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Gesprächskanäle müssen genutzt werden

Rede von Stefan Liebich,

Herr Präsident!

Sehr geehrte Damen und Herren!

Un­sere Reden klingen heute sehr ähnlich, und in einer sol­chen Debatte muss das nichts Schlechtes sein. Wenn Au­ßenminister Steinmeier und auch viele andere sagen, dass das Wichtigste ist, dass die Urheber dieses Verbre­chens gefunden und in einem transparenten und rechts­staatlichen Verfahren zur Rechenschaft gezogen werden müssen, dann benennen sie das, was jetzt notwendig ist. Trotzdem klingt hier bei vielen Rednern ein gewisser Zweifel an. Herr Jung hat das angesprochen, auch Frau Beck hat das angesprochen. Die Liste derjenigen, die ihr Leben in Russland bereits verloren haben, ist genannt worden. Man muss natürlich besorgt sein, ob die Aufklä­rung dieses Mordes gelingt. Nur dadurch wird es mög­lich sein, den jeweiligen Mutmaßungen, die es jetzt auf allen Seiten gibt, etwas entgegenzusetzen.

 Auch ich möchte, wie Herr Erler es am Beginn seiner Rede gemacht hat, darüber sprechen, wie sich das Klima in Russland entwickelt hat. Ich denke, das gehört zu die­sem Thema; denn das raue Klima in Russland in diesen Tagen ist der Nährboden, auf dem diese Gewalt entsteht. Ich möchte jemanden zitieren, der Russland und Moskau deutlich besser kennt als ich: Wladimir Kaminer hat die­ser Tage im ZDF ein Interview gegeben, das sehr deut­lich war. Sie kennen Wladimir Kaminer: in Moskau ge­boren, in Berlin Erfinder der „Russendisko“.

Er sagte: Menschen sterben. Zuerst wurde in der Ukraine scharf geschossen, und Tausende Russen und Tausende Ukrainer haben dort ihr Leben gelassen, und jetzt wird auch vor dem Kreml scharf geschossen. Die Macht der vom Staat gelenkten Medien trägt ganz sicher daran Schuld. Beinahe jede Woche, jeden Tag wird die politische Opposition diffamiert. Sie haben jede ver­nünftige Kritik an der Politik der Regierung gleich als Heimatverrat abgestempelt und haben diese Menschen als fünfte Kolonne und als amerikanische Spione ge­schmäht. Durch diese Propaganda, durch diese unsägli­che Propaganda, die alles Böse in den Menschen hervor­gerufen hat, Homophobie, Fremdenfeindlichkeit, diese Hetze gegen westliche Werte, drehen viele Menschen durch. – So hat Kaminer es beschrieben.

(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)

Ja, es ist schrecklich, dass so ein Klima in Russland entstanden ist, und das hat Konsequenzen. Lew Schlossberg, der Verleger der Zeitung Pskovskaya Guberniya, wurde am 29. August letzten Jahres kranken­hausreif geprügelt. Die drei Angreifer wurden nicht identifiziert. Elena Klimowa, die Gründerin des Online­portals Children 404, das sich um lesbische, schwule und Transgender-Jugendliche kümmert, wurde wegen „Propaganda von nichttraditionellen sexuellen Bezie­hungen“ angeklagt. Auch Folter ist ein Thema in Russ­land. Im aktuellen Jahresbericht von Amnesty Interna­tional heißt es zu Russland:

Nach wie vor wurden Menschen gefoltert und miss­handelt, ohne dass die Täter mit Bestrafung rechnen mussten.

Folter, deren Straflosigkeit, Einschränkung der Mei­nungs-, Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit, Hass­propaganda gegen Andersdenkende und Minderheiten – das gibt es nicht nur in Russland, aber das gibt es auch dort. Wir messen nicht mit zweierlei Maß. Wir kritisie­ren das, wo immer es geschieht.

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜND­NIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordne­ten der SPD)

Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren, es ist richtig, Kritik zu üben, und es ist notwendig, Kritik zu üben, aber – da möchte ich an Herrn Wellmann anknüp­fen – wir werden Nachbarn bleiben, wer immer dort oder hier gerade regiert. Wir müssen einen Weg finden, mitei­nander umzugehen, auch wenn es manchmal nicht leicht ist. Da erscheint es mir notwendig, dass Gesprächska­näle genutzt und nicht geschlossen werden. Es ist ein Fehler aus meiner Sicht, die G-8-Runde in eine G-7-Runde zu verwandeln, es ist ein Fehler aus meiner Sicht, den NATO-Russland-Rat gerade dann zu suspendieren, wenn man ihn am dringendsten braucht.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Ich finde es richtig, dass sich die Obleute im Auswärtigen Ausschuss und der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses entschieden haben, gerade jetzt die Duma und auch die Rada zu besuchen. Es ist notwendig, weiter im Gespräch zu bleiben.

Ich möchte mit einem Punkt schließen, den Herr Gehrcke und Frau Beck hier angesprochen haben. Wir können selber etwas tun. Wir sollten endlich die Visafreiheit einführen. Wir haben das in der letzten Wahlperiode diskutiert, und wir waren schon ziemlich weit. Es geht nicht um ein Lob für Wladimir Putin oder für seine Regierung. Weltanschauung entsteht dadurch, dass man sich die Welt anschauen kann. Ich denke, wir sollten diese Chance den Russinnen und Russen einräumen.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

Haben wir keine Angst vor unseren Nachbarn, öffnen wir uns!

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)