerkriege und der völkerrechtswidrige Krieg gegen Rest-Jugoslawien durch die NATO, den unsere Partei abgelehnt hat.

(Beifall bei der LINKEN)

Die entstandenen politischen Verhältnisse zum Beispiel in Bosnien-Herzegowina sind nach wie vor instabil. Die jetzigen Wahlen haben nichts daran geändert. Die OSZE spricht nach 15 Jahren militärischer und ziviler Präsenz in Bosnien-Herzegowina von einer Stabilisierung des Wahlprozesses. Das ist nach 15 Jahren wirklich ein bemerkenswerter Fortschritt. Richtig wäre, die Kräfte zu stärken, die für Aussöhnung und Neuanfang sowie eine proeuropäische Politik stehen.
Der Deutsche Bundestag sollte deutlich machen - dies tut er heute hier -, dass Serbien heute nicht mehr das Serbien von Slobodan Milosevic ist. Es setzt sich für friedliche Konfliktlösungen ein und sucht den Dialog und die Verständigung. Diese Regierung braucht Unterstützung in ihrer Außenpolitik, keine Ansagen oder Diktate.

Soll der Beitrittsprozess Erfolg haben, muss er von inneren Überzeugungen und der Bereitschaft, tradierte Sichtweisen und Emotionen zu überwinden, geleitet sein.

Präsident Dr. Norbert Lammert:
Das ist ein sehr guter Schluss.

Thomas Nord (DIE LINKE):
Mir scheint, die serbische Regierung hat das schon begriffen. Hier bin ich mir nicht immer ganz sicher. Danke schön.

(Beifall bei der LINKEN)