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Herbert Behrens: Verkehrsminister blendet ethische Frage aus

Rede von Herbert Behrens,

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Minister, ich wäre schon froh, wenn hier im so von Ihnen bezeichneten Autoland Deutschland die Automobilkonzerne in der Lage wären, die von Ihnen vereinbarten Abgasgrenzwerte einzuhalten, und wenn wir diesbezüglich von keinen Gefahren für unsere Gesundheit mehr ausgehen müssten.

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Nun geht es in erster Lesung um den Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes. Das hört sich nicht sonderlich spannend an. Schließlich geht es in diesem Gesetz um Führerschein auf Probe, den Bußgeldkatalog oder Haftpflichtfragen. Doch die Änderung, die nun vorgesehen ist, geht weit darüber hinaus. Es geht um automatisiertes Fahren, genauer gesagt: um teil- oder hochautomatisiertes Fahren. Aber egal, ob es sich um teil- oder hochautomatisiertes Fahren handelt, wir haben es mit einer grundlegenden Veränderung im Autofahren zu tun. Computer sollen Aufgaben übernehmen, die bislang selbstverständlich zum Autofahren gehörten, wie Geschwindigkeit reduzieren, wenn es plötzlich glatt ist, Verkehrsschilder erkennen und die Fahrweise darauf einstellen oder im Extremfall auf ein Hindernis reagieren, egal ob sich ein Mensch, ein Tier oder ein Gegenstand auf der Straße befindet. All diese Entscheidungen sollen in Zukunft im Zusammenwirken mit dem Computer getroffen werden.

Die Tragweite der damit zusammenhängenden Fragen können viele von uns – ich schließe mich ein – nicht überschauen. Der Gesetzentwurf soll nun binnen weniger Wochen durch den Bundestag gepeitscht werden, obwohl wir mit diesem Thema erstmalig im Dezember konfrontiert wurden. Das ist doch unverantwortlich. Für solche Entscheidungen brauchen wir doch Zeit und das notwendige Wissen. Aber darüber verfügen viele von uns noch gar nicht.

(Beifall bei der LINKEN)

Geradezu absurd ist, schon jetzt die Automatisierung des Autofahrens im Straßenverkehrsgesetz zu verankern, ohne zum Beispiel die Ergebnisse der von der Bundesregierung selbst initiierten Testfelder auf der Autobahn auszuwerten.

Bei der Haftung bei Unfällen mit teil- oder hochautomatisierten Autos wirft der Gesetzentwurf Fragen auf, die nicht beantwortet sind. Im Gesetzentwurf steht, dass der Fahrzeugführer beim hochautomatisierten Fahren unverzüglich das Steuer wieder übernehmen muss, wenn ihn das Fahrzeug dazu auffordert. Diese Formulierung ist so unscharf, dass selbst Sie, Herr Minister Dobrindt, fälschlicherweise davon ausgehen, dass man in diesen Autos schnell einmal E-Mails bearbeiten darf, da es jederzeit möglich ist, das Steuer unverzüglich zu übernehmen. Studien in Fahrsimulatoren haben gezeigt, dass mindestens 15 Sekunden nötig sein können, um sich von einer fahrfremden Tätigkeit wieder auf das Fahrgeschehen einzustellen. Ist das unverzüglich? Wenn ich nun 15 Sekunden verstreichen lassen würde, ohne ein Wort in das Mikrofon zu sagen, würde jedem, glaube ich, offensichtlich werden, mit welchen Dimensionen wir es im Straßenverkehr zu tun haben.

Zum Thema Datenschutz. Bei teil- oder vollautomatisiertem Fahren muss bei Unfällen zweifelsfrei geklärt werden, ob das Auto oder der Mensch gesteuert hat. Deshalb soll eine Blackbox installiert werden, die drei Jahre lang die Fahrdaten aufzeichnet. Das ist Vorratsdatenspeicherung im Straßenverkehr. Das ist völlig unakzeptabel genauso wie der Zugriff auf die Daten.

(Beifall bei der LINKEN)

Für mich viel wichtiger sind aber – ich hoffe, dass das auch für andere von Bedeutung ist – die ethischen Fragen. Diese spielen im Gesetzentwurf überhaupt keine Rolle, und das nicht etwa, weil diese ausführlich diskutiert und entschieden sind. Die vom Verkehrsminister eingesetzte Ethikkommission ist zwar nötig und arbeitet auch. Sie wurde jedoch erst nach den entsprechenden Entscheidungen eingerichtet. Sie muss doch erst einmal ihre Arbeit beendet haben, damit wir ein Gespür dafür bekommen, was wir entscheiden müssen und was nicht, und zwar bevor eine Strategie für automatisiertes oder vernetztes Fahren beschlossen wird. Ethische Fragen über den Schutz von Leben und Gesundheit der Menschen müssen doch entschieden werden, bevor der Straßenverkehr, der Tausende Tote und Zehntausende Verletzte verursacht, vollautomatisiert oder teilautomatisiert wird.

Den Grund für die Eile lesen wir im Begründungsteil des Gesetzentwurfs. Dort finden wir die Begriffe „Leitanbieter bleiben“, „Vorreiterrolle sichern“, und „Stärkung des Innovations- und Wirtschaftsstandortes Deutschland“. Herr Minister, Sie haben eben sehr deutlich gemacht, worum es eigentlich geht und um wessen Interessen es geht. Wer so an neue Techniken herangeht, der nimmt keine Abwägung zwischen ethischen und ökonomischen Fragen vor. Diese sind schon vorab entschieden. Die Linke macht diese besinnungslose Technikeuphorie nicht mit.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir müssen entscheiden, wie wir leben und wie wir mobil sein wollen. Dann kommen die Entscheidungen über die Technik, und dann kommen die Entscheidungen über die Veränderungen des Straßenverkehrsgesetzes. Das ist die richtige Reihenfolge für verantwortliches Handeln. Dafür und nur dafür ist die Linke zu haben.

(Beifall bei der LINKEN)