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„Gleiche Arbeit - Gleiches Geld“ endlich durchsetzen

Rede von Klaus Ernst,

 

 

Klaus Ernst (DIE LINKE):

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wer am letzten Montag die Süddeutsche Zeitung aufgeschlagen hat ‑ ich gehe davon aus, dass dies der eine oder andere in diesem Hause tut ‑, der wurde mit der Überschrift konfrontiert: „Skandalöse Verhältnisse in der Fleischindustrie ‑ Sklaven in Deutschland“. Dann heißt es in der Headline dieser Zeitung weiter:

Schlechte Bezahlung, unwürdige Unterkünfte, Erniedrigung und Erpressung: Was sich in Schlachthöfen abspielt, ist für viele Kritiker mehr als Ausbeutung. Es ist sogar von Menschenhandel und organisierter Kriminalität die Rede.

Im weiteren Verlauf des Artikels wird geschildert, wie die Arbeit einer Frau in der Fleischindustrie aussieht. Sie verrichtet ihre Arbeit natürlich nicht bei ihrem ursprünglichen Arbeitgeber, sondern bei einem Werkvertragsunternehmen. Diese Frau bekam keinen Urlaub und kein Zeugnis, als sie gekündigt hat. Sie wurde sogar massiv von den Menschen des Werkvertragsunternehmens bedroht, die ihre Arbeitgeber waren.

Ich möchte aus dem Artikel weiter zitieren, um deutlich zu machen, worum es geht. Als diese Frau mit einem Anwalt gedroht hat, wurde ihr vom Vorgesetzten dieses Unternehmens gesagt:

„Hast du keine Angst, zum Anwalt zu gehen?“, warnte der Vorgesetzte. „Weil es kann dir passieren, dass du über die Straße gehst und ein Auto dich überfährt.“ Auch könne sie leicht im Graben landen, „der Kopf zwei Meter weiter“ ...

Das sind offensichtlich die Zustände in Deutschland. Das ist Ausfluss eines Werkvertragsunwesens, das es inzwischen mit Duldung dieser Regierung und der Koalitionsfraktionen gibt.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Wir als Linke haben dieses Thema vielfach auf die Tagesordnung gesetzt. Sie hätten seit mehreren Jahren die Möglichkeit gehabt, das einzudämmen. Aber Sie haben nichts, aber auch gar nichts getan, um diese Zustände zu beenden.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

In dem Artikel heißt es weiter:

„Der Umfang illegaler Tätigkeiten und deren Selbstverständlichkeit sind erschreckend. Das Gewerbe scheint von diesen Straftaten durchdrungen zu sein“, hat die Düsseldorfer Richterin Brigitte Koppenhöfer im Dezember 2010 über die Arbeit auf deutschen Schlachthöfen mal gesagt.

Also nicht gestern, sondern schon 2010!

Weiter heißt es:

Für das Schlachten und Zerlegen eines Schweins in verkaufsfertige Portionen bekommen osteuropäische Kolonnen meist Summen zwischen 1,02 Euro bis 1,66 Euro in deutschen Schlachthöfen. 16 Arbeiter schaffen schätzungsweise 60 Schweine die Stunde. ... Die belgische Konkurrenz, die 12,88 Euro Mindestlohn hat, zahlt rund 4,50 Euro pro Schwein.

Inzwischen beschweren sich selbst belgische Minister bei der EU darüber, dass wir in Deutschland Lohndumping in diesem Ausmaß zulassen. Wer es nicht glaubt, kann das alles in der Süddeutschen Zeitung nachlesen.

Diese Zustände sind unerträglich. Ich habe nicht das geringste Verständnis für die Antwort, die wir auf eine Anfrage zu diesem Thema bekommen haben. Ich zitiere aus der Antwort der Bundesregierung vom 3. Juli 2012:

Die Bundesregierung sieht zum jetzigen Zeitpunkt keinen Bedarf, den Abschluss von Werkverträgen stärker zu regulieren. Unternehmen steht es im Rahmen der geltenden Gesetze grundsätzlich frei, zu entscheiden, ob sie Tätigkeiten durch eigene Arbeitnehmer ausführen lassen oder Dritte im Rahmen von Werkverträgen beauftragen.

Ihre Antwort ist ein unerträglicher Skandal.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ich halte das, was Sie hier machen, für unterlassene Hilfeleistung gegenüber den Menschen, die sich nicht wehren können. Da können Sie sich drehen und wenden, wie Sie wollen.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Das alles ist nicht mehr lustig. Da hört der Spaß wirklich auf. In unserem Grundgesetz heißt es im Übrigen: „Die Würde des Menschen ist unantastbar“, und nicht: Die Würde des Deutschen ist unantastbar. ‑ Hier geht es um Nichtdeutsche, die ganz besonders mies behandelt werden. Dass Sie das zulassen und nichts dagegen tun, ist ein unerträglicher Skandal.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN ‑ Dr. Johann Wadephul (CDU/CSU): Lautstärke ist kein Argument!)

Wir wissen, dass dies immer größere Ausmaße annimmt. Eine Befragung von Betriebsratsmitgliedern in zehn ausgewählten Branchen im Auftrag der Hans-Böckler-Stiftung hat Folgendes festgestellt: In Schlachthöfen arbeiten nur noch 20 Prozent der Beschäftigten in einem normalen Arbeitsverhältnis. 75 Prozent sind von Werksvertragsunternehmen und etwa 5 Prozent von Leiharbeitsfirmen in diese Unternehmen geschickt. Wir haben laut der Befragung die Situation, dass in der Getränkeindustrie etwa 10 Prozent der Beschäftigten über Werkvertragsfirmen angestellt sind, in der Zuckerindustrie circa 20 Prozent, in den Werften 20 Prozent, in der Fleischindustrie etwa 35 Prozent. Wie lange wollen Sie eigentlich noch warten, bis Sie endlich in die Gänge kommen?

Meine Damen und Herren, mit dem Missbrauch von Werkverträgen reagieren die Unternehmen auf einige Regelungen, die wir inzwischen bei der Leiharbeit haben. Die Karawane ist weitergezogen. Jetzt ist es dringend notwendig, die Werkverträge zu regulieren. Der DGB-Vorsitzende in Bayern, Matthias Jena, hat es auf den Punkt gebracht. Er hat gesagt ‑ ich zitiere ihn ‑:

Mit Werkverträgen hat ein Instrument Hochkonjunktur, das zu einer zweiten Billiglohnlinie in den Betrieben führt. In vielen bayerischen Schlachthöfen wird inzwischen jede tote Sau, die am Haken hereinrollt, zum eigenen Werk erklärt.

Genau das ist das Problem.

Wir brauchen Regelungen, wie wir das in den Griff bekommen. In unseren Anträgen schlagen wir Regelungen vor. Das Wichtigste wären klare Kriterien zur Abgrenzung zwischen Leiharbeit und echten Werkverträgen. Wir brauchen wieder die Vermutungsregel. Wenn eine Tätigkeit im Betrieb dauerhaft auf Weisung des Bestellers und nicht des Werkvertragsunternehmers verrichtet wird, wenn Materialien und Werkzeuge des Bestellers verwendet werden, wenn der Unternehmer für das erbrachte Ergebnis nicht haftet oder der Unternehmer in der Arbeitsorganisation oder in das Arbeitszeitregime des Bestellers eingebunden ist, dann ist das kein Werkvertrag, sondern ein ganz normaler Arbeitsvertrag. Das kann man doch gesetzlich regeln.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Dasselbe gilt für die Frage der Scheinselbständigkeit. Darauf kann ich aus Zeitgründen jetzt nicht mehr eingehen. Auch dies müssen wir regeln.

Ich komme zum Schluss. Wir haben vier Jahre verstreichen lassen, ohne uns in dieser Frage um die Interessen der Menschen zu kümmern. Ich nutze diese Gelegenheit ausdrücklich, die Menschen darauf hinzuweisen, dass sie die Möglichkeit haben, eine untätige Regierung abzuwählen.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)