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Harald Weinberg: Jens Spahn: Minister der Provokationen?

Rede von Harald Weinberg,

Vielen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Jetzt haben wir ja wieder die Spezialpartei für die Ärzteschaft im Parlament. Ich weiß nicht, ob ich sie wirklich vermisst habe.

(Tino Sorge [CDU/CSU]: Wen? Die Kollegin oder die Partei? – Christine Aschenberg-­Dugnus [FDP]: Ich hoffe, mich haben Sie vermisst!)

Auf jeden Fall soll eines dazu gesagt werden: Auch eine Kassenarztpraxis kalkuliert, was ihr Budget betrifft, so, dass sie 140 000 Euro Überschuss im Jahr macht. Es wird also auf einem relativ hohen Niveau gejammert.

(Beifall der Abg. Kordula Schulz-Asche [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Dr. Andrew Ullmann [FDP]: Das stimmt ja gar nicht!)

Wir haben vom neuen Gesundheitsminister Spahn in den letzten Wochen so einiges gehört – ich zitiere –: Es gibt keine Zwei-Klassen-Medizin. „Hartz IV bedeutet nicht Armut ...“. „Jeder hat im Alter das, was er zum Leben braucht – mindestens.“ Das Thema Pflegenotstand ist mit zu hohen und großen „Wunschvorstellungen überfrachtet“. „Jeder Patient sollte sich aber stets fragen, ob ein Arztbesuch wirklich nötig ist.“ „Es ist wichtig, Pharmafirmen gut genug für Medikamente zu entlohnen.“

Das waren nur einige Zitate. In einer sehr kurzen Taktung haut der Herr Minister eine Provokation nach der anderen heraus, inzwischen so viele, wie üblicherweise für eine ganze Politikerkarriere ausreichen.

(Beifall bei der LINKEN)

Aber er ist noch nicht einmal einen Monat im Amt. Hoffen wir, dass er in sich geht und die Zahl der Schlagzeilen verringert.

Mit Blick auf meine Redezeit werde ich nicht viele Bereiche aus dem Koalitionsvertrag nennen können, sondern nur ein paar ansprechen. Mehrere Bereiche bleiben im Koalitionsvertrag vage, oder es werden Kommissionen eingesetzt – wie bei der Reform der Gebührenordnung für Ärzte –, von denen aus unserer Sicht nicht so besonders viel zu erwarten ist.

In anderen Bereichen kommt es sehr auf die konkreten Formulierungen und auf die Ausgestaltung an; das ist bereits gesagt worden. Ich nehme einmal das Beispiel der Rückkehr zur paritätischen Finanzierung, das auch ein großes Anliegen der SPD war. Die Rückkehr zur gleichen Aufteilung des Versicherungsbeitrags zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber wird zunächst von uns logischerweise deutlich begrüßt; die Form, in der das geschehen soll, allerdings nicht.

Wortwörtlich heißt es im Koalitionsvertrag:

"Ab 1. Januar 2019 werden die Beiträge zur Krankenversicherung wieder im gleichen Maße von Arbeitgebern und Beschäftigten geleistet."

So weit, so gut. Aber dann kommt der Satz:

"Der bisherige Zusatzbeitrag wird paritätisch finanziert."

(Beifall der Abg. Karin Maag [CDU/CSU])

Das heißt konkret: Die Kassen, die mit den Zuweisungen aus dem Gesundheitsfonds nicht auskommen, müssen weiterhin einen Zusatzbeitrag erheben, der dann zur Hälfte vom Arbeitgeber bezahlt wird. Der Preiswettbewerb um die Vermeidung von Zusatzbeiträgen bleibt somit erhalten – mit allen Folgen und Nebenwirkungen.

(Tino Sorge [CDU/CSU]: Sie haben es verstanden! Genau!)

– Ja, ich habe das durchaus richtig verstanden. – Wir haben da noch einen zusätzlichen Player in diesem Preiswettbewerb: Der Arbeitgeber könnte auf seine Beschäftigten logischerweise Druck machen, zu einer Kasse mit niedrigerem Zusatzbeitrag zu wechseln. Das heißt, wir verschärfen an dieser Stelle den Preiswettbewerb, nicht den Qualitätswettbewerb, zwischen den Kassen noch ein bisschen.

Kurz ansprechen möchte ich noch das Thema Pflegenotstand in den Krankenhäusern und in der Altenpflege.

Wer ist das?

(Heiterkeit bei der CDU/CSU und der SPD)

Ich hatte den Namen akustisch nicht verstanden. Wenn ich die Frage zulasse, müssen Sie schon meine Redezeit anhalten.

Vielen Dank. Ich will mich kurzfassen. – Der Gesamtbeitragssatz, also Einheitsbeitragssatz plus Zusatzbeitrag, wird durch zwei geteilt. Können Sie mir dann erklären, wo darin für den Versicherten ein Unterschied besteht? Es ist doch für den Versicherten wie auch für den Arbeitgeber in Euro genau der gleiche Wert.

Es gibt einen Kassenwettbewerb. Beispielsweise kann sich der Gesamtbeitragssatz aus 15,0 Prozent plus 0,8 Prozent zusammensetzen. Aber für alle Beteiligten – also Versicherte und Arbeitgeber – läuft das auf den gleichen Betrag hinaus. Wo soll es da einen Unterschied geben?

Ja, genau das ist das Problem, Herr Lauterbach. Unsere Position ist, dass wir den Zusatzbeitrag nicht wollen, weil wir keinen Preiswettbewerb wollen.

(Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Aha! Sozialistische Einheitskasse!)

Ich kenne übrigens die Varianten des Koalitionsvertrages. In dem Koalitionsvertragsentwurf stand seinerzeit, als er noch nicht konsentiert war, Ihre Position. Sie war im Prinzip im Sinne eines paritätischen Beitragssatzes insgesamt ohne Zusatzbeitrag ausgestaltet. Sie sind von dieser Position abgerückt und sind dann – da hat sich die Union durchgesetzt – dazu übergegangen, dass es die paritätische Finanzierung des Zusatzbeitrages geben soll, was zur Folge hat, dass es diesen Wettbewerb gibt und dass es dabei einen Player gibt, der ein großes Interesse an einem niedrigen Zusatzbeitrag hat.

(Beifall bei der LINKEN)

Das Thema „Pflegenotstand in den Krankenhäusern“ steht endlich an einer prominenteren Stelle im Koalitionsvertrag. Das ist allerdings in erster Linie der Tarifauseinandersetzung um Entlassungen sowie den Aktionen und Demonstrationen der Kolleginnen und Kollegen in den Krankenhäusern geschuldet. Dafür gebührt ihnen aus meiner Sicht großer Dank.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir haben im Bereich der stationären Altenpflege sehr kurzfristigen Handlungsbedarf; denn dort gehen die Eigenanteile derzeit vielfach durch die Decke und treiben Pflegebedürftige und ihre Angehörigen in die Armut. Wir haben zu diesem Thema einen Antrag eingebracht. Es wird Zeit, dass hier schnell etwas passiert. Vor allen Dingen darf es nicht sein, dass eine gute tarifliche Entlohnung der Pflegekräfte sich durch die Erhöhung der Eigenanteile gegen die Pflegebedürftigen und ihre Angehörigen richtet. Das muss gelöst werden; sie dürfen nicht gegeneinander ausgespielt werden.

(Beifall bei der LINKEN)

Zum Thema „Personaluntergrenzen in den Krankenhäusern“ – dazu ist auch schon etwas gesagt worden –: Eine Personalbemessung ist absolut notwendig und muss schnell eingeführt werden. Aber das, was derzeit zwischen der Deutschen Krankenhausgesellschaft und dem GKV-Spitzenverband verhandelt wird, ist aus unserer Sicht nicht die Lösung.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Das war auch kaum zu erwarten; denn beide wollen das eigentlich nicht. Die Deutsche Krankenhausgesellschaft will das nicht, weil sie die unternehmerische Freiheit in der Personalbemessung ihrer Krankenhäuser erhalten will, und der GKV-Spitzenverband will das nicht, weil es zu viel kostet.

Ich will drei Dinge nennen, die dort verhandelt werden und aus dem Zwischenbericht hervorgehen, die aus unserer Sicht überhaupt nicht akzeptabel sind.

Nach den Plänen sollen Untergrenzen nur für sechs Bereiche im Krankenhaus gelten, aber nicht schichtgenau, sondern nur im Dreimonatsdurchschnitt nachgewiesen werden. Das heißt, die Pflegebedürftigen dürften anhand der durchschnittlichen Zahl der Pflegekräfte gepflegt werden. Das geht überhaupt nicht. Das muss schichtgenau erfolgen.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ein Mix aus zwei Drittel Pflegefachkräften und ein Drittel Pflegehilfskräften soll die Untergrenze schon erfüllen können. Auch das geht aus unserer Sicht nicht. Dort muss eine entsprechende Fachkraftquote eingehalten werden.

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Erst wenn ein Krankenhaus über drei Jahre hinweg gegen diese Regel verstößt, soll es überhaupt zu Sanktionen kommen. Das geht auch überhaupt nicht.

Dieser Zwischenstand der Verhandlungen zeigt, dass dort etwas nicht in Ordnung ist. Nach diesem Zwischenbericht ist klar: Besser wird es nicht. Es macht sich das Gefühl breit, dass da der Bock zum Gärtner gemacht worden ist.

Ja.

Herr Weinberg, vielen Dank für die Möglichkeit, eine Frage zu stellen. – Ich möchte Sie fragen: Was machen Sie, wenn Ihre Pflegeuntergrenzen unterschritten werden, weil zum Beispiel Pfleger krank sind? Schicken Sie Patienten nach Hause, oder was machen Sie mit denen?

Ich weiß nicht, ob Sie die Situation in den Krankenhäusern kennen. Die Situation ist so, dass nahezu täglich Aufnahmen und nahezu täglich Entlassungen erfolgen. Wenn wir in Schichten die Untergrenze tatsächlich nicht einhalten können, dann muss die Bettenkapazität gesenkt werden. Das ist die einzig vernünftige Maßnahme, die man dann treffen kann; denn ansonsten kann man die Patienten nicht mehr sachgerecht pflegen. Es kommt zu gefährlicher Pflege, teilweise sogar zu lebensgefährlicher Pflege. Das können Sie auch nicht wollen.

(Beifall bei der LINKEN)

Mit Blick auf die Redezeit muss ich ein bisschen schneller machen und abkürzen. Ich wollte eigentlich noch ein paar positive Aspekte nennen. Das Herausnehmen der Pflegepersonalkosten aus den DRGs halten wir für sehr gut, wenn sichergestellt ist, dass diese Mittel in der Pflege ankommen und die Zweckbindung gewährleistet ist. Das ist eine ganz wesentliche Voraussetzung. Ebenfalls begrüßen wir außerordentlich – um das in aller Deutlichkeit zu sagen – die vollständige Refinanzierung der Tarifsteigerung im Bereich der Pflegekräfte.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Aus unserer Sicht sind das Schritte hin zu einer Umstellung der Finanzierungssystematik in den Krankenhäusern, die zumindest in der letzten Zeit so nicht funktioniert hat. Wir werden das wohlwollend begleiten, wobei mir noch ein wenig der Glaube fehlt, dass die Umstellung gelingt – vor allen Dingen mit Blick auf den neuen Gesundheitsminister.

Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)