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Harald Weinberg: Gerechte Krankenkassenbeiträge für (Solo)Selbstständige müssen her!

Rede von Harald Weinberg,

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und Herren! Wenden wir uns einfach einmal den Tatsachen zu. Über welches Problem reden wir eigentlich? Wir haben in Deutschland 4,2 Millionen Selbstständige. Über 50 Prozent davon – also mehr als die Hälfte, nämlich 2,3 Millionen – sind Solo-Selbstständige, haben also selber keine Beschäftigten. Es ist insofern keine kleine Gruppe. Ein Drittel davon – jeder Dritte von den 2,3 Millionen – hat einen Verdienst von unter 1 100 Euro im Monat. Das ist Tatsache. Die nächste Gruppe, das nächste Drittel, hat ebenfalls ein sehr niedriges Einkommen.

Wir erleben eine Strukturverschiebung: Waren früher viele der Solo-Selbstständigen in der Landwirtschaft, im Handel oder auf dem Bau zu finden, so sind sie heute vielfach im Bereich der personen- und unternehmensnahen Dienstleistungen beschäftigt. Ich mache es mal an ein paar Beispielen deutlich: Es ist der Paketzusteller, der als Subunternehmer des Subunternehmers von DHL, Hermes oder UPS usw. usf. tätig ist. Es sind Menschen in der Gastronomie. Es sind Pflegekräfte als Subunternehmer von Pflegediensten. Es sind ehemals angestellte Kraftfahrer, denen dann plötzlich gesagt worden ist: Du arbeitest jetzt auf eigene Rechnung, wir stellen dir das Fahrzeug, und du bist jetzt ein Selbstständiger. – Es sind Lehrkräfte, beispielsweise in den Integrationskursen – im Moment durchaus ein relativ großes Thema –, denen auch einfach gesagt worden ist: Es gibt kein Angestelltenverhältnis mehr, ihr seid jetzt selbstständige Honorarkräfte. – Es sind Crowd- und Clickworker. Es sind Reinigungskräfte. – Das sind alles Berufe, die jetzt nicht gerade besonders gut und üppig bezahlt werden.

Wo kommt das her? Da hat der Vertreter des DGB in der Anhörung schon das Zutreffende gesagt: Diese prekäre Selbstständigkeit ist Ergebnis einer jahrelangen Deregulierung des Arbeitsmarktes, und sie hat einen Namen – das muss man sehen –: Es war die Agenda 2010.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

Neben der Schaffung eines Niedriglohnsektors wurde der Bereich der prekären Selbstständigkeit gefördert. Natürlich müsste man dort auch in der Arbeitsmarktpolitik ansetzen – da gebe ich Ihnen sogar recht – und eine neue Ordnung der Arbeit schaffen. Dann hätten wir viele dieser Probleme nicht.

(Beifall bei der LINKEN)

Was bewirkt das im Bereich der Krankenversicherungsbeiträge? Da ja ein Mindesteinkommen von 2 178 Euro angenommen wird, das unter sehr strengen Bedingungen auf 1 452 Euro abgesenkt werden kann, kommen teilweise absurde Beitragsbelastungen auf geringverdienende Solo-Selbstständige zu. Zwischen 30 und 50 Prozent ihres Einkommens müssen sie dann für Krankenversicherungsbeiträge berappen. Sie müssen also ein Drittel bis die Hälfte dessen, was sie verdienen, ausgeben, um krankenversichert zu sein. Häufig führt das zu Beitragsschulden und dadurch faktisch zu einem Wegfall des Rechts auf gesundheitliche Versorgung für diese Betroffenen.

(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das findet Herr Meier gut!)

Die andere Möglichkeit ist: Die kleinen Selbstständigen werden in die private Krankenversicherung abgedrängt, die sie in jungen Jahren mit durchaus noch günstigen Beiträgen ködert. Diese steigen dann allerdings relativ schnell, und das wird ebenfalls zu einem riesengroßen Problem.

Die Beitragsschulden sind übrigens auch für die Krankenversicherungen selber zunehmend ein Problem. Die Höhe der Beitragsschulden nimmt von Jahr zu Jahr zu. Bei den gesetzlichen Krankenversicherungen haben sich inzwischen Beitragsschulden in Höhe von über 5 Milliarden Euro angehäuft.

Ist das alles ein von den Linken neu entdecktes Problem? Nein, das ist es nicht. Wir haben dazu schon in der 16. Wahlperiode etliche parlamentarische Initiativen ergriffen, wir hatten in der letzten Wahlperiode mehrere parlamentarische Initiativen ergriffen, und wir haben auch in dieser Wahlperiode eine Große Anfrage zu diesem Problem an die Regierung gerichtet und dafür gesorgt, das im Februar eine Debatte zu diesem Thema geführt wurde. Wir stehen vor der Situation, dass wir seit zehn Jahren auf das Problem aufmerksam machen, aber seit zehn Jahren ist nichts passiert. Seit mehr als zehn Jahren warten die Betroffenen auf eine Lösung, und das ist aus unserer Sicht ein Skandal.

(Beifall bei der LINKEN)

Kleine und mittlere Unternehmen, Selbstständige und Freiberufler sind in der Tat gut beraten, ganz genau hinzuschauen, wer ihre Interessen wirklich ernst nimmt, und das ist mit Sicherheit die Linke.

(Beifall bei der LINKEN)

Zu unserer Politik für kleine und mittlere Unternehmen, für Selbstständige und Freiberufler gehört auch der vorliegende Antrag, der in der Anhörung immerhin das kleine Wunder bewirkt hat, dass alle dort Anwesenden – bis auf den Vertreter der PKV natürlich – gesagt haben, dass die Beitragshöhen ein Problem seien und unbedingt etwas getan werden müsse. Nun werden Sie gleich wort­reich begründen – wir haben es ja eben schon gehört –, warum Sie unseren Antrag ablehnen werden; das war ja schon im Ausschuss so. Aber ich fordere Sie auf: Hören Sie auf, zu reden, und tun Sie endlich etwas!

(Beifall bei der LINKEN)