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Heidrun Bluhm: Bauen im Bestand verstärkt fördern

Rede von Heidrun Bluhm-Förster,

Der Aufgabe die Baukultur in Deutschland zu stärken steht aktuell im Spannungsfeld zweier großer gesellschaftlicher Trends. Die Bundesregierung fasst diese in ihrer Stellungnahme wie folgt zusammen: „In Wachstumsregionen steigt der Druck auf die Innenstädte ebenso wie der Druck auf die Stadt- und Ortsränder. Zeitgleich steigt der Leerstand in Gemeindekernen in Teilen des Landes.“ Wir haben es also zum einen mit einem großen Mangel an bezahlbarem Wohnraum in den Städten bzw. immer weiter steigender Mietbelastung für die Menschen zu tun und auf der anderen Seite in vielen ländlichen Regionen „leerfallende Ortszentren“ – wie es im Baukulturbericht heißt – also Schrumpfung und Leerstand, verbunden mit den bekannten sich verstärkenden Trends und Abwärtsspiralen aus Abwanderung, demografischem Wandel und Verfall von Infrastruktur und öffentlicher Daseinsvorsorge.

Die zentrale Botschaft des aktuellen Baukulturberichts lautet: „Vorrang für den Bestand, Innenentwicklung statt Expansion in neue Baugebiete“. Und ebenso wichtig: „eine Konstruktive Einbindung der Bewohner in Planungsprozesse“. Was sich so leicht ausspricht, ist allerdings ein durchaus komplexer und mit Widerständen und Konflikten verbundener Prozess, den vor allem Kommunalpolitiker gestalten müssen.

Der aktuelle Baukulturbericht 2018/2019, der diesmal die Überschrift „Erbe – Bestand – Zukunft“ trägt, ist von hoher fachlicher Qualität, einem interdisziplinären Blick und einer Vielzahl von Themen und Aspekten gekennzeichnet und mündet auch in konkreten Handlungsaspekten. Gerade in Zeiten, in denen das Mantra „Bauen, Bauen, Bauen“ als Maßnahme gegen Wohnungsnot und steigende Mieten von vielen hier im Plenum als einziges Allheilmittel propagiert wird, ist es wichtig, den Fokus wieder auf die Bestandsentwicklung zu richten. Das Thema Wohnungsnot, steigende Mieten treibt die Menschen verständlicherweise um, ist das bezahlbare Wohnen doch unzweifelhaft die neue soziale Frage. Damit kommt aber eben nicht nur dem Neubau und dem günstigen, einfachen oder seriellen Bauen eine bedeutsame Rolle zu. Bezahlbares Wohnen und nachhaltiges, umweltschonendes Bauen muss aus unserer Sicht immer mitgedacht werden, wenn es um die Themen Bauen, Wohnen und eben auch Baukultur geht.

Das zweite große Megathema ist der Klimawandel und die Energiewende. Dem Bauen im Bestand kommt auch die Aufgabe zu, einen Beitrag zu leisten, die Baubranche insgesamt ressourcenschonend auszurichten und in Energie- und Materialkreisläufen zu denken. Stichwort: Gesamtenergiebilanz. Kurzum: Abriss und Neubau sind auch im Hinblick auf die CO 2 -Bilanz und den Ressourcenverbrauch keinesfalls immer die bessere Alternative.

Die Bundesregierung formuliert in diesem Zusammenhang in ihrer Stellungnahme zum Baukulturbericht die Forderung nach einer „ökologisch nachhaltigen Stadtentwicklung“. Leider kommt die Stellungnahme über dieses Stichwort nicht hinaus. Hier hätten wir uns Maßnahmen gewünscht, die schon jetzt umgesetzt werden können. Schließlich ist die öffentliche Hand nicht nur einer der größten Bauherren und Bauplaner, sondern hat auch die Verantwortung für milliardenschwere Förderprogramme der Stadtentwicklung, des Denkmalschutzes, der Gebäudesanierung, die am Leitbild einer ökologisch nachhaltigen Stadtentwicklung ausgerichtet werden müssen.

Was ich bereits bei vorangehenden Baukulturberichten in der Debatte im Bundestag kritisiert habe, trifft hier in diesem Fall leider immer noch zu: Es gibt einen exzellenten Bericht, eine detailreiche Analyse und konkrete Handlungsempfehlungen und Vorschläge. Die Schlussfolgerungen der Bundesregierung sind allerdings mehr als dürftig. Auch die Koalition mit ihrem Entschließungsantrag setzt hier leider nichts Substanzielles drauf.

So fehlt beispielsweise auch eine kritische Auseinandersetzung mit dem Thema Flächenverbrauch. Die Flächenversiegelung in Deutschland ist – so lautet die einhellige Meinung von Experten – immer noch viel zu hoch. Auch dies eine Folge der Betonung des Neubaus und des motorisierten Individualverkehrs, mit den negativen Folgen des Verlustes von wertvollen landwirtschaftlichen Flächen und einer weiteren Zersiedelung der Landschaft. Ein Thema, mit dem sich auch der Bundestag seit Jahren beschäftigt, ohne dass wir bisher den Trend entscheidend umkehren konnten. Auch in diesem Zusammenhang können eine Hinwendung zum Bauen im Bestand und mehr Nachverdichtung in den Städten einen großen Beitrag leisten.

Ein weiterer Teilaspekt, dem sich der Baukulturbericht widmet, ist die Liegenschaftspolitik. Stadtplaner und Mandatsträger müssen sich verstärkt gegen eine Kommerzialisierung des öffentlichen Raumes wehren und Kontrapunkte setzen. Das, was der Baukulturbericht mit „regionaler Vielfalt“ und „örtlicher Wiedererkennbarkeit“ meint, ist eben gerade in vielen deutschen Innenstädten einer kommerziellen Uniformität gewichen. Hotel-, Mode- und Kaffeehausketten bieten den Menschen vor Ort und den Besuchern der Städte nicht die kulturelle Identität der Orte, die sie suchen und schätzen.

In der Stellungnahme der Bundesregierung heißt es in diesem Zusammenhang: „Der historische Baubestand ist wichtiger Träger der kulturellen Identität eines Ortes, eines Quartiers oder einer Stadt.“ Die Städtebau- und Denkmalschutzprogramme des Bundes haben auf diesem Gebiet viel erreicht, sind aber keinesfalls zu einem Abschluss gelangt. Vielmehr bleibt es eine dauerhafte Aufgabe und Verantwortung des Bundes, diesen Bestand zu sichern. Dazu zählt im Übrigen auch das baukulturelle Erbe der DDR, das oft genug einer Betonung des preußischen Bauerbes zum Opfer fallen musste. Stichworte: Stadtschloss, Potsdamer Garnisonkirche.

Die Bundesstiftung Baukultur baut bekanntlich nicht selbst, sondern ihre Aufgabe besteht darin, Debatten anzustoßen, Themen in die Öffentlichkeit zu tragen und Netzwerke und Kontakte aller relevanten Akteure auszubauen und miteinander zu den wichtigen Themen ins Gespräch zu bringen. Denn das Thema Baukultur und Quartier- und Stadtplanung treibt viele Menschen um, da ihr Leben davon unmittelbar betroffen ist.

Auch dem Thema Fußverkehr und Radwegeausbau hat der Baukulturbericht ein eigenes Kapitel gewidmet, was belegt, dass die Autoren und die Bundesstiftung Baukultur insgesamt interdisziplinär denken und einen weiten Blick auf das Thema Bauen haben, also nicht beim Gebäude stehen bleiben. Das ist wichtig und richtig für eine breite gesellschaftliche Debatte und eine sinnvolle Verknüpfung des Themas Baukultur mit den großen transformatorischen Themen Umwelt, Klima, Verkehr, Gegensatz Stadt und Land, bezahlbares Wohnen in den Städten.

Wir sind also mittendrin in einer intensiv geführten Debatte um den Umbau und die Lebensqualität in unseren Städten. Die Bundesstiftung Baukultur leistet dabei einen wichtigen Beitrag, nicht nur mit ihrem Baukulturbericht, sondern auch mit ihren zahlreichen Veranstaltungen und Ihrer Öffentlichkeitsarbeit. Dafür möchte ich meinen herzlichen Dank an den Vorstand und an alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Bundesstiftung Baukultur sowie die zahlreichen Autoren der Studie aussprechen.