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„Haushaltsentwurf offenbart tiefgreifende Inkohärenz der deutschen Entwicklungszusammenarbeit“

Rede von Hüseyin Aydin,

Rede im deutschen Bundestag am 28. November 2007 zur 3. Lesung des Haushaltsgesetzes für 2008, Einzelplan 23 (Etat des Bundesministeriums für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung)

Hüseyin-Kenan Aydin (DIE LINKE):
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Etat des Entwicklungshilfeministeriums soll im Jahre 2008 um über 14 Prozent steigen. Das ist kein Grund zum Jubeln.
(Otto Fricke (FDP): Ach nein?)
Das ist überfällig.
(Otto Fricke (FDP): Was? Sagen Sie bloß!)
Denn der Anteil der Entwicklungshilfe am Bruttoinlandsprodukt liegt real bei 0,27 Prozent.
(Dr. Karl Addicks (FDP): Das stimmt doch gar nicht! Das müsst ihr noch einmal ordentlich nachrechnen!)
In Schweden liegt er bei über 1 Prozent. Deshalb muss die schwedische Regierung diesen Wert im Gegensatz zur Bundesregierung, die die eigene Entwicklungshilfebilanz um über ein Drittel aufbläht, nicht schönreden.
In der Frankfurter Rundschau war zu Recht von einem großen Bluff die Rede. So werden hierzulande längst abgeschriebene Altschulden des Saddam-Regimes verbucht, ohne dass damit heute ein einziger zusätzlicher Euro im irakischen Haushalt zur Verfügung stünde.
Noch absurder: Wenn sich ein in Deutschland lebender Tunesier an der Ruhr-Universität Bochum einschreibt, dann erscheint auch das in der Bilanz der Bundesregierung als erfolgreiche deutsche Entwicklungshilfe. Wir sprechen hier nicht von Peanuts. Insgesamt werden 750 Millionen Euro als sogenannte Studienplatzkosten verbucht. Nur eine Minderheit unter den Geberländern der OECD macht von diesem Trick Gebrauch. Länder wie Großbritannien oder Schweden verzichten ganz darauf. Die deutsche Regierung aber ist in diesem Zusammenhang Spitze. Liebe Ministerin, ist eine solche Rechenführung Ausdruck einer guten Regierungsführung, wie wir sie von afrikanischen oder anderen Ländern verlangen?
(Beifall bei der LINKEN)
Die Linke sagt: Entwicklungspolitik muss mehr als eine PR-Veranstaltung und auch mehr als Wirtschaftspolitik sein, Herr Koppelin. Sie muss sich daran messen lassen, ob sie zur Erreichung der Millenniumsziele in den armen Ländern beiträgt. Entgegen allen Beteuerungen kommen wir gerade in diesem Bereich nur sehr ungleichmäßig voran. Wir werden im Jahre 2015 feststellen: Wir haben die Ziele nicht erreicht.
Ich nenne einige Zahlen für den Haushaltsplan 2008: Die Aufstockung des multilateralen globalen Fonds zur Bekämpfung von Aids, Tuberkulose und Malaria wurde bereits erwähnt. Sie wird von uns voll unterstützt. Frau Ministerin, Sie können sich sicher sein, dass die Linke Sie bei der Erreichung der Ziele und auch bei der Umsetzung tatkräftig unterstützt.
Die Zusagen für Gesundheit innerhalb der bilateralen Zusammenarbeit sinken von 108 Millionen auf 65 Millionen Euro. Grundbildungsvorhaben stagnieren. Selbst bei großzügiger Berechnung kommen wir auf 120 Millionen Euro. Mittelzusagen bei Wasser und Umwelt sinken. Der Zusagerahmen für Wirtschaftsreform und Marktwirtschaft Herr Koppelin, in Ihrem Sinne hingegen verdoppelt sich auf 423 Millionen Euro. Mit der Förderung von nachhaltiger Entwicklung hat das aus unserer Sicht nichts zu tun.
(Beifall bei der LINKEN)
Diese Zahlen belegen vor allem eines: die tiefgreifende Inkohärenz der deutschen Entwicklungszusammenarbeit.
Dies zeigt sich auch im eigenen Hause. Ich spreche von der lange diskutierten Reform der Institutionen. Ja, wir brauchen eine gemeinsame eigenständige Entwicklungsagentur aus GTZ und KfW-Entwicklungsbank. Dahinter stehen sowohl die Fraktionen von SPD und Grünen als auch die Linke. Das können Sie sofort anpacken und umsetzen. Es passiert aber nichts. Das Bundesministerium ist nach dem Eingeständnis seines Staatssekretärs zu schwach, um sich gegen die Verselbstständigung der Durchführungsapparate zu behaupten. Das ist aus meiner Sicht ein ganz erbärmliches Schauspiel.
Die Linke hat in den Haushaltsberatungen das Ersuchen nach mehr Mitarbeitern im Entwicklungshilfeministerium unterstützt. Ich hoffe, dass wir damit die Position der politischen Führung im Ministerium gegenüber den Bänkern in den Durchführungsorganisationen entscheidend stärken.
(Jürgen Koppelin (FDP): Wie bitte?)
Lassen Sie mich noch eines hinzufügen. Das deutsche Entwicklungshilfeministerium hat kein Monopol auf die Beschönigung harter Interessenpolitik. Die EU-Kommission ist noch schlimmer. Im Vorfeld des EU-Afrika-Gipfels in Lissabon redet sie von Partnerschaft. Tatsächlich ist es jedoch reine Erpressung, wenn die EU-Kommissare Mandelson und Michel die Unterzeichnung neoliberaler Marktöffnungsabkommen mit der angedrohten Kürzung von Entwicklungshilfegeldern erzwingen wollen.
Im gemeinsamen Strategiepapier mit der Afrikanischen Union lesen wir viel von der Förderung der Investitionsbedingungen in Afrika.
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
Herr Kollege.
Hüseyin-Kenan Aydin (DIE LINKE):
Doch die überfällige Ratifizierung der Kernarbeitsnormen der Internationalen Arbeitsorganisation bleibt ein Nichtthema.
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
Herr Kollege.
Hüseyin-Kenan Aydin (DIE LINKE):
Ich komme zum Schluss.
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
Ich bitte darum.
(Jürgen Koppelin (FDP): Wir auch!)
Hüseyin-Kenan Aydin (DIE LINKE):
Meine Damen und Herren, ich möchte im Zusammenhang mit dem EU-Afrika-Gipfel auf einen letzten Punkt hinweisen.
Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
Nein, Herr Kollege.
Hüseyin-Kenan Aydin (DIE LINKE):
Heute wird über Nuklearabkommen und über Kernenergie in Afrika diskutiert. In Afrika braucht man keine Atomenergie. Dort hat man genug Sonne. Lassen Sie uns die alternativen Energien in Afrika fördern, aber nicht die Kernenergie.
(Beifall bei der LINKEN)