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Gröhes Wahlkampfmanöver geht zulasten der Versorgungsqualität

Rede von Harald Weinberg,

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Heiderich, vielleicht haben wir ja unterschiedliche OECD-Studien gelesen;

(Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Vermutlich!)

denn nach der OECD-Studie, die ich gelesen habe, liegt Deutschland hinsichtlich der Kosten in der Tat auf dem dritten Platz, also relativ weit oben, bei den Outcomes, also sozusagen bei dem, was herauskommt – Säuglingssterblichkeit, Lebenserwartung, kardiologische Krankheiten und Ähnliches –, allerdings bestenfalls im Mittelfeld. Das heißt, man muss die Zusammenhänge etwas genauer betrachten. In diesem Bereich sind wir keineswegs top, sondern wir haben noch einiges zu leisten in diesem Lande.

(Beifall bei der LINKEN)

Sehr geehrter Herr Minister, worüber diskutieren wir hier? Wir diskutieren hier über einen verhältnismäßig kleinen Haushalt – 15 Milliarden Euro –, weil der größte Anteil der Einnahmen im Bereich der Gesundheitsversorgung logischerweise in den Beitragsmitteln steckt. Ich glaube, darauf müssen wir ein Stück weit den Schwerpunkt legen. Auch Sie haben ja von der Beitragsstabilität gesprochen. In diesem Zusammenhang fällt mir Folgendes ein: Man hat in die Rücklagen des Gesundheitsfonds gegriffen. 1,5 Milliarden Euro wurden entnommen. Im Wesentlichen ist das der Grund dafür, dass die Beiträge im nächsten Jahr stabil bleiben. Man könnte auch sagen: Das ist ein Wahlkampfgeschenk.

(Rudolf Henke [CDU/CSU]: Das ist eine völlig einseitige Interpretation!)

Wenn Sie als Begründung für diesen Griff in die Rücklagen die Stabilisierung des Beitragssatzes als Wahlkampfgeschenk genannt hätten, hätten Sie von uns Kritik geerntet. Das ist klar; das erleben Sie ja jetzt auch. Wesentlich problematischer finde ich allerdings die Begründung, die dann tatsächlich angeführt wurde: Das sei für die gestiegenen Kosten im Bereich der Gesundheitsversorgung von Flüchtlingen in diesem Land. Das halte ich nach wie vor für einen völlig falschen Zungenschlag.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Die Krankenkassen haben natürlich Danke gesagt, als ihnen das Geld in Aussicht gestellt wurde. Bemerkenswert finde ich aber, dass sie gleichzeitig gesagt haben: Für die Gesundheitsversorgung der Flüchtlinge brauchen wir das Geld eigentlich nicht.

(Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau!)

Sie nutzen das Geld also im Wesentlichen zur Stabilisierung der Beiträge.

Es gibt aber natürlich ein Problem – das ist allerdings allgemeinerer Art –: Einnahmen und Kosten bei den ALG-II-Empfängern klaffen auseinander. Das ist seit Jahren bekannt und führt immer zu Defiziten. In diese Gruppe können auch Flüchtlinge fallen, die geduldet sind, subsidiären Schutz oder Asyl bekommen. Ordnungspolitisch ist das allerdings aus unserer Sicht aus Steuermitteln zu finanzieren und nicht aus Beitragsmitteln.

(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

An dieser Stelle möchte ich etwas zu dem Bundeszuschuss sagen: Das große Problem ist, dass der Bundeszuschuss im Moment im Wesentlichen eine Manövriermasse des Finanzministers ist. Das kann meines Erachtens nicht so weitergehen. Wir brauchen so etwas wie eine Regelgebundenheit des Bundeszuschusses, weil es von den Aufgaben, die aus Steuermitteln zu finanzieren sind, nicht in dem einen Jahr ganz wenige und in dem anderen Jahr ganz viele gibt. Sie bleiben relativ gleich groß. Insofern müssen wir schauen, dass wir da zu einer Regelgebundenheit kommen.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich möchte noch ganz kurz auf unsere Änderungsanträge zu sprechen kommen. All unsere Änderungsanträge sind ja im Haushaltsausschuss abgelehnt worden.

(Helmut Heiderich [CDU/CSU]: Zu Recht!)

Ich will nur einige herausgreifen und fürs Protokoll deutlich machen, worum es da eigentlich geht; denn das hat schon ein bisschen mit dem Thema, über das wir reden, zu tun.

Wir haben beispielsweise einen Änderungsantrag eingebracht, Herr Heiderich, in dem es um die Nichtversicherten in diesem Lande geht – es gibt sie nämlich in der Tat –, also um die Menschen, die keinen Zugang zur Gesundheitsversorgung haben. Ihre Zahl ist gar nicht so gering.

(Helmut Heiderich [CDU/CSU]: Na, na! Doch!)

Es sind in diesem Land – geschätzt – ungefähr 300 000 Personen. Wir haben beantragt, dass sie Zugang zur Gesundheitsversorgung bekommen sollen. Dieser Antrag ist abgelehnt worden.

Wir haben auch den Antrag eingebracht, die Pflege in ambulant betreuten Wohngemeinschaften zu fördern. Ist abgelehnt worden.

Wir haben einen Antrag zur Stiftung „Humanitäre Hilfe für durch Blutprodukte HIV-infizierte Personen“ eingebracht. Diese Stiftung ist unterfinanziert; davon war ja schon die Rede. Wir haben beantragt, die Mittel aufzustocken. Ist abgelehnt worden.

Wir wollten die Möglichkeit, medizinische Versorgungszentren in kommunaler Trägerschaft zu haben, stärken und fördern;

(Helmut Heiderich [CDU/CSU]: Das machen wir doch! Das tun wir doch!)

das hat übrigens auch mit der Frage der Ärztedichte auf dem Land zu tun. Auch diese Fördermöglichkeit ist abgelehnt worden.

(Helmut Heiderich [CDU/CSU]: Das haben wir doch längst getan!)

Wir wollten die nichtkommerzielle Pharmaforschung stärken und eigenständig fördern. Ist abgelehnt worden.

Wir wollten Mittel für die Erforschung der medizinischen Verwendung von Cannabis bereitstellen, wir wollten eine Evaluation des Betäubungsmittelrechts, und wir wollten Drug-Checking-Projekte durchführen. Alles abgelehnt worden. Ich sage das nur, weil dies meines Erachtens wichtige Projekte sind, die die Gesundheitsversorgung gestärkt hätten.

(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Ekin Deligöz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Ich vermute sogar: Wenn ich Sie fragen würde, ob Sie unsere Anträge überhaupt gelesen haben,

(Ekin Deligöz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, haben wir!)

dann würde herauskommen, dass die meisten von Ihnen nicht einmal hineingeschaut haben. Aber abgelehnt haben Sie sie.

(Erich Irlstorfer [CDU/CSU]: Oh, oh! Hätten Sie mal den Haushalt gelesen! Das wäre schön gewesen!)

Und zuletzt: Wir haben auch einen Antrag eingebracht, in dem es um den seit Jahren bestehenden Investitionsstau in den deutschen Krankenhäusern geht. Es ist in der Tat so, dass die Förderung der Bundesländer unzureichend ist. Dies hat die Folge, dass sich der Pflegenotstand, der in den Krankenhäusern ohnehin schon vorhanden ist, weiter verstärkt – Stichwort „gefährliche Pflege“ –, weil die Betriebsmittel, also Fallpauschalen, zur Finanzierung notwendiger Investitionen herangezogen werden. Diese Mittel fehlen dann beim Personal, vor allen Dingen natürlich beim nichtärztlichen Personal; denn da wird im Wesentlichen an der Schraube gedreht. Deswegen haben wir den Vorschlag gemacht, für diesen Bereich 2,5 Milliarden Euro in den Haushalt einzustellen und die Finanzierung so zu regeln wie beispielsweise beim Strukturfonds im Rahmen des Krankenhausstärkungsgesetzes, dass das Land also für jeden Euro, der vom Bund bezogen wird, einen Euro dazutun muss.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Dr. Harald Terpe [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Helmut Heiderich [CDU/CSU]: Das machen wir doch!)

Ich sage Ihnen eines – das ist dann auch mein letzter Satz –: Ich besuche relativ viele Einrichtungen. Wenn ich dort erzähle, dass wir diesen Antrag seit sieben, acht Jahren immer wieder einbringen, ernte ich Unglauben. Ich sage den Menschen dann immer: Na ja, vielleicht liegt das auch daran, dass Sie falsch gewählt haben. Wählen Sie das nächste Mal die richtige Partei; dann haben wir eine Chance.

Danke.

(Beifall bei der LINKEN – Thomas Stritzl [CDU/CSU]: Aber Sie ja nicht mehr!)