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Harald Weinberg: Wir brauchen endlich mehr Pflegepersonal in Krankenhäusern!

Rede von Harald Weinberg,

Vielen Dank, Herr Präsident. – Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuhörer und Zuhörerinnen! In der Debatte unter den Pflegekräften in den Krankenhäusern – es gibt so etwas wie eine Widerstandsbewegung gegen den Pflegenotstand – ist ein neuer Begriff geprägt worden. Es ist der Begriff „Pflexit“. Das hängt stark mit der nach wie vor unerträglichen Situation in der stationären Pflege zusammen. Zwei Zitate aus einem der vielen Berichte, die mich in den letzten Wochen erreicht haben, mögen das verdeutlichen.

Ich zitiere:

"Meine Kollegen und ich versorgen überwiegend Menschen, die dem Tod näher sind als dem Leben. Sie können nicht aufstehen, sich nicht aufsetzen, sich nicht selbst auf die Seite drehen. Sie können nicht selbst essen, sich nicht bemerkbar machen, ihre Ausscheidungen nicht kontrollieren, oftmals wissen sie nicht, wo sie sind. Sie haben Angst, oftmals Schmerzen. Sie wiegen zwischen 60 und 120 Kilogramm. Ich habe heute neun dieser Menschen allein gewaschen, gelagert, von ihren Ausscheidungen befreit, ihnen den Schleim, den sie nicht abhusten können, aus den Atemwegen gesaugt, teelöffelweise Brei und Flüssigkeit gereicht, erkannt, ob sie Schmerzen haben, und darauf entsprechend reagiert."

Dieser Bericht endet:

"Nur die Fallzahlen sind wichtig. Krankenhäuser müssen Geld verdienen. Ob Menschen deshalb Schaden nehmen, gleichgültig ob nun zu Pflegende oder Pflegende, kümmert niemanden. Meine Kollegen und ich haben zu viel Schaden genommen. Uns bleibt nur der Pflexit."

Das ist ein Beispiel, das zeigt, wie sich die Situation zugespitzt hat. Der Druck ist enorm. Es gibt keine Zeit mehr, zu warten. Ich weiß, jetzt kommt der Verweis auf das Krankenhausstrukturgesetz und darauf, dass man schon so viel getan habe.

(Mechthild Rawert [SPD]: Hat!)

Mir geht es wie den Pflegekräften selber: Ich kann das fast nicht mehr hören. Aber für die Öffentlichkeit muss ich natürlich trotzdem auf die einzelnen Punkte eingehen.

Der Versorgungszuschlag in Höhe von 500 Millionen Euro, den es vorher schon gab, wurde zu einem Pflegezuschlag umetikettiert. Das ist ein schöner Erfolg für die Krankenhäuser, mit Sicherheit. Deren Protest hat sich gelohnt. Die können das Geld sicher gut gebrauchen. Aber es gibt nach wie vor keine Zweckbindung. Das heißt, das Krankenhaus kann das Geld auch für ganz andere Dinge als die Pflege nehmen. Das ist erst einmal die Situation. Insofern ist das am Ende eigentlich ein Etikettenschwindel.

(Beifall bei der LINKEN)

Sie haben ein Pflegeförderprogramm aufgelegt. Nun, das ist schon besser, aber es ist viel zu gering dimensioniert. Es gibt einen Eigenanteil von 10 Prozent, den die Krankenhäuser selber aufbringen müssen und den viele wirtschaftlich klamme Häuser nicht aufbringen können oder wollen. Viele finden das Verfahren recht kompliziert. Besonders in kleinen und mittleren Häusern wurde mir mehrmals berichtet, dass sie das Programm deswegen nicht wahrnehmen. Deswegen wird die Wirkung hier sehr bescheiden bleiben. Wenn das Programm vollständig ausgeschöpft würde, könnten damit 6 500 Stellen finanziert werden. Wir haben aber Informationen von Professor Simon, dass 100 000 Stellen fehlen. Das ist eine riesengroße Lücke. Das heißt, das Programm ist ein Tropfen auf den heißen Stein.

Dann haben Sie eine Expertenkommission eingerichtet. Ja, die hat mehrmals getagt. Nun wurde auch noch ein Gutachten erstellt, und – tata – die Personaluntergrenzen sollen kommen. Das ist schon einmal ein Erfolg des Protests, auf jeden Fall. Das muss man an der Stelle festhalten.

(Beifall bei der LINKEN)

Das Problem ist zumindest angekommen. Aber wann sollen die Personaluntergrenzen kommen? Frühestens greifen werden diese Untergrenzen Anfang 2019. Wie sollen sie kommen? Sie wollen diejenigen, die bereits öffentlich bekundet haben, dass sie eigentlich kein Interesse an den Pflegeuntergrenzen haben, nämlich die Deutsche Krankenhausgesellschaft und die Kassen, dazu verpflichten, gemeinsam darüber zu verhandeln, wie sie etwas zustande bringen, woran sie kein Interesse haben. Das ist eine bemerkenswerte Geschichte.

Natürlich kann man sagen: Die Selbstverwaltung im Gesundheitswesen ist immer etwas extrem Wichtiges. Es sollen auch noch weitere gesellschaftliche Gruppen hinzugezogen werden. Ich war gestern auf einer Podiumsdiskussion. Da hat ein Vertreter des Verbandes Christliche Krankenhäuser in Deutschland mir gegenüber gesagt, er gehe davon aus, es werde auf jeden Fall eine Ersatzvornahme geben müssen.

Nur, wir verlieren Zeit; denn Sie geben den Selbstverwaltungspartnern bis Juni 2018 Zeit, darüber zu verhandeln. Erst dann, wenn die Verhandlungen scheitern sollten, soll das Bundesgesundheitsministerium eine Ersatzvornahme durchführen, die dann zum Januar 2019 wirkt. Diese Zeit haben wir nicht mehr.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

So etwas nennt man im Volksmund auch: auf die lange Bank schieben. – Aber dazu gibt es eben keine Zeit mehr.

Die Wurzel des Übels, nämlich die völlig falsche Finanzierung der Krankenhäuser, die Profitorientierung der Privaten, die Privatisierungen, die diagnoseorientierten Fallpauschalen, die die in den Krankenhäusern Beschäftigten stets in einen Konflikt zwischen medizinischer Ethik auf der einen Seite und Monetik auf der anderen Seite bringen, wollen Sie nicht beseitigen. Das haben wir schon gemerkt; schließlich haben Sie im Ausschuss unseren Antrag, Krankenhäuser gemeinwohlorientiert zu finanzieren, sang- und klanglos abgelehnt.

Aber in Bezug auf den Personalnotstand brauchen wir jetzt sofort Abhilfe.

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Mechthild Rawert [SPD]: Das stimmt!)

Daher geben wir Ihnen die Chance, unserem Antrag auf Sofortmaßnahmen jetzt sofort zuzustimmen. Deswegen haben wir ihn vorgelegt.

(Beifall bei der LINKEN – Mechthild Rawert [SPD]: Ein bisschen Ausbildung brauchen wir aber auch noch!)

Liebe sozialdemokratische Kolleginnen und Kollegen, ich weiß sehr wohl, dass viele von euch Erstunterzeichner eines Appells von Verdi für mehr Krankenhauspersonal sind. Mir liegt die entsprechende Ausgabe für Franken vor. Sie wurde von vielen sozialdemokratischen Abgeordneten unterzeichnet. Ich sage einmal: Es ist wichtig, als Erstunterzeichner einen solchen Appell zu unterstützen. Aber jetzt müsst ihr auch mutig sein, Butter bei die Fische zu tun. Nicht allein an den Worten, auch an den Taten sollt ihr sie erkennen.

(Beifall bei der LINKEN)

Insofern fordere ich alle auf, die Erstunterzeichner dieses Appells sind, mit uns für diesen Antrag zu stimmen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN – Mechthild Rawert [SPD]: Was für eine Enttäuschung, dass wir nicht zustimmen werden!)