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Haushalt der vertanen Chancen

Rede von Heidrun Bluhm-Förster,

Rede zum Bundeshaushalt 2016 – Einzelplan 16, Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit – in der abschließenden zweiten, dritten Lesung.

Heidrun Bluhm (DIE LINKE):

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bereits in der ersten Lesung zum Einzelplan 16 am 11. September dieses Jahres war viel davon die Rede, welche Chancen die Zusammenlegung des Umwelt- und des Bauressorts eröffnet. Leider sind diese Chancen aus unserer Sicht ungenutzt geblieben. Ich sage: Wenn man sich die Haushaltsansätze des Einzelplans 16 ansieht, dann stellt man fest, dass sie auch in Zukunft ungenutzt bleiben. Das will ich Ihnen am Etat für Bauen und Wohnen einmal erklären.

 

Die Bundesregierung hält an ihren Klimaschutzzielen im Gebäudebereich fest. Das ist gut, aber ohne weitere haushalterische Untersetzung bleiben diese Ziele leider romantische Wünsche.

 

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

 

Mittlerweile brauchen wir eine Sanierungsquote von 3 Prozent jährlich, um dem selbst verordneten CO2-Einsparungsziel näherzukommen. Derzeit liegen wir bei knapp 1 Prozent. Aber das fällt wahrscheinlich unter uns Fachpolitikern fast keinem mehr auf, weil die Aufgabe zusammen mit dem EKF mittlerweile in das Ressort des Vizekanzlers fällt und so aus dem Blickfeld der Fachpolitiker – zumindest aus dem Blickfeld der Fachpolitiker der Koalition – verschwunden ist. Diese Mittel gehören zurück in den Einzelplan 16, damit man sich damit im fachpolitischen Zusammenhang befassen kann.

(Beifall bei der LINKEN)

 

Verglichen mit der wohnungspolitischen Agonie vergangener Regierungen waren die letzten Wochen dieser Regierung geradezu atemberaubend in ihrem Aktionismus: Ausschussberatungen, mehrere Expertengespräche, das Bündnis für bezahlbares Wohnen, die Baukostensenkungskommission und vieles mehr. Alle Experten in diesen Fachgesprächen waren sich darin einig, dass alle unsere Probleme hausgemacht sind und auch ohne die Zuwanderung von Flüchtlingen und Asylbewerbern lange vorhanden waren. Es gab wohnungspolitische Vereinbarungen der Bundeskanzlerin mit den Ländern. Eine Bauministerkonferenz hat zwischenzeitlich stattgefunden. Schließlich hat uns das Bauministerium ein Thesenpapier, ein Zukunftspapier, eine neue wohnungspolitische Agenda mit dem vielversprechenden Titel „Neues Zusammenleben in der Stadt“ vorgelegt. Was darin einleitend gesagt wird, könnte ich fast alles sofort unterschreiben. Die Linke hat vieles davon schon in ihre parlamentarischen Anträge geschrieben. Deshalb kommt uns zum Beispiel bekannt vor – ich zitiere –:

Die Bevölkerungsentwicklung in Deutschland stellt uns vor neue Herausforderungen in der Stadtentwicklung.

Das ist richtig. Dann heißt es:

Neben den Wanderungsbewegungen innerhalb des Landes kommen in diesen Monaten viele Menschen zu uns, die auf der Flucht vor Krieg und Gewalt ein friedliches Leben suchen. Wir wollen und können diesen Menschen eine neue Heimat bieten.

Auch das ist sehr begrüßenswert. Weiter heißt es:

 

Für alle Menschen ... muss Wohnraum geschaffen werden. ... Unsere Städte müssen in jeder Hinsicht durchmischt sein: in den Nutzungen, in den sozialen Milieus und in der städtebaulichen Struktur.

Beifall. All das könnte auch von der Linken sein. (Beifall bei der LINKEN)

Dann kommt der Satz:

Für die Städte haben wir jetzt die Gelegenheit, das Leitbild der kompakten, integrierten und umweltfreundlichen Stadt schrittweise in die Realität umzusetzen:

 

Jetzt kommt der Lackmustest. Wenn man diesen Satz mit dem Haushalt 2016 abgleicht, bleibt einem nichts anderes übrig, als zu sagen: Die Gelegenheit haben Sie verpasst, wieder einmal; denn dieser, wenn auch aufgestockte Haushalt ist kein Haushalt eines Aufbruchs zu einer wohnungspolitischen Offensive. Ich sage Ihnen: Damit gibt es keinen Neustart des sozialen Wohnungsbaus. Es gibt kaum Impulse für den Erhalt gemischter Quartiere etwa durch ein bedarfsgerechtes dynamisiertes Wohngeld, keine Offensive für die energetische Gebäudesanierung. Es gibt nur ein Weiter-so mit leicht nach oben gesetzten Haushaltsansätzen. Meine Damen und Herren, es ist hier schon mehrfach heute gesagt worden: Sie fahren auf Sicht.

 

Ja, die Kompensationszahlungen an die Länder für die soziale Wohnraumförderung werden fast verdoppelt. Viel ist auch nicht mehr von den einmal vorhandenen 5 Millionen Sozialwohnungen übrig geblieben, die es vor der Abschaffung der Wohnungsgemeinnützigkeit in Deutschland gab. 4 Millionen davon sind inzwischen aus der Sozialbindung herausgefallen. Aber es gibt heute schon wieder mindestens 7 Millionen Mieterhaushalte, die Anspruch auf eine Sozialwohnung hätten. Es fehlen in Deutschland rund 2 Millionen altersgerechte Wohnungen, und es herrscht geradezu Notstand bei der Versorgung von Studierenden mit Wohnheimplätzen und bezahlbaren Studentenwohnungen.

 

(Zuruf der Abg. Bettina Hagedorn [SPD])

 

Von den vielen Zuwanderern, die auch wohnen müssen und wohnen sollen, rede ich hier noch gar nicht. Was unternimmt die Bundesregierung? Das Statistische Bundesamt zählt seit 2003 weniger als 10 000 neu gebaute Sozialwohnungen pro Jahr in ganz Deutschland. Mit der Aufstockung um 500 Millionen Euro hofft Frau Hendricks nun, die Zahl neu gebauter Sozialwohnungen jährlich auf 60 000 erhöhen zu können.

 

(Sören Bartol [SPD]: Großer Erfolg!)

 

Damit hätten wir es in 100 Jahren fast geschafft,

(Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: 100 Jahre Große Koalition, das könnt ihr uns nicht antun!)

 

den heutigen Bedarf zu decken, aber das Programm, das Sie aufgelegt haben, läuft nur bis 2019. Also, wer rechnen kann, ist klar im Vorteil. (Beifall bei der LINKEN) Auf Initiativen aus der Privatwirtschaft für den sozialen Wohnungsbau würde ich auch nicht setzen. Die hat nämlich andere Prioritäten, zum Beispiel steuerliche Anreize durch höhere Abschreibungen. Klar, das kann man machen, auch die Linke verweigert sich da grundsätzlich nicht. Aber die greifen erst, wenn die Wohnungen gebaut sind, und sie würden den Steuerzahler nach seriösen Schätzungen, zum Beispiel von Pestel, circa 3,5 Milliarden Euro kosten. Sie gelten darüber hinaus für alle Wohnungen, auch für Luxuswohnungen. Also, je teurer wir bauen, desto mehr kann abgeschrieben werden. Wenn schon, warum nicht gleich dieses Steuergeld direkt in die soziale Wohnraumförderung stecken, anstatt öffentliche Gelder in die privaten Taschen in der vagen Hoffnung umzuleiten, dass dabei auch soziale oder wohnungspolitische Effekte entstehen?

 

(Beifall bei der LINKEN)

 

Diese als Steuervergünstigung gedachten 3,5 Milliarden Euro, dazu die von uns in unserem Haushaltsantrag geforderten 1,5 Milliarden Euro und die von den Ländern eins zu eins kofinanzierten Mittel, dann wären wir schon bei 6,5 Milliarden Euro. Das wären ein echter Neustart und vielleicht auch ein Ansatz für die Haushaltsdebatte im Jahr 2017.

 

(Beifall bei der LINKEN)

 

Und das wäre eine planbare Ansage für die Bau- und Wohnungswirtschaft, die sich dann verlässlich darauf einrichten kann. Sie sagen jetzt: Das überfordert den Bundeshaushalt. – Da lachen unsere Nachbarn in Österreich oder in den Niederlanden. Die geben nämlich pro Jahr 1 Prozent ihres Bruttoinlandsproduktes für den sozialen, gemeinnützigen Wohnungsbau aus. Rechnen wir das auf bundesdeutsche Verhältnisse um, dann wären das bei uns im Jahr 40 Milliarden Euro – nur für den sozialen, gemeinnützigen Wohnungsbau. Wir aber geben gerade einmal 0,3 Prozent unseres Bundeshaushalts für die soziale Wohnraumförderung aus, und zwar einschließlich der Erhöhung um 500 Millionen Euro, die Frau Hendricks jetzt durchgeboxt hat.

 

Wir fordern bescheidene 1,5 Milliarden Euro für die soziale Wohnraumförderung im Haushalt 2016. Wir befinden uns damit in Übereinstimmung mit den Bauministern der Bundesländer, die genau das auf ihrer Konferenz im Oktober in Dresden vorgetragen haben. Aber auch das wäre nur ein Zeichen, eine Problemlösung ist das noch nicht. Das wissen wir; denn ein wirklicher Neustart im sozialen Wohnungsbau kann nur gelingen, wenn öffentliches Geld dauerhaft der öffentlichen Daseinsvorsorge zugutekommt.

 

(Beifall bei der LINKEN)

 

Was wir als Korrektiv zum maroden Marktliberalismus wirklich brauchen, ist eine starke, an den Wohnungsbedürfnissen der Menschen orientierte, neue gemeinnützige Wohnungswirtschaft. Danke schön.

 

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)