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Gesine Lötzsch: Wir brauchen eine solidarische Rentenversicherung

Rede von Gesine Lötzsch,

Vielen Dank. – Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Die Größe des Einzelplans Arbeit und Soziales täuscht; denn von den knapp 139 Milliarden Euro fließen fast 100 Milliarden Euro in die Rente; das wurde hier schon gesagt. Damit bleiben also nur 39 Milliarden Euro für Arbeitsförderung und Soziales übrig. Das ist weniger, als die Bundeswehr bekommt, und das ist doch ein klares Missverhältnis.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir alle wissen doch, dass der innere Friede nicht durch massive Aufrüstung gesichert werden kann. Inneren Frieden gibt es nur, wenn die soziale Spaltung in unserem Land überwunden wird. Ein wichtiger Schritt, um diese Spaltung aufzuheben, wäre endlich eine gerechte und soziale Rente, und zwar sehr schnell und nicht auf die lange Bank geschoben.

(Beifall bei der LINKEN)

In meine Sprechstunde kam eine Rentnerin und rechnete mir vor, dass sie nach der Rentenerhöhung 10 Euro weniger im Monat hat, weil ihr aufgrund der Rentenerhöhung das Wohngeld von 70 auf 29 Euro gekürzt wurde. Das ist sicher kein Einzelfall. Das schafft Frust und Ärger.

Wir müssen auch sehen: Das Armutsrisiko der Neurentner steigt und steigt, von derzeit 16,2 Prozent auf demnächst 20,2 Prozent. In Anbetracht dieser Entwicklung müssen doch wirklich alle Alarmglocken schrillen, und wir dürfen nicht die Jungen gegen die Alten ausspielen, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der LINKEN)

Wenn wir uns einmal anschauen, wen die Bundesregierung sanktioniert und wen nicht, dann können wir ein klares Muster erkennen: Wer schwach und schlecht organisiert ist, der muss mit Sanktionen rechnen. Wer dagegen mächtig und gut organisiert ist, muss keine Sanktionen fürchten. Sie sanktionieren die Schwachen, um in der Gesellschaft als harte Hunde und Beschützer der Steuergelder dazustehen. Aber Demütigungen – und nichts anderes sind Sanktionen für Arbeitslose – schaffen Frust und Hass, und das ist nicht gut für den Zusammenhalt unserer Gesellschaft.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Wie zahm die Bundesregierung vorgeht, haben wir doch gerade bei der Rede von Minister Heil gehört. Sie haben auf ein Unternehmen geschimpft, haben sich aber nicht einmal getraut, den Namen dieses Unternehmens öffentlich im Bundestag zu nennen. Sagen wir es laut und deutlich: Das Unternehmen heißt Deliveroo. Ich erwarte von einem Minister, dass er das auch so klar sagt.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich kann mich auch nicht erinnern, dass der ehemalige Wirtschaftsminister Gabriel jemals einem Unternehmen mit Sanktionen gedroht hat oder sie gar umgesetzt hätte. Das wäre natürlich auch schlecht für die politische Laufbahn gewesen und auch dafür, hinterher einen guten Posten wie jetzt bei Siemens oder anderen Konzernen zu ergattern.

(Beifall bei der LINKEN – Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Wenigstens nicht bei Deliveroo!)

Ich nenne dieses Vorgehen nachgelagerte Bestechung, und damit muss Schluss sein.

Oder welche Sanktionen gibt es von Frau von der Leyen gegen Rüstungsunternehmen, die Schrott liefern? Ich sage nur A400M und Eurofighter. Wer der Bundeswehr Schrott verkauft, wird mit neuen Aufträgen versorgt. Das darf nicht so weitergehen, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir als Linke wollen eine solidarische sanktionsfreie Mindestsicherung, und der erste Schritt muss sein, endlich mit diesen schändlichen Sanktionen Schluss zu machen.

(Beifall bei der LINKEN)

Es ist richtig, Herr Minister Heil, Vollbeschäftigung anzustreben. Allerdings müssen wir auch der Öffentlichkeit die Frage beantworten, zu welchen Bedingungen die Menschen arbeiten sollen. Wie ist denn jetzt die Realität? Armut trotz Arbeit ist keine Einzelerscheinung. Der Arbeitsmarktforscher Gerhard Bosch von der Universität Duisburg-Essen kritisiert, dass gegen den gesetzlichen Mindestlohn besonders oft in prekären Verhältnissen verstoßen wird. Etwa 1,8 Millionen Anspruchsberechtigte erhalten weniger als 8,50 Euro in der Stunde. Das ist doch eine Schande für unser Land.

(Beifall bei der LINKEN – Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Der Mindestlohn liegt bei 8,84 Euro, gnädige Frau!)

– Ja, aber er wird nicht allen gezahlt. Das habe ich ja gerade vorgetragen. Zuhören, gnädiger Herr!

(Zurufe von der CDU/CSU)

– Wenn er mich mit „gnädige Frau“ anspricht, kann ich genauso antworten.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Bei Minijobbern ist der Anteil der Betroffenen, die um ihren Lohn betrogen werden, besonders hoch. Er liegt bei 43,4 Prozent. Herr Heil, Sie müssen etwas dafür tun, dass die Menschen von ihrer Arbeit leben können. Sie müssen die Kontrolle verstärken und Arbeitgeber, die betrügen, sanktionieren. Das wären die richtigen Maßnahmen.

(Beifall bei der LINKEN)

Einen öffentlichen Beschäftigungssektor zu schaffen, wie es jetzt geplant ist, ist gut. Das ist eine alte Forderung der Linken. Wir müssen dafür allerdings auch genügend Geld einstellen. Wenn der Bundesagentur für Arbeit jetzt schon 1 Milliarde Euro an Personalmitteln fehlen und sie sich diese Mittel an anderer Stelle nimmt, dann fehlt das Geld bei den Arbeitslosen.

Wir brauchen einen öffentlichen Beschäftigungssektor. Wir müssen ihn schaffen, und wir müssen ihn gut organisieren. Dafür müssen wir genügend Geld in den Haushalt einstellen. Sonst sind das alles leere Worte.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)