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Gesine Lötzsch: Kapitalismus mit menschlichen Antlitz?

Rede von Gesine Lötzsch,

Vielen Dank. – Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir sind alle im Digitalisierungsfieber, auch die Bundesregierung. Im Internet findet man in Bruchteilen von Sekunden über 13 Millionen Verweise zu „Digitalisierung“. Sucht man allerdings nach „Humanisierung der Arbeit“, findet man nur einen Bruchteil dieser Verweise. Dabei ist das Thema „Humanisierung der Arbeit“ wichtiger als je zuvor.

(Beifall bei der LINKEN – Kai Whittaker [CDU/CSU]: Arbeit ist ja unmenschlich, oder was?)

Wer mit offenen Augen durch Berlin geht, begegnet immer wieder Mitarbeitern von DHL, die im Laufschritt von Hauseingang zu Hauseingang eilen, um ihre Postsendungen an Mann und Frau zu bringen. Sie stehen unter einem enormen Zeitdruck. Ihr Arbeitspensum ist so hoch, dass sie ihre Arbeit gar nicht schaffen können. Das ist frustrierend und macht krank, und das darf nicht sein, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der LINKEN)

„In einigen Regionen Deutschlands kam es teilweise zu wochenlangen Zustellausfällen“, heißt es im Jahresbericht 2017 der Bundesnetzagentur. Früher gehörten Postboten fast zur Familie. Sie brachten Telegramme und am Ersten des Monats die Rente bis an die Wohnungstür.

(Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Im Osten war das!)

Zu Weihnachten bekamen sie dafür kleine Geschenke. 1995 wurde die Deutsche Bundespost privatisiert. Das ist schlecht für die Postboten, schlecht für die Kunden, aber gut für die Aktionäre wie zum Beispiel den Großaktionär BlackRock, eine Superheuschrecke. Deren Aufsichtsratsvorsitzender in Deutschland ist Friedrich Merz, ehemals Vorsitzender der Unionsfraktion im Bundestag. Manche vermissen Friedrich Merz ja im Bundestag.

(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Ach nö!)

Auch ich stelle mir die Frage, ob er hier nicht weniger Unheil anrichten könnte, als im Auftrag einer Heuschrecke Gewinne zu sichern, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der LINKEN – Kai Whittaker [CDU/CSU]: Das ist schon etwas diffamierend, Frau Kollegin!)

Wer eine Festanstellung bei der Deutschen Post bekommen will, darf nicht länger als zehn Tage im Jahr krank sein. Ungesetzlich sei das nicht, was das Unternehmen macht, aber moralisch höchst verwerflich, so DGB-Chef Reiner Hoffmann. Recht hat der Mann!

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Hier, finde ich, muss die Bundesregierung eingreifen. Sie ist über die Kreditanstalt für Wiederaufbau, die KfW, mit über 20 Prozent der größte Aktionär der Deutschen Post. Und was tun Sie, Herr Minister Heil, um das moralisch verwerfliche Verhalten der Deutschen Post zu ändern? Was tun Sie, um Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Zeiten der Digitalisierung nicht unter die Räder kommen zu lassen? Das müssen Sie doch aktiv bekämpfen, Herr Heil.

(Beifall bei der LINKEN – Reinhard Houben [FDP]: Privatisieren! Verkaufen! – Michael Theurer [FDP]: Porto erhöhen!)

Die SPD fordert uns häufig auf, wir sollten ihr nicht weiter die Hartz-Gesetze vorwerfen, sie hätte doch schon fast alles bereut.

(Kerstin Tack [SPD]: Also bitte!)

Nur, das Problem ist, meine Damen und Herren: Diese Reue kommt bei den Betroffenen nicht an; denn die Gesetze wirken weiter. Im vergangenen Jahr ist 34 000 Hartz-IV-Empfängern die Leistung vollständig gestrichen worden.

(Michael Theurer [FDP]: Das kann gar nicht sein!)

Das heißt also: Kein Geld für Lebensmittel und kein Geld für das Dach über dem Kopf. Das ist unmenschlich, meine Damen und Herren,

(Pascal Kober [FDP]: Sachleistungen!)

und widerspricht aus meiner Sicht dem Grundgesetz: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ein Sprecher der SPD hat nun gesagt, dass niemand aufgrund einer Sanktion wohnungslos werden dürfe; aber die Union lehne die Änderungen ab, und man könne sich da leider nicht durchsetzen. Ich frage Sie: Was wollen Sie sich eigentlich noch alles bieten lassen von der Union?

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Sven Lehmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Ich weiß, dass es hier vielen auf die Nerven geht, wenn wir als Linke immer wieder die Sanktionen anprangern. Aber ich verspreche Ihnen im Namen meiner Fraktion: Wir bleiben so lange an dem Thema dran, bis die Sanktionen endgültig abgeschafft sind.

(Beifall bei der LINKEN – Kai Whittaker [CDU/CSU]: Wir haben es befürchtet!)

Wir werden auch so lange gleichen Lohn für gleiche Arbeit fordern – der ja von der ehemaligen Arbeitsministerin und jetzigen Fraktionsvorsitzenden der SPD, Andrea Nahles, versprochen wurde –, bis kein einziger Leiharbeiter schlechter bezahlt wird als seine Kollegen.

(Beifall bei der LINKEN)

Und wir werden auch so lange eine Erhöhung des gesetzlichen Mindestlohnes fordern, bis der Mindestlohn so hoch ist, dass die Menschen davon anständig leben können und auch im Alter eine ausreichende Rente haben und nicht in Papierkörben nach Flaschen suchen müssen.

(Beifall bei der LINKEN)

Meine Damen und Herren, wir als Linke sagen, wir wollen in einem sozialen Land leben. Was wir im Augenblick erleben, ist eine tiefe Spaltung der Gesellschaft. Das können wir nicht länger hinnehmen. Wir werden das immer bekämpfen. Darauf können Sie sich verlassen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)