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Harald Weinberg: Zusatzbeiträge abschaffen – Parität wieder herstellen

Rede von Harald Weinberg,

Ich glaube nicht, dass alles gesagt ist. – Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Man muss erst einmal feststellen: Die Messe ist gelesen, die Beschlussempfehlungen zu den beiden Anträgen liegen vor, und es ist klar, welches Schicksal diese guten Anträge von den Grünen und uns erleiden werden. Das ist relativ eindeutig.

(Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, leider!)

Ich verstehe die SPD aber nicht. Sie fasst auf ihrer Klausur den Beschluss, dass die paritätische Finanzierung, also halbe-halbe, zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern wiederhergestellt werden soll, und wir bieten ihr dann die Chance, das umzusetzen und damit das positive Signal auszusenden, dass sie auch tut, was sie sagt; aber sie lässt diese Chance leider wieder verstreichen.

(Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, leider! – Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Das ist schade!)

Wie lange, liebe SPD, wollt ihr noch im Bus der Union auf der rechten Spur fahren? Ab und zu links zu blinken, hilft da nichts. Wenn ihr wirklich überholen wolltet, müsstet ihr aussteigen und mit uns zusammen links ausscheren.

(Beifall bei der LINKEN – Tino Sorge [CDU/CSU]: Und von der Straße abkommen! – Thomas Stritzl [CDU/CSU]: Geisterfahrer!)

Die Chance ist da; sonst ist sie weg.

Dann will ich meine Redezeit nutzen, um Ihnen und der Öffentlichkeit vorzurechnen, dass es sich nicht um Kleinigkeiten handelt, sondern hier eine manifeste Umverteilung organisiert wird und stattfindet. Die letzte größere Steuersenkung gab es 2014 und hatte ein Volumen von 2,5 Milliarden Euro. Für diese Steuersenkung haben Sie sich gefeiert, als wären Weihnachten und Neujahr auf einen Tag gefallen.

(Thomas Stritzl [CDU/CSU]: War gar nicht!)

In dem gleichen Jahr, nämlich 2014, hatten die Versichertenhaushalte durch den Sonderbeitrag von 0,9 Prozent insgesamt 10,5 Milliarden Euro selber aufzubringen – 10,5 Milliarden Euro Belastung im Vergleich zu 2,5 Milliarden Euro Entlastung. Hinzu kamen 3,6 Milliarden Euro Ausgaben für Zuzahlungen jeglicher Art, für Arzneimittel usw. usf., damals auch noch die unsägliche Praxisgebühr, die dann zum Glück weggefallen ist. 2,5 Milliarden Euro Entlastung, fast 14 Milliarden Euro Belastung – das nennt sich dann Entlastung. In Wahrheit ist es das Spiel „linke Tasche, rechte Tasche“: In die linke Tasche kommt ein bisschen Klimpergeld rein, aus der rechten Tasche geht viel Geld raus. Und es ist eine Verarschung der Menschen in diesem Lande.

(Beifall bei der LINKEN – Thomas Stritzl [CDU/CSU]: Na, na, na! – Tino Sorge [CDU/CSU]: Das wäre aber jetzt eine Rüge wert!)

Summiert man die Sonderbeiträge – damals ja noch mit freundlicher Unterstützung der Grünen eingeführt; wir vergessen das nicht, auch wenn wir sehen, dass sie dazugelernt haben – und die Zusatzbeiträge von 2005 bis 2016, in einem Zeitraum von elf Jahren, dann kommt man auf die stolze Summe von 116 Milliarden Euro – ich wiederhole: 116 Milliarden Euro. Rechnet man da die Zuzahlungen für Arzneimittel, Krankenhausaufenthalte usw. usf. noch drauf, dann reden wir über 168 Milliarden Euro – 168 Milliarden Euro! Das ist eine riesige Umverteilung, die da stattfindet. Das ist aus unserer Sicht ein gesellschafts- und sozialpolitischer Skandal ersten Ranges und darf auf keinen Fall so hingenommen werden.

(Beifall bei der LINKEN – Maria Michalk [CDU/CSU]: Immer gleich Skandale!)

Dieser Skandal bleibt auch nicht verborgen und ruft zu Recht den Widerstand, den Zorn, den Protest insbesondere der Kolleginnen und Kollegen in den Betrieben auf den Plan. Es gibt Aktionen und Kampagnen zur Wiedereinführung der Parität. 15 000 Unterschriften sind allein in Nordrhein-Westfalen gesammelt worden. Und das ist es auch, was die SPD fürchtet – deshalb diese Beschlüsse auf der Fraktionsklausur. Aber Beschlüsse sind das eine – die Menschen erwarten von euch, dass ihr sie auch umsetzt.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich höre schon Ihren Einwand – wir haben ihn im Übrigen auch gerade wieder gehört –: Die Menschen könnten ja die Kasse wechseln, hin zu einer mit keinem oder geringerem Zusatzbeitrag. – Sie wissen schon, was Sie da sagen?

(Erich Irlstorfer [CDU/CSU]: Oh ja!)

Sie tönen doch immer, dass Sie gegen eine Einheitskasse sind, tun aber per Wettbewerbsverschärfung alles dafür, dass die Zahl der Kassen über die Jahre stetig zurückgeht.

(Reiner Meier [CDU/CSU]: Gott sei Dank! Bürokratieabbau!)

Verlängern wir diese Trendlinie, dann landen wir irgendwann zwischen 2020 und 2025 bei ganz wenigen Kassen, womöglich bei nur einer Kasse. Sie sind der Totengräber der Kassenvielfalt, nicht wir.

(Beifall bei der LINKEN – Lachen des Abg. Erich Irlstorfer [CDU/CSU])

Wir wollen gleiche Bedingungen für die Kassen und eine in den Kernbereichen gleich gute Gesundheitsversorgung für die Versicherten. Dazu gehört auch, dass wir nicht wollen, dass der Wettbewerb um die Vermeidung von Zusatzbeiträgen weiter angeheizt wird; denn das geht zulasten einer guten Versorgung und ist nicht im Interesse der Versicherten.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Zur Lohnfortzahlung im Krankheitsfall; ich muss kurz darauf eingehen, dafür lasse ich das Thema Lohnnebenkosten weg,

(Thomas Stritzl [CDU/CSU]: Schade!)

dazu habe ich bei der letzten Diskussion schon etwas gesagt. Regelmäßig kommt von Ihnen der Hinweis, die Arbeitgeber täten damit schon eine ganze Menge. Ich habe mir einmal die Mühe gemacht, mir die Plenarprotokolle von 1956/57 zu diesem Thema anzuschauen. Das war sehr interessant, kann ich Ihnen sagen, das kann ich Ihnen nur empfehlen. Vorausgegangen war ein 114-tägiger Streik – ein 114-tägiger Streik! – um diese Frage, der bisher längste Streik in Deutschland, den wir überhaupt gesehen haben. Es war ein erbitterter Streik. Bei diesem Streik ging es darum, die immer noch existierende Diskriminierung der Arbeiter gegenüber den Angestellten – die damals schon längst eine Lohnfortzahlung bekamen – aufzuheben.

(Thomas Stritzl [CDU/CSU]: Das war der Matrosenaufstand!)

– Nein, das war der Kern dieses Streiks.

Nach einem erfolgreichen Tarifabschluss gab es für Adenauer einen eher positiven und einen eher defensiven Grund, dies gesetzlich zu regeln. Der positive Grund war, die Arbeiterschaft mit dem westdeutschen Staat zu versöhnen, indem er diese völlig unzeitgemäße Diskriminierung aufhebt. Der defensive Grund war, eine Ausbreitung der Streikbewegung auf andere Regionen und Branchen zu verhindern. Es ist also keine Wohltat der Arbeitgeber, sondern ein erkämpftes Recht gewesen.

(Beifall bei der LINKEN)

Wer das infrage oder in einen schrägen Zusammenhang mit unserer heutigen Debatte um die paritätische Finanzierung stellen will, der muss sich den Vorwurf gefallen lassen, nicht konservativ zu argumentieren, sondern reaktionär zu argumentieren.

Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN – Thomas Stritzl [CDU/CSU]: Damit kennen Sie sich ja aus!)