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Gewinnstreben vor Menschenleben – von Pharmafirmen vernachlässigte Krankheiten töten Millionen

Rede von Niema Movassat,

Herr Präsident! Meine Damen und Herren!

Das marktwirtschaftliche Prinzip von „Angebot und Nachfrage“ versagt nirgendwo so kläglich wie bei der Bereitstellung lebensrettender Medizin für die Ärmsten dieser Welt.

Obwohl Gesundheit ein Menschenrecht ist, sterben jedes Jahr Millionen Menschen in den Entwicklungsländern an Infektionskrankheiten, für die es keine adäquaten Behandlungsmethoden gibt.

Denn nur zehn Prozent der globalen Forschungsausgaben fließen in Krankheiten, die etwa 90 Prozent zur globalen Krankheitslast beitragen.

Zu den vernachlässigten Krankheiten zählen heute laut der Weltgesundheitsorganisation WHO vor allem noch Malaria und Tuberkulose sowie weitere 17 tropische und armutsassoziierte Krankheiten.

Die Pharmaindustrie betreibt indes lieber Wirkstoffforschung für Wellness-Medikamente, die später große Gewinne in den Industrieländern versprechen, anstatt den lebensnotwendigen Bedarf in den Entwicklungsländern zu bedienen.
So forschen Wissenschaftler jahrelang an einem Wirkstoff gegen Haarausfall, statt einen lebensrettenden neuen Tuberkulosetest zu entwickeln.

Kein anderes Beispiel zeigt das ganze Ausmaß des Dilemmas deutlicher: Wollen Ärzte heute eine Tuberkuloseinfektion nachweisen, sind sie im Grunde immer noch abhängig von der Methode, die Robert Koch vor über 100 Jahren entwickelt hat- ein Test der zudem nicht sehr genau ist. Infizierte werden so schlussendlich nicht behandelt und stecken weitere Menschen an.

Unterdessen sind wir auf den Mond geflogen und haben Atome gespalten. Aber für eine Krankheit, die in nur einem einzigen Jahr nach Schätzungen der WHO über 1,8 Millionen Menschen tötet, haben wir noch nicht einmal neue Methoden bei der Diagnostik entwickelt!

Für die Menschheit im 21. Jahrhundert ist es ein absolutes Armutszeugnis, dass die Tuberkulose immer noch die weltweite Statistik der tödlichen Infektionskrankheiten anführt.

Gleichzeitig investiert die Pharmaindustrie doppelt so viel Geld in Marketing wie in Forschung. Durch die profitgeleitete Schwerpunktsetzung auf unwichtige Krankheitsbilder und Werbemaßnahmen erzielen die Investitionen heute kaum mehr einen therapeutischen Mehrwert.

Eine Ausnahme bildet der Kampf gegen HIV/AIDS: Dieser war in den letzten Jahrzehnten in vielen Bereichen sehr erfolgreich. Das macht Hoffnung. Die Weltgemeinschaft hat beweisen, dass sie die notwendigen Ressourcen mobilisieren kann, wenn sie will. Wir dürfen aber in unseren Bemühungen nicht nachlassen.

Die Bundesregierung, und hier namentlich Dirk Niebel, tappen aber blauäugig genau in diese Falle: Die mangelnde finanzielle Unterstützung für den Globalen Fonds zur Bekämpfung von Aids, Malaria und Tuberkulose genau in dem Moment in Frage zu stellen, wo erste Erfolge zu verzeichnen sind.

Das gefährdet unmittelbar Menschenleben. Es ist bedauernswert, dass Schwarz-Gelb trotz eindringlicher Appelle aller Oppositionsparteien und mit dem Thema befassten zivilgesellschaftlichen Organisationen trotzdem diesen Fehler begeht.

Öffentlich geförderte Grundlagenforschung in den Industrieländern ist häufig die Basis für neue Pharmaentwicklungen. Die Politik nutzt die ihr dadurch entstehenden direkten Einflussmöglichkeiten bisher allerdings kaum.

Wenn ein Pharmakonzern mit Hilfe von Patenten überhöhte Preise durchsetzt, behindert dies die weitergehende Forschung und verhindert die Versorgung in Entwicklungsländern. Wenn dies auch noch auf der Basis öffentlicher Forschung geschieht, also mit Steuergeldern finanzierter Innovationen, ist die Allgemeinheit zu Gunsten der Pharmaindustrie doppelt benachteiligt. Das muss sich ändern.

Wir brauchen dringend eine öffentliche Forschungsförderung, die die komplette Kette der Gesundheitsversorgung abdeckt.
Patente sind ein Konzept von gestern. Die Versorgung der Betroffenen muss im Mittelpunkt der Bemühungen stehen, nicht wie bisher Verwertungsinteresse der Pharmaunternehmen. „Open Access“-Lösungen gehört die Zukunft.

Da jeder wissenschaftliche Fortschritt das Ergebnis von der Öffentlichkeit geförderten Bildung und Forschung ist, sollten ihr die Ergebnisse auch wieder kostenfrei zur Verfügung stehen. Im Bereich der Pharmaforschung würde dies Innovationen beschleunigen und Preise senken.

Wir müssen den milliardenschweren Ausgaben für Lobbyarbeit, Beeinflussung und Manipulation zum Trotz dem Menschenrecht auf Gesundheit endlich Vorrang verschaffen vor dem Streben nach immer größeren Gewinnen der Pharmaindustrie.

Mit dem vorliegenden Bundestagsantrag „Forschungsförderung zur Bekämpfung vernachlässigter Krankheiten ausbauen – Zugang zu Medikamenten für arme Regionen ermöglichen“ hat DIE LINKE weitreichende Vorschläge gemacht, wie dies gelingen kann.

Den Menschen in den Ländern des globalen Südens gegenüber ist es unsere Verpflichtung, dass wir endlich vorankommen.