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Gleiches Recht für alle

Rede von Jens Petermann,

84. Sitzung des Deutschen Bundestages, 20. Januar 2011
TOP 17: Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der Zivilprozessordnung (§ 522 ZPO)
Drucksache 17/ 4431
Fraktion DIE LINKE

Sehr geehrte(r) Herr/Frau Präsident(in), meine sehr geehrten Damen und Herren,

mit der Reform der Zivilprozessordung hat Rot-Grün im Jahre 2002 versucht, die Rechtsmittelmöglichkeiten neu zu gestalten, um die Gerichte zu entlasten. Hinsichtlich einer Änderung schossen sie jedoch weit über das Ziel hinaus: die Einfügung der Absätze 2 und 3 in § 522 der Zivilprozessordung. Nach nunmehr über acht Jahren der Erprobung müssen wir leider feststellen, dass die Änderung des § 522 ZPO eher ein Fluch als ein Segen für die Rechtschutzsuchenden darstellt und auch die gewünschte Entlastung der Gerichte verfehlt wurde.
Sie haben damit den Rechtsschutzsuchenden Steine statt Brot gegeben.
Deshalb ist der vorliegende Gesetzentwurf der SPD-Fraktion sehr zu begrüßen.
Die Sozialdemokraten haben eingesehen, dass die damalige Reform fehlerhaft war. Nun sollte die heutige Bundesregierung der SPD und den Grünen die Möglichkeit geben, ihren Fehler zu korrigieren.
Ganz nebenbei wird damit ein verfassungswidriger Zustand korrigiert. Artikel 103 Absatz 1 GG sichert jedermann vor Gericht einen Anspruch auf rechtliches Gehör zu. Wenn aber eine Berufung durch einen einfachen, unanfechtbaren Beschluss zurückgewiesen werden kann, so stellt dies meines Erachtens eine Verletzung eines durch die Verfassung zugesicherten Grundrechts dar.
Der Gesetzentwurf sieht nun eine vollständige Streichung der beiden damals eingeführten Absätze 2 und 3 des § 522 ZPO vor und geht somit viel weiter, als der von der Bundesregierung vorgelegte Referentenentwurf. Der Referentenentwurf versucht lediglich kosmetisch zu kaschieren und übernimmt so die früheren Fehler von Rot-Grün! Er sieht neben den drei bestehenden noch eine weitere Bedingung für die Zurückweisung der Berufung vor. Und als kleine zusätzliche Verbesserung sollen dem Betroffenen nun Rechtsmittel gegen den ablehnenden Beschluss zugestanden werden. Das ist nicht genug und damit inakzeptabel!
Durch den Entwurf der SPD soll diese überflüssige Regelung beseitigt werden. Mit der Einführung des § 522 Absatz 2 ZPO wurde dem Berufungsgericht die Möglichkeit eröffnet, die Berufung zurückzuweisen, wenn es zu der Überzeugung gelangte, dass die Berufung keine Aussicht auf Erfolg hat, die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung aufweist und weder die Rechtsfortbildung noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtssprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert. Dieser Beschluss ist bisher nach § 522 Absatz 3 ZPO unanfechtbar. Entschiede aber das Gericht in dem gleichen Rechtsstreit durch Urteil, ist gegen die Zurückweisung der Berufung eine Nichtzulassungsbeschwerde möglich. Zu Recht wird eine solche Vorgehensweise von vielen Juristen als „kurzer Prozess“ bezeichnet.
Gerade in Arzthaftungsfällen ist die Anwendung des § 522 ZPO in seiner heutigen Form im Hinblick auf die finanzielle und gesundheitliche Belastung der Geschädigten eine wirkliche Zumutung. Da ist es nur verständlich, wenn der Glaube der Bürgerinnen und Bürger an die Gerechtigkeit und Rechtsstaatlichkeit in diesem Lande verloren geht. Wenn man sich die Intention des damaligen Gesetzgebers anschaut, kommt man zu dem Schluss: Kosteneinsparung im Justizsektor führt zu ungerechten Entscheidungen und lässt das Vertrauen in die Justiz und den Rechtsstaat schwinden. Dies dürfen wir nicht länger zulassen. Die Linke stimmt darum dem vorliegenden SPD-Entwurf zu.