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Gegen populistische Schnellschüsse: Crystal-Meth-Verbreitung muss erforscht werden

Rede von Frank Tempel,

Sehr geehrter Herr Präsident,

Sehr geehrte Damen und Herren,

zum vorliegenden Antrag der SPD wurde in der entsprechenden Anhörung im Gesundheitsausschuss am 17. April eigentlich alles Notwendige gesagt. Die ausführliche Dokumentation der Anhörung mit zahlreichen Stellungnahmen befindet sich auf der Homepage des Gesundheitsausschusses.

Der Antrag selbst beschäftigt sich mit dem Konsum psychoaktiver Substanzen und behauptet dabei, dass der Konsum synthetischer Drogen „ein immer größer werdendes Problem darstelle und sowohl die Zahl der neu auf den Markt kommenden synthetischen Drogen als auch die Zahl der davon abhängigen Konsumenten steige. […] Eine besonders gefährliche synthetische Droge sei ‚Crystal‘, ein kristallines Methamphetamin, das ein extrem hohes Suchtpotential habe.“ Der Antrag fordert unter anderem die Verbreitung durch „konzentrierte Maßnahmen“ europaweit stärker zu bekämpfen.

Der Antrag zeugt von einer beeindruckenden Inkompetenz der Initiatorinnen und Initiatoren: Unkritisch und fachlich falsch werden die verschiedensten Substanzen durcheinander gewürfelt. Darauf werde ich später noch einmal eingehen. Allein der Begriff „kristalline Methamphetamine" im Titel ist kurios, denn erstens gibt es nur ein Methamphetamin und zweitens ist das immer kristallin.

Die Forderungen nach einer europaweiten Koordinierung der Drogenpolitik sowie die Verstärkung der Forschung in diesem Bereich scheinen mir innerhalb dieses Forderungskataloges der SPD die vordergründig wichtigsten zu sein. Beim Thema Europa sollte es aber vielmehr darum gehen, die Ansätze der Drogenregulierung durch Drogenlegalisierung, wie sie in Portugal, der Schweiz, den Niederlanden, in Tschechien und in Belgien geschehen ist, europaweit zu koordinieren. Es gilt aus den sehr positiven Erfahrungen der genannten Länder zu lernen und diese Ansätze in die dringend benötigte Evaluation der deutschen Drogenpolitik mit einzubinden.

In der Gesamtheit entspringen die geforderten Maßnahmen aber einem alten Denken, das die SPD in Sachen Drogenpolitik leider mit der schwarz-gelben Koalition gemein hat. Die Überwachung und Verfolgung von Produktion, Transit und Handel funktioniert seit fast 100 Jahren trotz riesiger öffentlicher Ausgaben nicht, trotzdem fordert die SPD ihre Verschärfung.

Auch gegen Präventionsarbeit in Schulen ist nicht per se etwas zu sagen. Wenn allerdings im Geiste des Antrags ein Drogenfahnder den Kindern erzählt, dass Drogen böse sind und nur ein abstinenter Mensch ein guter Mensch ist, fällt der Erfolg entsprechend dürftig aus. Eine gute Präventionsarbeit ist nicht paternalistisch, sondern befähigt die Menschen, eine selbstbestimmte Entscheidung zu treffen. Letztlich muss es um individuelle und um gesellschaftliche Konsumkompetenz sowie um ein umfassendes Verständnis von Gesundheitsförderung im Public-Health-Sinne gehen. Nichts davon findet sich in dem SPD-Antrag.

Das Schreckensgespenst, das die SPD mit dem vorliegenden Antrag aufmacht, wird der Droge Crystal in keiner Weise gerecht. Es ist richtig, dass wir regional an der Grenze zu Tschechien einen höheren Crystal-Konsum nachweisen können als im restlichen Bundesgebiet. In Tschechien ist Crystal seit Jahrzehnten eine der am weitesten verbreitenden illegalen Drogen. Die SPD spielt aber mit Zahltricks. So schreibt sie in ihrem Antrag von einem Anstieg der Anzahl der Erstkonsumierenden um 163,7 Prozent. Dass es sich dabei um insgesamt 642 Personen handelt, wird nicht erwähnt. Auch die weitere Aufzählung reiner Prozentzahlen, ohne die absoluten Zahlen zu benennen, soll wohl ganz bewusst ein äußerst verzerrtes Bild der eigentlichen Realität darstellen. Das Problem ist bei diesem Vorgehen, dass es sich bei dem von mir beispielhaft genannten Anstieg von 163,7 Prozent beziehungsweise den 642 auffälligen Erstkonsumentinnen und -konsumenten vielmehr um ein Aufhellen des Dunkelfeldes durch mehr polizeiliche Kontrollen und den damit verbundenen Erfahrungsgewinn in der Arbeit der Strafermittlungsbehörden handelt. Über die konkrete Verbreitung in Deutschland gibt es jedoch keine sicheren Zahlen.  Hinweise über die Verbreitung ergeben sich bisher höchstes aus den Sicherstellungsmengen des Zolls, aus der sich nur eine sehr unzuverlässige Abschätzung des Konsums ableiten lässt, und der Zahl der Hilfesuchenden sowie nichtrepräsentative Umfragen.

Richtig ist, dass die Anzahl der Patientinnen und Patienten mit einem Crystal-Hintergrund seit 2009 in sächsischen Suchtberatungsstellen zugenommen hat. Laut „Bericht der ambulanten Suchtkrankenhilfe in Sachsen 2011“ stieg der Anteil seit 2009 um 24 Prozent im Jahr 2010 beziehungsweise um 29 Prozent im Vergleich zu 2011. Das heißt in absoluten Zahlen, von 2009 an hat sich die Anzahl der Hilfesuchenden von 1500 Klientinnen und Klienten auf circa 1800 im Jahr 2010 und dann nochmals auf 2400 Klientinnen und Klienten im Jahr 2011 erhöht. Auch dieser Anstieg könnte damit erklärt werden, dass immer mehr Menschen aufgrund der zunehmenden Berichterstattung die Hilfsangebote wahrnehmen. Aber auch das lässt sich nur vermuten. Daher ist es richtig, dass die Bundesdrogenbeauftragte der Bundesregierung einen Forschungsauftragt zur genaueren Analyse der Crystal-Problematik nun in Auftrag gibt.  Gerade weil ich die Bundesdrogenbeauftragte in den letzten vier Jahren ihrer Amtszeit noch nie loben konnte, möchte  ich diese Entscheidung nun positiv erwähnen. Was wir benötigen, sind konkrete Daten als Grundlage konkreter Handlungen und keine populistischen Schnellschüsse wie der vorliegende Antrag der SPD.

Denn wie bereits zu Beginn benannt, enthält der Antrag weitere schwere inhaltliche Fehler. So wird das Aufkommen von „Legal High“-Produkten (synthetische Cannabinoide) mit dem völlig anders gelagerten Bereich des Crystals vermischt. Beide Konsummuster haben nichts miteinander zu tun. Hier lässt sich eine oberflächliche Beschäftigung mit dem Thema vermuten.

Der Einzelsachverständige Dr. Werse vom Institut für Sozialpädagogik und Erwachsenbildung an der Goethe Universität Frankfurt am Main schrieb deshalb dazu auch in seiner Stellungnahme als Einzelsachverständiger in der benannten Anhörung am 17. April (vgl.  Drucksache 17(14)0398(11), Deutscher Bundestag):

„Zu Ihrem Antrag möchte ich noch Folgendes hinzufügen:

- es ist mir vollkommen unverständlich, weshalb Sie das ‚Legal Highs‘-Phänomen und das Crystal Meth-Phänomen in einen Topf werfen. Bei erstem handelt es sich um neue und noch nicht illegalisierte Substanzen mit weitgehend unbekannten Risiken, die v.a. über halblegale Wege im Internet gehandelt werden. Demgegenüber ist Methamphetamin seit langem bekannt, wird seit langem illegal gehandelt (& unter unkontrollierten Bedingungen hergestellt) und auch die Risiken sind weitgehend bekannt. Auch die Konsumentengruppen dürften sich allenfalls teilweise überschneiden bzw. gerade die im Fokus stehenden Problemkonsumenten von Meth benötigen sehr spezifische konkrete Hilfsangebote, die in keinem Zusammenhang mit den Legal Highs stehen. Wie unten in meiner gestrigen Mail angesprochen, bieten demnach auch unsere Ergebnisse der Online-Befragung zu Legal Highs keinerlei Grundlage für Meth-Präventionsmaßnahmen. In Ihrem Antrag vermengen Sie konsequent diese beiden unterschiedlichen Phänomene miteinander, was einen ausgeprochen merkwürdigen Eindruck erweckt.“

Sehr geehrte Damen und Herren,

ich kann mich den Ausführungen von Herrn Dr. Werse nur anschließen. Die Bundestagsfraktion DIE LINKE lehnt diesen Antrag der SPD daher entschieden ab.