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Große Nachfrage nach Gutachtern darf Qualitätsstandards nicht nach unten korrigieren

Rede von Jörn Wunderlich,

146. Sitzung des Deutschen Bundestages am 18.12.2015

Top 20, Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Sachverständigenrechts und zur weiteren Änderung des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit, Drucksache 18/6985

Jörn Wunderlich, Fraktion DIE LINKE - Rede zu Protokoll

Mit diesem Gesetzentwurf will die Große Koalition ein Vorhaben ihres Koalitionsvertrages, die Neutralität gerichtlich beigezogener Sachverständiger zu gewährleisten und die Qualität von gerichtlichen Gutachten verbessern zu wollen, umsetzen. Dies geschieht  in fünf Einzelvorhaben. In der Vergangenheit wurde von der Öffentlichkeit zunehmend die Unabhängigkeit und Neutralität gerichtlich bestellter Sachverständiger sowie deren fachliche Qualifikation in Frage gestellt. Insbesondere in familiengerichtlichen und  kindschaftsrechtlichen Verfahren wurde die unzureichende Qualifikation der Sachverständigen immer stärker kritisiert.

 Der Gesetzentwurf sieht daher Änderungen in der ZPO, dem FamFG, der EGZPO und dem EGZVG vor. Ziel dieser Änderungen ist die Steigerung des Vertrauens in die Unabhängigkeit und Neutralität der Sachverständigen, die Sicherstellung, dass die Gerichte qualifizierte und geeignete Sachverständige benennen und dass die Gerichtsverfahren effektiv beschleunigt werden.

 In § 404 Abs. 1 ZPO-E soll gesetzlich normiert werden, dass die Parteien und Verfahrensbeteiligten vor Ernennung eines gerichtlichen Sachverständigen angehört werden. In § 407a Abs. 1, S. 1, Abs. 2 ZPO-E wird der Sachverständige verpflichtet, zu prüfen, ob er innerhalb der gerichtlich vorgegebenen Frist das Gutachten erstellen kann, seine Neutralität  zu überprüfen und ggf. bestehende Interessenkonflikte unverzüglich mitzuteilen. § 411 Abs. 1 ZPO-E sieht eine obligatorische Fristsetzung zur Erstattung des schriftlichen Gutachtens vor. Bei Nichteinhaltung der Fristen sollen regelmäßig Ordnungsgelder festgesetzt werden und der Ordnungsgeldrahmen soll auf 5.000,00 € erhöht werden. § 163 Abs. 1 FamFG-E soll verbindliche Qualitätsanforderungen für Sachverständige in Kindschaftssachen normieren, während parallel dazu von den Berufsverbänden Mindestanforderungen an die Qualität von Gutachten im Kindschaftsrecht entwickelt werden sollen. Ferner sollen mit der Änderung des Anschlussbeschwerderechts in Ehescheidungsverfahren falsche Rechtskraftzeugnisse aufgrund fehlerhafter oder unterbliebener Bekanntmachungen an einen Versorgungsträger zukünftig vermieden werden.

 Dieser GE geht durchaus in die richtige Richtung. Es ist aber zu bezweifeln, dass die Änderungen die gewünschten Folgen haben werden und vor allem, dass die geplanten Änderungen ausreichen, um das eingangs genannte Ziel (Steigerung des Vertrauens in die Unabhängigkeit und Neutralität der Sachverständigen, die Sicherstellung, dass die Gerichte qualifizierte und geeignete Sachverständige benennen und dass die Gerichtsverfahren effektiv beschleunigt werden) zu erreichen.

 Eine Verstärkung des Drucks auf die Sachverständigen allein führt keineswegs zu einer Verbesserung von deren Qualität, vielmehr besteht die Gefahr, dass die Qualität der Gutachten hierdurch noch weiter sinkt. Vielmehr müssten klare und verbindliche Standards und Qualitätskriterien für die Sachverständigen und die Gutachten eingeführt werden. So könnte in Anlehnung an § 404 Abs. 2 ZPO die Einführung einer z.B. vom BMJV geführten Liste von anerkannten und bewährten Sachverständigen für die jeweiligen Fachgebiete in Erwägung gezogen werden.

 Hinsichtlich § 404 Abs. 1 ZPO-E besteht die konkrete Gefahr, dass am Ende in der Praxis die Parteien selber die ihnen genehmen Sachverständigen benennen, wobei gerade Versicherungen und Unternehmen hier die besseren Kontakte und den umfassenderen Überblick über die infrage kommenden Sachverständigen haben. Dies gilt insbesondere bei selbständigen Beweisverfahren, wo das Gericht aus Zeitmangel meist den vom Antragsteller vorgeschlagenen Sachverständige ernennt, und was zu einer groben Benachteiligung der anderen Partei (oftmals Privatpersonen, die Ansprüche geltend machen) führen kann. Weiterhin ist zu kritisieren, dass es keine gesetzliche normierte Pflicht des Gerichts gibt, sich im Beweisbeschluss mit einem negativen Votum einer Partei auseinanderzusetzen, denn die Beweisbeschlüsse sind in jedem Falle unanfechtbar. Deshalb sollte, wenn schon nicht grundsätzlich ein Rechtsmittel gegeben ist,  zumindest eine Anfechtbarkeit für den Fall eingeführt werden, dass sich das Gericht überhaupt nicht mit dem negativen Votum einer Partei in den Gründen des Beschlusses auseinandersetzt.

Denn gerade ein Problem bzgl. der Neutralität von Gutachtern ist der Umstand, dass viele von ihnen häufig die großen Versicherungen und Unternehmen als Auftraggeber haben und dass Versicherungen so zumindest indirekt einen großen Einfluss auf die gerichtlichen Entscheidungen nehmen können, auch wenn die entsprechenden Sachverständigen vom Gericht ernannt wurden.

 Experten wie der Berliner Versicherungsrechtler Hans-Peter Schwintowsky plädieren daher bereits seit Jahren für die Anonymisierung des Verfahrens: "Also dafür zu sorgen, dass der Gutachter seinen Auftrag bekommt aber nicht weiß, für wen er gerade gutachtet. Dann werden wir objektive Gutachten bekommen."

 Hinsichtlich der Fristsetzung und der Androhung von Ordnungsgeldern ist zweifelhaft, ob diese sich nicht möglicherweise negativ auf die Qualität eines Gutachtens auswirken können, da der Sachverständige  zur Vermeidung von Ordnungsgeldern das Gutachten möglicherweise schnell aber nicht gründlich genug erstellt.

 Generell geht der Gesetzentwurf nicht weit genug. Es fehlen z.B. die Wiedereinführung des öffentlich bestellten Sachverständigen, die Einrichtung von Beschwerdestellen für SV-Gutachten, oder ggf. die Ansiedlung von Gerichtspsychologen, wie es beispielsweise in Österreich der Fall ist.

 Ob der Katalog der Mindestberufsqualifikationen in Familiengerichtlichen Verfahren  so bleibt, werden die Beratungen zeigen. Ich hoffe aber dass es  bei der Begutachtung in Familiensachen mehr als einer pädagogischen Ausbildung bedarf. Ich finde schon, dass der Lehrerberuf ein wichtiger und auch angesehener Beruf ist. Jedoch die Vorstellung, einen Lehrer der Sekundarstufe2 beispielsweise als Chemie/Mathematiklehrer als Sachverständigen im Kindschaftsverfahren zu bestellen, entlocken nicht gerade Rufe der Begeisterung. Gleiches gilt bei der genannten Voraussetzung einer ärztlichen Ausbildung beispielsweise einen Onkologen. Ich denke, hier werden wir noch entsprechend nachjustieren müssen.

 Die Qualitätsstandards dürfen nicht aufgrund einer wachsenden Nachfrage nach Gutachtern nach unten korrigiert werden. Hinweise ergeben sich insoweit aus dem Ergebnispapier der Arbeitsgruppe des Deutschen Psychologinnen Verbandes. Insoweit hoffe ich, dass wir in den Beratungen zu Ergebnissen kommen, die den Ansprüchen an das Kindeswohl und der Rechtssicherheit im Allgemeinen genügen.