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Gegen Zwangsverrentung

Rede von Oskar Lafontaine,

Oskar Lafontaine zur Verlängerung des Arbeitslosengeldes I

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren!

Ich möchte mich heute für meine Fraktion mit zwei Themen beschäftigen: einmal mit dem Thema der Zwangsverrentung und zum anderen mit dem Thema der Verlängerung des Arbeitslosengeldes.

Ich komme zunächst zum Thema der Zwangsverrentung. Wir werden diesen Gesetzentwurf insgesamt ablehnen, weil wir mit den gegenwärtigen Regelungen der Zwangsverrentung nicht einverstanden sind.

(Beifall bei der LINKEN - Andrea Nahles (SPD): Es gibt keine gegenwärtigen Regelungen der Zwangsverrentung!)

Zur Begründung unserer Ablehnung möchten wir hier die Stellungnahme des IAB vortragen. Diese Äußerung stellt im Grunde genommen eine saubere Begründung auch unseres Gesetzentwurfes dar. Die Wissenschaftler des IAB haben in der Sachverständigenanhörung Folgendes ausgeführt:
Allerdings kommt nach dem Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und SPD eine Zwangsverrentung weiterhin ab der Vollendung des 63. Lebensjahrs in Frage. Daher greift der Entwurf zu kurz. Eine Zwangsverrentung vor dem Eintrittsalter für die abschlagsfreie Altersrente sollte vielmehr generell vermieden werden, wie es bspw. im Entwurf des Rentenabschlagsverhinderungsgesetzes der Fraktion der Linken auch vorgesehen ist.

(Beifall bei der LINKEN)

Etwas später kommt die für uns entscheidende Aussage:
Die Begrenzung des Schutzes vor Zwangsverrentung auf die Zeitspanne bis zur Vollendung des 63. Lebensjahres trägt auch dem Ziel einer Verringerung des Risikos der Altersarmut nur unzureichend Rechnung.

Wir haben immer wieder dargestellt, dass die ganze Rentenpolitik der letzten Jahre Altersarmut programmiert. Auch die jetzige Regelung ist - nach der Stellungnahme der Wissenschaftler des IAB - ein Schritt hin zu mehr Altersarmut. Man kann das nicht leugnen. Das lässt sich auch aus den Zahlen eindeutig ableiten.
Ich zitiere weiter aus dieser Stellungnahme:
Für die große Mehrheit der von Rentenabschlägen potentiell Betroffenen ergeben sich jedoch keinerlei Verbesserungen gegenüber einer uneingeschränkten Zwangsverrentung, da für die meisten Hilfebedürftigen in längerer Perspektive nur die vorgezogene Altersrente für langjährig Versicherte in Frage kommt, die ohnehin erst ab dem vollendeten 63. Lebensjahr bezogen werden kann. Diese Gruppe muss demnach Rentenabschläge von zunächst maximal 7,2 % und nach der Anhebung der abschlagsfreien Regelaltersgrenze auf 67 Jahre Abschläge von bis zu 14,4 % hinnehmen.
Das ist das Entscheidende. Angesichts dessen, dass in der Rentenformel ohnehin Armutsrenten programmiert sind - Sie wissen das -, sind solche Abschläge unter gar keinem Gesichtspunkt zu verantworten.

(Beifall bei der LINKEN)

Rechnen Sie 7,2 Prozent oder 14,2 Prozent bezogen auf 600 Euro, 400 Euro oder meinetwegen auch 700 Euro, und dann wissen Sie, worüber wir hier reden.

(Wolfgang Meckelburg (CDU/CSU): Sie reden inzwischen über das Jahr 2029!)

Wir haben ja dargestellt, wie sich die Rente in den letzten Jahren entwickelt hat. Wir können Ihnen nicht oft genug sagen - es kann ja sein, dass Sie in gutem Glauben die Rentenformel umgebaut haben -: Sie haben in großem Umfang Altersarmut programmiert, und Sie wollen diesen Weg fortsetzen. Dies können wir in keinem Fall akzeptieren.

(Beifall bei der LINKEN)

Nun komme ich zur Verlängerung der Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes. Natürlich begrüßen wir die Verlängerung der Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes. Wir haben das ja immer wieder gefordert. Wir werden diesem Teil zustimmen. Deswegen haben wir um getrennte Abstimmung gebeten. Insofern bedanken wir uns dafür, dass dies möglich ist.

Aber wir weisen zugleich darauf hin, dass das Arbeitslosengeld lange Zeit, auch unter der Regierung von CDU/CSU und FDP, sehr viel länger gezahlt worden ist. Vor diesem Hintergrund klingt es zumindest etwas merkwürdig, wenn man jetzt die bescheidene Veränderung als großen Erfolg feiert. Früher war es so,

(Irmingard Schewe-Gerigk (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Früher war auch die Zukunft besser!)

dass die älteren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sehr viel länger einen Anspruch auf Arbeitslosengeld hatten. Ich wollte das nur noch einmal feststellen.

(Beifall bei der LINKEN)

Die entscheidende Frage - das wird bei dieser Diskussion ja wieder ganz deutlich - ist, durch welche Brille man das Thema Arbeitslosengeld betrachtet.
Wenn man es aus der Sicht der Unternehmen betrachtet, dann kommt man zu all den Schlussfolgerungen, die Sie hier vorgetragen haben. Diese sind dann im Grunde genommen auch nachvollziehbar. Für die Unternehmen läuft all das, was mit Arbeitslosengeld usw. verbunden ist, unter der Rubrik Lohnnebenkosten; es handelt sich also um Kosten.

(Dr. Ralf Brauksiepe (CDU/CSU): Ist Ihnen eigentlich aufgefallen, dass wir im Vergleich zur FDP unterschiedlicher Meinung sind?)

Wenn man die Kostenbrille aufhat, dann kommt man zu dieser Schlussfolgerung.
Wenn man aber einmal die Frage stellt, was eigentlich der Sinn der Arbeitslosenversicherung ist, und zu dem Ergebnis kommt, dass der Sinn der Arbeitslosenversicherung ist, das Leben derjenigen, die arbeitslos werden, zu erleichtern und zu verbessern, dann kommt man zu ganz anderen Schlussfolgerungen als zu denjenigen, die Sie hier immer wieder vortragen.

(Beifall bei der LINKEN - Dirk Niebel (FDP): Dann muss man konsequenterweise vom Schulanfang bis zum Renteneintritt zahlen!)

Dann kann man zum Beispiel zynisch sagen - das klingt ja hier durch, insbesondere natürlich bei der FDP; aber da wundert es uns auch nicht mehr -: Verkürzt doch für die älteren Arbeitslosen möglichst die Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes. Dann werden sie aktiver und werden sich um einen Arbeitsplatz bemühen. Auf diese Weise senken wir die Arbeitslosigkeit. - Sie mögen das so sehen. Für uns ist das blanker Zynismus.

(Beifall bei der LINKEN - Dirk Niebel (FDP): Das ist wissenschaftlich belegt!)

Im Übrigen will ich zur Statistik aus Zeitgründen nicht viel sagen. Wenn Sie das näher betrachten, dann sehen Sie auch, dass die Interpretationen nicht stimmen. Ich verweise auf Ausführungen eines Mitglieds des Sachverständigenrats. Aus Zeitgründen kann ich das hier nicht vorstellen.

Wir sagen nun einmal in aller Klarheit: Die Arbeitslosenkasse enthält das Geld der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer - das ist der entscheidende Ansatzpunkt - und nicht das Geld der Unternehmen. Das ist der Unterschied. Darüber muss man sich Klarheit verschaffen.

(Beifall bei der LINKEN - Zuruf von der CDU/CSU: Das haben wir jahrzehntelang anders gehört!)

Nun haben Sie entschieden. Sie haben entschieden, in diesem Jahr in die Kasse der Arbeitslosen zu greifen und 25 Milliarden Euro herauszunehmen, und kommen dadurch zu einem viel geringeren Arbeitslosengeld. Während nun um die Aufwendungen für die Verlängerung der Bezugsdauer ein riesiges Theater gemacht und die Frage gestellt worden ist, ob das überhaupt zu finanzieren wäre - in Ihrem Gesetzentwurf steht: Mehraufwendungen in 2008 - 755 Millionen Euro, in 2009 1,1 Milliarden Euro und dann wieder 800 Millionen Euro usw.; manche hielten das ja für unverantwortlich und wollten in keinem Fall mehr bezahlen -, haben Sie nicht die geringsten Skrupel, 25 Milliarden Euro aus der Kasse zu nehmen und die Hälfte davon, also 12,5 Milliarden Euro, den Unternehmen zu geben. Es ist einfach unglaublich, was Sie für eine Philosophie an den Tag legen.

(Beifall bei der LINKEN)

Deswegen habe ich Ihnen immer wieder gesagt, die Freiburger Schule - ich führe hier nur eine renommierte Ökonomenschule aus Deutschland an - bietet Ihnen eine Auflösung für die Summe Ihrer Fehlschlüsse an. Dieses Geld ist nicht Geld der Arbeitgeber. Es geht nur um Lohn. Nur dann, wenn man endlich begreift, dass die permanente Forderung nach Senkung der Lohnnebenkosten schlicht und einfach eine Forderung nach Senkung der Löhne ist, hat man wirklich einen Zugang zu dem, worum es hier eigentlich geht.

(Beifall bei der LINKEN - Widerspruch von der FDP)

Ich weiß, Ihr Denken ist da seit vielen Jahren völlig fehlgeleitet. Aber schauen Sie es sich noch einmal an.

(Heiterkeit bei der FDP - Dirk Niebel (FDP): Sie geben der Irrationalität ein Gesicht!)

Die Ökonomen der Freiburger Schule, Herr Niebel, haben etwas mehr drauf als Sie. Das möchte ich einmal ganz leise anmerken.

Wenn man diesen Ansatzpunkt hat, dann wird man folgende Berechnung anstellen: Man legt die 25 Milliarden Euro, die Sie aus der Arbeitslosenkasse nehmen, auf 2,5 Millionen - aus Gründen der Einfachheit - arbeitslose Arbeitnehmer um und kommt auf 10 000 Euro pro Kopf. Ist Ihnen eigentlich klar, was Sie da machen, welche Chancen für Arbeitslose Sie verspielen, wenn Sie so verfahren? Und dann geben Sie das Geld, das den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern gehört, auch noch zur Hälfte den Unternehmen. Diesen Zusammenhang wollen Sie einfach nicht sehen; das begreifen Sie nicht.

(Beifall bei der LINKEN)

Solange Sie nur die Kostenbrille tragen, kommen Sie immer zu völlig falschen Vorstellungen: Obwohl letztendlich die Unternehmen nicht nur um 8 Milliarden Euro, sondern zusätzlich um 12,5 Milliarden Euro, also insgesamt um mehr als 20 Milliarden Euro entlastet worden sind, zanken sie sich darum, ob es möglich ist, den Arbeitnehmern 700 oder 800 Millionen Euro pro Jahr zugutekommen zu lassen. Das sind die Zahlen, die im Raum stehen. Es ist also zu fragen, ob der Ansatzpunkt Ihrer Politik überhaupt richtig ist.
Wir können Ihnen nur empfehlen, Ihre Betrachtungsweise aufzugeben. Die Fraktion Die Linke sagt: Man kann Arbeitnehmer, die jahrzehntelang in die Arbeitslosenversicherung einbezahlt haben, nicht so mit Almosen abspeisen, wie Sie das jetzt tun wollen.

(Beifall bei der LINKEN Wolfgang Meckelburg (CDU/CSU): Sie wollen sie auf Almosenniveau halten!)

Bisher haben Sie keine einzige vernünftige Begründung dafür vorgetragen, warum es zu Zeiten der Regierung Kohl möglich war, viel länger Arbeitslosengeld zu zahlen, und es jetzt angesichts der Summen, die ich Ihnen genannt habe, nicht möglich sein soll, ein ähnlich lange Arbeitslosengeld zu zahlen. Wenn Sie natürlich die Brille der Unternehmen auf haben

(Dirk Niebel (FDP): Weil die aus Steuermitteln bezahlt werden sollten!)

- Bei Ihnen verwundert das nicht, Herr Niebel.

(Dirk Niebel (FDP): Ich habe noch nicht einmal eine Brille!)

Letztendlich ist die FDP doch eine Vertretungsgruppe der größeren Unternehmen.

(Lachen bei der FDP - Ernst Burgbacher (FDP): Das ist doch nur lächerlich, was Sie von sich geben!)

Es ist ja in Ordnung, wenn Sie deren Interessen hier vertreten. Die große Mehrheit der Bevölkerung besteht aber aus Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern und es geht um deren Geld, über das hier so nonchalant entschieden worden ist. Dabei ist folgendes Ergebnis herausgekommen: Brosamen für die Arbeitnehmer, und der Löwenanteil fließt an die Unternehmen. Das ist Umverteilung von unten nach oben. Deshalb ist das kein Gesetz, das man loben kann. Im Grunde genommen handelt es sich nämlich um ein Umverteilungsgesetz; um nichts anderes!

(Beifall bei der LINKEN - Dirk Niebel (FDP): Die Rede war der Beleg dafür, dass der Fachkräftemangel das Parlament erreicht hat! - Widerspruch bei der LINKEN)