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Herbert Behrens: Freie Bahn für die „Maut für alle“!

Rede von Herbert Behrens,

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der Minister versteckt sich erneut hinter seinen Sprechblasen, die wir hier zum x-ten Male hören,

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

um nachzuweisen, dass es angeblich gerecht zugehen soll, dass es europarechtskonform sei, dass es Einnahmen aus dem gebe, was er Infrastrukturabgabe nennt, was aber in Wirklichkeit eine Ausländermaut ist.

Wir sind der Meinung: Damit muss Schluss sein; denn diese Sprechblasen verhindern nur, dass man dahinter das sehen kann, was gemeint ist. Mit diesen Sprechblasen wird verdeckt, dass es einen erheblichen Aufwand gibt, dass es Bürokratie gibt, die viele tausend Menschen bindet, die damit konfrontiert werden, diese Maut abzuwickeln. Es ist ein irrsinniger Aufwand, der betrieben wird, um vielleicht 500 Millionen Euro einzunehmen, vielleicht aber auch gar nichts; wahrscheinlich geht es ins Minus.

(Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Eher gar nichts!)

Wir wissen, dass die deutschen Autofahrer 3 Milliarden Euro zahlen sollen; das ist sicher. Angeblich sollen die Ausländer 700 Millionen Euro aufwenden, um Autobahnvignetten zu kaufen; das ist nicht sicher. Wir wissen, dass die Behördenmitarbeiter 43,5 Millionen Bescheide verschicken müssen, in denen den Autofahrern klargemacht wird: Sie müssen zwar zahlen, aber sie werden entlastet. Das Personal dafür soll es angeblich geben. Sicher ist das nicht. Sicher ist auf jeden Fall der Aufwand, der betrieben werden muss.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Das ist eine Sache, die wir so nicht akzeptieren können, wenn der Preis dafür möglicherweise ein Minusgeschäft ist.

Ich habe versucht, mir dieses aufwendige Spektakel zu erklären. Mir fiel dazu nur eine Satire von Ephraim Kishon ein, nämlich Der Blaumilchkanal. In dieser Geschichte ist ein Mensch aus der Psychiatrie ausgebrochen, schnappt sich einen Presslufthammer und reißt eine Hauptstraße in Tel Aviv auf. Keiner fragt nach: Was soll das? Keiner fragt nach: Wer hat dich beauftragt? Keiner fragt nach: Was ist das Ziel dieser Maßnahme? Im Gegenteil: Polizei und Stadtverwaltung mischen sich ein und stellen Absperrungen zur Verfügung. Die Polizei regelt den Verkehr, und alles geht seinen Gang. Am Ende gibt es einen Kanal mitten durch Tel Aviv, und die Stadtverwaltung macht sich dieses Projekt zu eigen, obwohl sie es nie beschlossen hat, obwohl sie es nie kontrolliert hat. Sie feiert sich dafür, dass es jetzt einen Kanal in Tel Aviv gibt. Während man sich selbst feiert, ist Kasimir Blaumilch mit seinem Presslufthammer schon in einer Nebenstraße zugange. Das ist die Parallele zu dem, was hier mit der Maut passiert. Keiner fragt nach, keiner kontrolliert, und keiner sagt, was Ziel und Sinn des Ganzen ist.

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Die Idee mit Kishon war gut, aber die Umsetzung war schlecht!)

Vielleicht haben wir es aber auch nicht mit einer Satire zu tun, sondern mit einem Projekt, das mit großem Aufwand vernebeln soll, was eigentlich dahintersteckt. Die geheimen Gutachten, über die jetzt die Berliner Zeitung berichtet, zeigen auf, wohin die Reise gehen soll. Dort wird berichtet, die Infrastrukturabgabe sei zentrales Merkmal der Bundesfernstraßengesellschaft, also der Gesellschaft, mit der die Privatisierung der Infrastruktur vorbereitet werden soll. In den Gutachten steht, dass nicht mit 3 Milliarden Euro Infrastrukturabgabe gerechnet wird, sondern mit 5,2 Milliarden Euro. Dort steht auch nicht, dass die Maut erstattet werden kann, sondern dort ist die Rede von einem Zuwachs, einem Aufwuchs. Das muss uns doch höchst aufmerksam machen. Eigentlich müssten wir zu der Schlussfolgerung kommen, dass dieses Gesetz heute nicht beschlossen werden darf.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Stattdessen sollte ein anderes Gesetz beschlossen werden. Unsere Fraktion hat einen entsprechenden Gesetzentwurf vorgelegt. Darin steht, dass die Infrastrukturabgabe sofort versenkt werden soll. Wir müssen noch einmal neu darüber nachdenken, wie wir die Verkehrsinfrastruktur finanzieren wollen.

Ich erinnere mich an die denkwürdige Rede des neuen Bundespräsidenten von Mittwoch. Er sagte:

"Aber es gibt auch ... die schleichende Erosion von innen: durch Gleichgültigkeit, Trägheit und Teilnahmslosigkeit oder ... die Anfechtung durch jene, die Parlamente und demokratische Institutionen nicht mehr als Ort für politische Lösungen sehen wollen, sondern als Zeitverschwendung diskreditieren ..."

Das trifft ein Stück weit auf das Mautgebaren der Großen Koalition zu. Gleichgültigkeit, Trägheit und Teilnahmslosigkeit sehe ich bei Ihnen, Kolleginnen und Kollegen von der SPD, wenn der einzige Einwand gegen dieses unsinnige Gesetz der ist: Wir haben aber eine zweijährige Frist hineingeschrieben; nach dieser muss das Gesetz überprüft werden. – Das ist Trägheit. Das ist keine kritische Überprüfung des Ganzen.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Der Bundespräsident sprach von jenen, die Parlamente nicht mehr als Ort für politische Lösungen ansehen wollen. Dieser Satz betrifft offensichtlich den Bundesverkehrsminister. Seine Missachtung drückt sich nicht nur in der Qualität der Beantwortung von Anfragen aus, sondern auch in dem Tempo, mit dem sowohl das erste Gesetz durchgeprügelt worden ist als auch der Gesetzentwurf, den wir jetzt vor uns haben, durchgeprügelt werden soll. Binnen 24 Stunden sollten sich die Fachverbände dazu äußern. Binnen 14 Tagen sollte sich das Parlament abschließend mit dieser Frage befasst haben und zu einem Ergebnis kommen.

Ich hoffe, dass der Bundespräsident seine Worte ernst meint, wenn er sagt, was er alles tun wird. Er sagte:

"Ich werde parteiisch sein, parteiisch, wenn es um die Sache der Demokratie selbst geht. ... Partei ergreifen werde ich auch für Europa."

Herr Bundespräsident, seien Sie bitte europäisch, und unterschreiben Sie dieses Gesetz nicht. Dieses Gesetz darf nicht in Kraft treten!

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)