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Hilfe mit deutlichen Mängeln

Rede von Cornelia Möhring,

Frau Präsidentin,

liebe Kolleginnen und Kollegen!

Die Einrichtung eines bundesweit erreichbaren, kostenlosen und rund um die Uhr besetzten Hilfetelefons ist eine richtige Maßnahme, um möglichst viele Betroffene an die Hilfeeinrichtungen in Wohnortnähe weiterzuleiten. Damit kann eine Lücke im bestehenden Unterstützungssystem für von Gewalt Betroffene geschlossen werden. Die bedrückende Zahl, dass 80% der von Gewalt betroffenen Frauen bisher in keine der bestehenden Hilfenetze vermittelt werden können, spricht für sich selber. Darin sind sich wohl alle hier im Hause ebenso wie auch die Vertreterinnen der Schutz- und Hilfseinrichtungen vor Ort einig.

Die Implementierung des Hilfetelefons muss aber von einer Reihe von Maßnahmen begleitet werden, die in der vorliegenden Gesetzesvorlage leider nicht vorkommen.
So sollten vor der Inbetriebnahme exakte Standards festgelegt werden, die sich an denen der vorhandenen Notrufe orientieren. Denn wenn dieses Hilfetelefon einen Lotsencharakter haben soll, also an die richtige Stelle weiterleiten und zugleich für die gesamte Bandbreite der Gewaltfälle zuständig sein soll, brauchen wir Konkretisierungen und entsprechende Standards.

Das Hilfetelefon soll in folgenden Fällen weiterhelfen durch weiterleiten:
im Falle häuslicher Gewalt, im Falle von Gewalt außerhalb von Beziehungen, im Falle sexualisierter Gewalt, bei Stalking, Zwangsheirat, Gewalt im Namen der „Ehre“, Genitalverstümmelung, Zwangsprostitution, Gewalt an Migrantinnen, an Frauen mit Behinderungen sowie älteren Frauen und andere Gewaltfälle gegen Frauen. An das Hilfetelefon sollen sich sowohl die direkten Betroffenen wenden können, aber auch Nachbarn, Familienangehörige, Ärzte, Lehrerinnen, alle diejenigen die versuchen zu unterstützen und dafür Rat brauchen.

Das setzt umfangreiche Datenbanken voraus, damit die Frauen bei den unterschiedlichen Schutz- und Hilfseinrichtungen vor Ort auch tatsächlich ankommen. Die einzustellenden Fachkräfte müssen entsprechend qualifiziert sein, Angebote für unterschiedliche Behinderungsarten und mehrere Sprachen abdecken. Da reicht eine Call-Center Erfahrung nicht aus.

Sollten die Anrufe den Umfang erreichen, den die Bundesregierung prognostiziert - also 700 täglich – dann ist uns allen auch jetzt schon klar, dass das heute existierende Hilfesystem finanziell und personell besser ausgestattet werden muss. Es bietet bereits heute nicht genügend Räume, Personal und Ausstattung um wirklich allen zu helfen. Melden sich mehr, braucht es auch mehr Angebote. Das ist eine einfache Rechnung.

Ein weiterer Punkt muss in der Umsetzung noch nachgebessert werden: die geplanten Sprachangebote. Hier will die Bundesregierung der europäischen Richtlinie folgen und lediglich Übersetzungen für Englisch, Türkisch und Russisch anbieten. Aber dieses Angebot greift zu kurz. Ich habe eingangs auf die Vielzahl der Gewaltformen verwiesen, für die die Notrufnummer zuständig sein soll. Dazu gehört auch Zwangsprostitution, die ein Besorgnis erregendes Ausmaß angenommen hat. In der Bundesrepublik haben wir es mit einer Welle von zwangsprostituierten Roma aus Rumänien, Bulgarien und anderen mittel- und osteuropäischen Ländern zu tun. Für sie brauchen wir ebenso dringend das Hilfetelefon. Ihre Sprachen müssen im Angebot enthalten sein.

Auch die Vertreterinnen von Frauen mit Behinderung äußern sich kritisch zum bisherigen Notruf-Konzept der Bundesregierung. Weil für die Umsetzung immer noch unklar ist, ob wirklich alle Frauen mit Behinderungen das Nothilfetelefon auch nutzen können. Dies würde nämlich erfordern, dass für jede Behinderungsart eine adäquate Nutzungsmöglichkeit bereitgestellt werden müßte. Es reicht eben nicht, gehörlosen Frauen mitzuteilen, sie könnten ja ein Faxgerät benutzen…

Es geht außerdem um die Befähigung der AnsprechpartnerInnen am Telefon, auf verschiedene Behinderungsarten auch angemessen zu reagieren. Einen Schwerpunkt bildet die „einfache Sprache“ – die Fähigkeit, komplexe Inhalte in einfache Sprachformen für Menschen mit Lernschwierigkeiten zu „übersetzen“. Frauen mit solcher Behinderung sind – ähnlich wie gehörlose Frauen – in besonders hohem Masse von Gewalt betroffen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen,
meine Gespräche mit Vertreterinnen der Hilfesysteme haben die Forderungen nach einer begleitenden Evaluierung unter Beteiligung der bestehenden Hilfenetze, u.a. Frauenhäuser, Beratungsstellen, Hilfetelefone, bestätigt. Nach einer Anlaufzeit des bundesweiten Hilfetelefons, aber nicht später als ein Jahr nach dem Start, sollte ein erneuter Bericht der Bundesregierung über die Lage der Schutz- und Hilfseinrichtungen vorgelegt werden. Und die Einrichtungen vor Ort müssen von Anfang an in die Überlegungen zur Umsetzung des Hilfetelefons einbezogen werden. Denn noch einmal, dieses Hilfetelefon wird einen Lotsencharakter haben. Die eigentliche Hilfe muss vor Ort geleistet werden und gesichert sein.

Innerhalb der EU gibt es die Forderung dass eine international besetzte, unabhängige ExpertInnengruppe die Umsetzung der Hilfetelefone auf der nationalen Ebene überwachen soll. Dieser Forderung schließt sich die LINKE an. Nach all dem gesagten wird deutlich, dass die im Gesetz vorgesehene Evaluierung des Hilfetelefons nach fünf Jahren völlig an der Realität vorbei geht. Bereits in der Einführungsphase ist eine wissenschaftliche Begleitung notwendig, damit rechtszeitig Schwachstellen erkannt und beseitigt werden können. Die Evaluierung muss sich auf das gesamte Hilfesystem erstrecken und nicht nur das zentrale Hilfetelefon abdecken.

Die Bundesregierung muss also trotz der im Gesetzentwurf erkennbaren guten Absicht noch deutlich nacharbeiten. Und damit sollte sie schnell beginnen, damit die dringend nötige Hilfe dann auch 2013 auch in vollem Umfang geleistet werden kann.