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Heidrun Bluhm-Förster: Leben auf dem Land - Wunsch und Wirklichkeit

Rede von Heidrun Bluhm-Förster,

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Verehrte Gäste! Immer mehr Menschen wollen der Hektik der großen Städte, der intensiven Arbeitswelt, den lauten Geräuschen und der geistigen Überflutung entfliehen. Idyllische Vorstellungen nach Ruhe und aufrichtiger Gemeinschaft erfassen uns immer öfter.

Wir wollen arbeiten, um uns persönlich zu verwirklichen und vom Ertrag der Arbeit auskömmlich leben zu können. Wir wollen den Einklang mit der Natur und eine gesunde Umwelt, die durch Artenvielfalt und gute Luft gekennzeichnet ist. Wir wollen glückliche Kinder, die sich frei entwickeln, ihre Entwicklungschancen nutzen und geborgen in ihren Familien aufwachsen können. Wir wollen das Wesentliche in unserem Ort selbst in die Hand nehmen können und vor allem mitbestimmen. Wir wollen kein Gegeneinander der Nachbargemeinden, keine ruinöse Konkurrenz unserer Kommunen in der Region. Wir wollen, dass unser Ort, auch über die landwirtschaftliche Produktion und Verarbeitung hinaus, produktive Wertschöpfung entsprechend den vorhandenen geografischen, gesellschaftlichen und individuellen Möglichkeiten hervorbringt.

Viele Orte können sich heute schon autark mit regenerativer Energie und Wärme versorgen, regionale und saisonale Produkte in einem Wirtschaftskreislauf für die Versorgung mit Grundnahrungsmitteln produzieren und auch verteilen. Um das zu gewährleisten, muss viel stärker an die Anforderungen der Daseinsvorsorge gedacht werden, und die tatsächlichen Bedürfnisse der Menschen müssen darauf ausgerichtet sein.

(Beifall bei der LINKEN)

Deshalb gehören diese Aufgaben allesamt vergesellschaftet und vor allem entsprechend ausfinanziert.

(Beifall bei der LINKEN)

Wohnen, Gesundheit, Bildung, Kultur und Sport sind besser in der Kommune zu organisieren als anderswo. Wir wollen in einer Gemeinschaft mit Menschen leben, die sich ihren eigenen Lebensraum schaffen können, die ihre eigenen Vorstellungen vom Leben auch verwirklichen und ganz demokratisch immer weiterentwickeln. Darin sind auch Traditionen und der Erhalt der vorhandenen Kulturlandschaften immer einbezogen und ganz selbstverständlich Grundlage der sich entwickelnden Wertevorstellungen der Menschen im Ort. Das steht für uns aber nicht im Widerspruch zu Weltoffenheit, Toleranz oder Solidarität.

(Beifall bei der LINKEN)

Die neue Art zu leben und zu arbeiten, ist flexibel und familienfreundlich und vor allem auch durch Digitalisierung möglich geworden. Durch digitale Angebote überall kann lebenslanger Wissensdurst von Kindesbeinen an sehr gut gefördert werden. Dadurch werden neue und innovative Schul- und Bildungsformen entstehen. Lange Schulwege gehören dann irgendwann der Vergangenheit an. Es wird darauf ankommen, den öffentlichen Personennahverkehr auf diese Bedürfnisse auszurichten und ihn flexibel an den Fernverkehr anzubinden und damit die private Pkw-Nutzung immer weiter zurückzudrängen; wobei wir alle wissen, dass sie heute noch nicht entbehrlich ist.

Auch bei der gesundheitlichen Versorgung sind Digitalisierung und Mobilität die Grundpfeiler für gleichwertige Lebensverhältnisse in der ländlichen Region. Um das Theater, das Kino, die Disco, das Museum und das Fußballspiel des Regionalvereins besuchen zu können, können Rufbusse, Fahrgemeinschaften und Share-Taxen im ländlichen Raum selbstverständlich von jedermann in Anspruch genommen werden. Das ist aber noch ein Wunsch.

Gemeinschaft in ländlichen Räumen wird neu gedacht; denn immerhin lebt über die Hälfte der Bevölkerung schon heute dort. Wenn Schulabschlüsse gleichwertig sind, die medizinische Versorgung überall gegeben und möglich ist und die demokratische Mitbestimmung ohne finanzielle Mangelwirtschaft in den Gemeinden gelebt werden kann, dann werden noch mehr Menschen in Deutschland in kleinen Städten und in Dörfern leben wollen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich gebe zu, einiges von dem Vorgetragenen hört sich an wie ein schöner Traum. Das muss aber nicht so bleiben.

(Beifall bei der LINKEN)

Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat mit der Aufsetzung dieses Tagesordnungspunkts uns die Gelegenheit gegeben, unsere Anträge für den ländlichen Raum beizulegen und hier darzustellen, was wir uns darunter vorstellen. In meinen vorangegangenen Ausführungen habe ich versucht, aufzuzeigen, wie wir uns das wünschen. Dazu sind Vorschläge in unseren Anträgen enthalten; ich nenne einige Stichworte: auskömmliche Kommunalfinanzen, gute Ausstattung der freiwilligen Feuerwehren oder auch die Ansiedlung von Bildungsstrukturen für die wissenschaftliche Erforschung des ländlichen Raums selbst.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sollten aber auch nicht so tun, als ob die Regierung untätig gewesen wäre. Das ist nicht so, nein; vor allem bei der Analyse der vorhandenen Bedingungen in Stadt und Land waren die verantwortlichen Ministerien wirklich fleißig. Es gibt den aktuellen Dritten Bericht der Bundesregierung zur Entwicklung der ländlichen Räume, vorgelegt von Ministerin Klöckner. Es gibt die Ergebnisse der Kommission „Gleichwertige Lebensverhältnisse“, sogar mit Handlungsempfehlungen, und den Heimatbericht aus dem Ministerium von Horst Seehofer. Selbst der Maut-Minister Scheuer hat brauchbare und sinnvolle Infrastrukturentwicklungsvorschläge für die ländlichen Räume gemacht.

(Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Heidrun, du bist ja so großzügig! Du hast ein großes Herz!)

Auch in den Haushaltsplänen ist eine Menge Geld vorgesehen, sodass wir ganz vieles davon auch umsetzen können. Es bleibt aber zum Schluss die große Frage, warum das in der Fläche nicht zu spürbaren Entwicklungsschüben für gleichwertige Lebensverhältnisse führt, warum die Kommunen immer noch den Mangel verwalten müssen, und warum die Menschen immer noch in die Städte ziehen. Vieles ist hausgemacht, wie zum Beispiel durch die Privatisierung der Daseinsvorsorge. Profite wurden privatisiert und Risiken sozialisiert. Wenn hier die Weichen nicht grundsätzlich umgestellt werden, dann kann keine Regierung, die nach dem Grundgesetz dazu verpflichtet ist, gleichwertige Lebensverhältnisse zu verwirklichen, das auch realisieren. Deshalb werbe ich für unsere Anträge.

(Beifall bei der LINKEN)

Mit Verlaub, Herr Präsident, da das heute meine letzte Rede ist, möchte ich meine Redezeit gern ein bisschen überziehen

(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der LINKEN und der SPD)

und ein kurzes Wort an Sie alle richten. Ich möchte zuallererst meinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern danken; denn ohne sie wäre ich niemals in der Lage gewesen, hier das abzuliefern, was ich abgeliefert habe.

(Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Ich möchte zweitens vor allem meinen Kritikerinnen und Kritikern, auch aus den anderen Fraktionen, danken, dass sie mich immer so kritisch begleitet haben; denn das hat immer mal dazu geführt, dass ich mich hinterfragt und unter Umständen auch korrigiert habe.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Als ich 2005 in den 16. Deutschen Bundestag gewählt worden bin, hat mich mein Vater beiseitegenommen und hat gesagt: Mädel, du bist jetzt unter über 82 Millionen Menschen eine von 600, denen es vergönnt ist, so eine Aufgabe zu lösen. Ich erwarte von dir, dass du erstens stolz darauf bist, dass du diese Verantwortung übernehmen darfst, und dass du dir zweitens dieser Verantwortung aber auch immer bewusst bist und dass du uns, um Gottes willen, als Familie bitte nicht blamierst.

(Heiterkeit bei der LINKEN)

Ich hoffe, das ist gelungen.

(Beifall bei der LINKEN, der CDU/CSU, der SPD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Der letzte Satz. Wenn die Legislatur zu Ende ist, dann werde ich mich einer neuen Aufgabe widmen. Ich habe mir einen Kleingarten angeschafft und möchte versuchen, mich mit einem möglichst geringen ökologischen Fußabdruck selbst zu ernähren und ökologische Produkte herzustellen. Denn im Vergleich zu dem Politikerleben ist das Gärtnerleben insofern interessant, als der Gärtner vor der Saat bereits weiß, was ihm blüht.

(Heiterkeit und Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, in diesem Sinne: Machen Sie es gut! Und tschüss!

(Beifall im ganzen Hause)