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Handeln Sie! Stellen Sie die Geflüchteten den hier lebenden Menschen endlich gleich!

Rede von Halina Wawzyniak,

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren!

Stopp aller Abschiebungen, Aufhebung der Residenzpflicht, Schließung aller Isolationslager, Aufhebung der Sondergesetze und gleiche Rechte für alle hier lebenden Menschen! Kein Mensch ist illegal.nSeit mehr als sieben Monaten protestieren Flüchtlinge. Sie boykottieren die sogenannten Sammelunterkünfte und verletzen bewusst die Residenzpflicht. Sie haben einen Fußmarsch von Würzburg nach Berlin unternommen. In Frankfurt am Main, am Oranienplatz in Friedrichshain-Kreuzberg und am Brandenburger Tor werben sie für ihre Forderungen. Bis Donnerstag vergangener Woche befanden sie sich im Hungerstreik.

Doch die Staatsmacht denkt nicht daran, die Lebensverhältnisse von Geflüchteten und Asylsuchenden zu verändern. Sie reagiert mit bürokratischen Auflagen, die unsinnig, menschenverachtend und zu einem großen Teil rechtswidrig sind, so wie das Verbot von Sitzkissen und Pappen als Sitzunterlagen bei Demonstrationen. Selbst diese politisch motivierten, rechtswidrigen Auflagen wurden in der vergangenen Woche von Polizeibeamten herzlos exekutiert. Es scheint, als hätten politisch Verantwortliche den Sinn und Zweck des Versammlungsrechts nicht verstanden. Es wurde versucht, eine nicht verbotene Demonstration durch faktisches Handeln zu verbieten, indem die Wahrnehmung des Demonstrationsrechts unmöglich gemacht werden sollte. Erst ein Beschluss des Verwaltungsgerichts Berlin beendete diesen Zustand. Es macht mich unglaublich wütend, dass in diesem Land ein Verwaltungsgericht notwendig ist, um das Demonstrationsrecht durchzusetzen, und ich finde das Handeln der Verantwortlichen beschämend.

Die Integrationsbeauftragte hat nach einer Woche Hungerstreik ein Gespräch mit den Geflüchteten geführt. Auf die Idee, mit den in Lagern lebenden und häufig isolierten Asylbewerberinnen und Asylbewerbern solche Gespräche zu führen, ist Frau Böhmer in den sieben Jahren ihrer Amtszeit zuvor offensichtlich nicht gekommen. Sonst hätte sie das ‑ ich zitiere ‑ „bewegendste Gespräch als Integrationsbeauftragte“ schon eher haben können. Doch ein wirkliches Entgegenkommen ist auch nach diesem Gespräch nicht zu verzeichnen. Frau Böhmer fragt sich, ob die Residenzpflicht heute noch zeitgemäß ist. Die Antwort ist einfach: Nein, sie ist es nicht, und sie wird es auch nie sein.

Doch statt eine Initiative zur Abschaffung zu ergreifen, wird geprüft. Die Residenzpflicht besagt, dass ein Verlassen des den Flüchtlingen zugewiesenen Kreises nur mit Erlaubnis der örtlichen Behörden möglich ist. Die Residenzpflicht ist damit nichts anderes als eine unsichtbare Kette, mit der die Bewegungsfreiheit von Flüchtlingen eingeschränkt wird. Die Zeit der Prüfung ist längst abgelaufen. Ein paar gesetzliche Lockerungen ändern nichts am menschenrechtswidrigen Charakter der Residenzpflicht. Schaffen Sie diese diskriminierende Regelung ab! Stellen Sie die Geflüchteten den anderen hier lebenden Menschen endlich gleich!

Frau Böhmer hat darauf gedrungen, dass die Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz angeglichen werden. Wir haben ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts dazu. Doch statt tätig zu werden, poltert Innenminister Friedrich durch die Gegend und will Asylbewerberinnen und Asylbewerbern weiter Leistungen kürzen oder diese sogar nur als Sachleistungen gewähren. Herr Friedrich ist damit nichts anderes als ein Verfassungsfeind. Schaffen Sie das Asylbewerberleistungsgesetz ab! Stellen Sie die Flüchtlinge den anderen hier lebenden Menschen rechtlich gleich!

Frau Böhmer hat ‑ wie der Integrationsbeirat ‑ vorgeschlagen, dass Flüchtlinge nach sechs Monaten die Möglichkeit bekommen sollen, zu arbeiten. Sinnvoller wäre ein sofortiger Arbeitsmarktzugang. Falls Sie es noch nicht bemerkt haben sollten: Die geltende Vorrangregelung beim Zugang zum Arbeitsmarkt besagt im Kern nichts anderes als die von der NPD menschenverachtend vorgetragene Losung: Arbeit zuerst für Deutsche. ‑ Also handeln Sie! Schaffen Sie die Vorrangregelung endlich ab! Stellen Sie die Geflüchteten den anderen hier lebenden Menschen endlich gleich!

Frau Böhmer hat auf den Vorschlag des Integrationsbeirats verwiesen, eine stichtagsunabhängige Bleiberechtsregelung zu schaffen. Etliche Bundesländer fordern Ähnliches. Auch hier gibt es keinen Grund, diesen Vorschlag nicht umgehend umzusetzen. Handeln Sie endlich! Beenden Sie die Politik der Stammtische, und hören Sie damit auf, Stimmung gegen Flüchtlinge zu machen, indem Sie wie vor 20 Jahren von Asylrechtsmissbrauch und Wirtschaftsflüchtlingen schwadronieren! Hören Sie auf, durch Gettoisierung in Lagern, durch die Verweigerung einer Arbeitserlaubnis, durch die Schlechterbehandlung von Flüchtlingen im Rahmen des Asylbewerberleistungsgesetzes und durch die Residenzpflicht diese Stammtische auch noch zu bedienen!

Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Asylbewerberleistungsgesetz besagt, dass eine Politik der Abschreckung, das heißt eine Politik, die aus migrationspolitischen Gründen in die Grundrechte Einzelner eingreift, verfassungswidrig ist. Art. 1 des Grundgesetzes enthält eine Pflicht zum aktiven Handeln des Staates zum Schutz der Menschenwürde eines jeden Einzelnen. Handeln Sie! Die Zeit ist reif. Stellen Sie die Geflüchteten den anderen hier lebenden Menschen endlich gleich!