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Harald Weinberg: Gesundheitsversorgungsweiterentwicklungsgesetz – wer denkt sich solche Namen aus?

Rede von Harald Weinberg,

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Gesundheitsversorgungsweiterentwicklungsgesetz: 46 Buchstaben! Wer denkt sich eigentlich bei Ihnen im Ministerium solche Namen aus? Gibt es da eigene Abteilungen oder Referenten, die das machen?

(Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Wie lustig!)

Alles wird immer weiter, stärker, schöner, besser, Herr Brinkmann.

(Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: ‑haus!)

Aber man hätte das Gesetz natürlich auch einfach „Spahns Resterampe“ nennen können, weil hier nämlich im Wesentlichen tatsächlich die Restbereiche des Koalitionsvertrages abgearbeitet werden. Das Spektrum reicht von mehr Geld für Obduktionen in Krankenhäusern bis hin zur verpflichtenden Berufshaftpflicht für Vertragsärzte; wir haben es gehört. Mehr als 35 einzelne Regelungen – einiges an Licht, aber auch einiges an Schatten. Im Rahmen meiner Redezeit will ich nur auf ein paar wenige ausgewählte Punkte eingehen.

Zum Vergleich der Krankenhäuser untereinander sollen ein Pflegepersonalquotient und die Zusammensetzung des Pflegepersonals verpflichtend veröffentlicht werden. Klingt erstmal gut; denn es bringt Licht ins Dunkel und kann den bestehenden krassen Pflegenotstand in den Krankenhäusern offenbaren. Das Sichtbarmachen eines Notstands ist allerdings noch lange nicht identisch mit der Beseitigung des Notstands. In einem wettbewerblichen Umfeld, in dem die Krankenhäuser nach dem Willen Ihrer Politik agieren sollen, kann das schnell zu einem weiteren wettbewerblichen Instrument werden. Dafür ist uns die Beseitigung des Pflegenotstands in den Krankenhäusern jedoch zu wichtig.

(Beifall bei der LINKEN)

Qualitätsvergleiche in der stationären und in der ambulanten Versorgung: Wir hatten es Ihnen ja 2015 bei der Verabschiedung des Krankenhausstrukturgesetzes vorhergesagt, dass Sie mit dem Versuch, die Vergütung der Krankenhäuser an Indikatoren der Ergebnisqualität auszurichten, Schiffbruch erleiden werden. Weil diese Indikatoren nicht rechtssicher ausgestaltet werden können, werden die Qualitätszu- und ‑abschläge, die damals eingeführt worden sind, sang- und klanglos abgeschafft. Immerhin haben wir recht behalten.

Für das damals eigens geschaffene Institut IQTIG sollen jetzt wohl neue Aufgaben geschaffen werden, deshalb nun diese Qualitätsvergleiche. Immerhin sind sie zunächst nicht erlösrelevant – das ist erst mal gut. In dem von Ihnen geschaffenen wettbewerblichen Umfeld werden sie vermutlich dennoch in Zukunft die Gerichte beschäftigen, weil Ärzte und Krankenhäuser, die sich schlecht bewertet fühlen, dagegen klagen werden. Ein Nutzen für die Gesundheitsversorgung der Menschen ist zumindest zweifelhaft.

Kommen wir zu einem Lichtblick. Das ist das Aufrechnungsverbot im Notlagentarif der privaten Krankenversicherung. Privatversicherte im Notlagentarif haben immer Beitragsschulden, sonst wären sie nicht in diesem Notlagentarif. Müssen sie zum Arzt oder ins Krankenhaus, haben diese gegen die Versicherten einen Zahlungsanspruch. Die private Krankenversicherung müsste die Rechnungssumme an den Versicherten überweisen. Nach geltendem Recht kann sie diese aber mit den bestehenden Beitragsschulden verrechnen. Im Ergebnis ist der mittellose Versicherte dem Leistungserbringenden Geld schuldig, erhält aber von der Versicherung keinen Cent. Das ist schlecht für die Betroffenen, weil sie sich damit logischerweise in einer Schuldenspirale befinden. Aber es ist auch schlecht für die Krankenhäuser und für die Ärzte, weil die halt eben keinen Anreiz haben, solche Versicherte gut und schnell zu behandeln. Die Linke hat auf das Problem schon vor einiger Zeit mit einer Kleinen Anfrage aufmerksam gemacht. Nun wird das durch ein Aufrechnungsverbot und durch Direktabrechnung geändert. Man sieht: Links wirkt!

(Beifall bei der LINKEN)

Dabei will ich es belassen, um noch einmal zu etwas Grundsätzlichem zu kommen; denn immerhin geht es ja auch um die Weiterentwicklung der Gesundheitsversorgung in Deutschland insgesamt, und da ist ja einiges zu entwickeln; das hat nicht zuletzt die Coronapandemie wie ein Brennglas offenbart.

Was ist denn mit Lessons learned? Welche Vorstellungen gibt es denn zur Weiterentwicklung – auch in diesem Hause?

Auf der Seite der FDP gibt es in diesem Haus den erkennbaren Wunsch, den bisherigen marktwirtschaftlichen Wettbewerbs- und profitorientierten Kurs in der Gesundheitspolitik nicht nur fortzusetzen, sondern sogar noch zu verschärfen. Dafür gibt es bei der FDP eine klassisch neoliberale Lösung: Privat vor Staat. Marktversagen ist im Zweifel immer besser als Staatsversagen.

Rechts daneben sehen wir die gleiche Denke, versehen mit einer unappetitlichen völkisch-nationalistischen Duftmarke. Eine Politik für reiche Deutsche verbindet sich da mit einer Sehnsucht nach dem Deutschen Reich – auch in der Gesundheitspolitik. Pfui Deibel, kann ich da nur sagen!

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten und der Abg. Bärbel Bas [SPD])

In der Mitte des Hauses finden wir eine eher ordoliberale Ausrichtung in der Gesundheitspolitik. In einem vorgegebenen Ordnungsrahmen soll möglichst viel dem Markt und den Marktakteuren überlassen werden. Die Debatte geht um die Ausgestaltung des Rahmens, um die Höhe und die Farbe der Leitplanken, aber nicht um die grundsätzliche Richtung. Ich sage voraus, dass das die Schrittmenge sein kann, die Schwarz und Grün in der Gesundheitspolitik in Zukunft verbindet; darauf werden sie sich womöglich einigen können.

Die Sozialdemokratie befindet sich in einer doppelten babylonischen Gefangenschaft, nämlich zum einen in einer ungeliebten Großen Koalition, in der sie sich zunehmend unwohl fühlt und mehr und mehr als Opposition in der Koalition versucht – wir haben gestern mit Lars Klingbeil ein wunderbares Beispiel dafür erleben können –,

(Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Genau!)

zum anderen wird sie die Geister der eigenen Vergangenheit, die Geister der Agenda-Politik, nicht los. Aber immerhin scheint die verschüttet geglaubte Erinnerung an das Sozialstaatsgebot des Grundgesetzes immer mal wieder und immer öfter durch.

Wer aber die zunehmende Privatisierung im Gesundheitswesen nicht hinnehmen will, wer weiter darauf besteht, dass Krankenhäuser nicht dazu da sind, Gewinne zu machen, sondern Menschen gesund zu machen, wer eine solidarische, paritätische und gemeinwohlorientierte Finanzierung des Gesundheitswesens für ein Gebot des Grundgesetzes hält,

(Beatrix von Storch [AfD]: Wir schauen nach Kuba und Venezuela! Das klappt da super!)

wer den Pflegenotstand in den Krankenhäusern und in der Altenpflege nicht verwalten will oder für gottgeben hält, sondern beseitigen will, der oder die kommt an der Linken nicht vorbei;

(Beifall bei der LINKEN)

denn sie ist die einzige Partei, die in diesem Haus uneingeschränkt für eine solche Weiterentwicklung der Gesundheitsversorgung steht.

Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)