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Für solidarische Außenwirtschaftsbeziehungen statt hegemonialer Freihandelspolitik

Rede von Heike Hänsel,

Rede von Heike Hänsel, entwicklungspolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE., zum Antrag ihrer Fraktion „Für solidarische und entwicklungspolitisch kohärente Wirtschaftspartnerschaftsabkommen“ (Drucksache 16/3193)

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,

„Wir müssen uns einsetzen für faire Bedingungen im Welthandel.“ Das sagte die Bundeskanzlerin in ihrer wöchentlichen Videobotschaft am 7. Oktober, in der sie die Schwerpunkte der deutschen EU-Ratspräsidentschaft beschreibt. Das klingt zwar gut. Gemeint ist jedoch nicht etwa, faire Entwicklungs- und Handelsbedingungen für die Partnerinnen und Partner im Süden zu schaffen, im Gegenteil: Bundesregierung und EU-Kommission geht es darum, EU-ansässigen Unternehmen den Weg in die Märkte der Schwellen- und Entwicklungsländer zu ebnen und dabei alle Regulierungen - in der EU und in den Ländern des Südens - zu beseitigen, die im globalen Wettbewerb dabei hinderlich sein könnten, schwächere Konkurrenten aus dem Weg zu räumen.

Trotz aller Beschwörungen der Entwicklungsministerin, die wir auch gestern wieder im Ausschuss gehört haben, teile ich die Kritik vieler Nichtregierungsorganisationen: Auch in den Verhandlungen zu den EPAs, den Wirtschaftspartnerschaftsabkommen zwischen der EU und den AKP-Staaten, geht es in erster Linie um aggressive Marktöffnung für EU-Konzerne.

Frau Wieczorek-Zeul bezeichnete gestern im Ausschuss für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung die EPAs als Alternative zur Doha-Runde der Welthandelsorganisation (WTO) - in dem Sinne, dass dort die Verknüpfung von Entwicklung und Handel vorbildhaft gelänge. Eines ist daran wahr: Die Energie, mit der die EU-Kommission an den EPAs verhandelt, hängt tatsächlich mit der Blockadesituation in der WTO zusammen. Dabei geht es der EU-Kommission aber weniger um Entwicklung, sondern vor allem um die Durchsetzung von Handelsliberalisierungen. Es ist schließlich nicht umsonst der Handels- und nicht der Entwicklungskommissar der EU, der die Verhandlungen mit den AKP-Staaten führt: Noch weit über die Agenda von Doha hinaus strebt die EU-Kommission Freihandelsabkommen mit den Regionalgruppen der AKP an. Sie will eine sehr weitgehende und überwiegend reziproke Handelsliberalisierung durchsetzen - obwohl das Abkommen von Cotonou noch von „Differentiation“ spricht, also von der Berücksichtigung des Entwicklungsgefälles zwischen den Vertragspartnern. Zusätzlich fordert die EU, die Bereiche Wettbewerbspolitik, Investitionen und öffentliches Beschaffungswesen, die die Länder des Südens erfolgreich aus den WTO-Verhandlungen heraushalten konnten, mit in die Verhandlungen um die EPA einzubeziehen. DIE LINKE. fordert deshalb, dass der EU-Kommission das Verhandlungsmandat entzogen und dass ein neues Mandat für solidarische und entwicklungspolitisch kohärente Verhandlungen formuliert wird.

Sollte der Bundestag uns folgen, wäre er in guter Gesellschaft: Der EU-Ausschuss der französischen Nationalversammlung - übrigens über alle Parteigrenzen hinweg - und etliche Abgeordnete des britischen Parlaments stellen diese Forderung ebenfalls auf. Und auch wenn Frau Wieczorek-Zeul noch so oft betont, dass die AKP-Regierungen den Abschluss von EPAs anstreben und das gültige Verhandlungsmandat der EU-Kommission nicht in Frage stellen, haben die AKP-Regierungen doch ihre Kritik an der Verhandlungsführung der EU-Kommission mehrfach überdeutlich geäußert, zum Beispiel auf der Handelsministerkonferenz der Afrikanischen Union im April dieses Jahres. Dort wurde ganz klar kritisiert, die EU berücksichtige Entwicklungsbelange in den Verhandlungen nicht ausreichend.

In den EPA-Verhandlungen stehen sich ungleiche Partner gegenüber. Auf der einen Seite die EU-Kommission, die einen der mächtigsten Wirtschaftsblöcke vertritt, auf der anderen die AKP-Staaten, von denen viele zu den am wenigsten entwickelten Staaten der Welt gehören. Zur Kritik an der Verhandlungsführung der EU gehört ja gerade, dass sie diese Asymmetrie und die hohe Abhängigkeit der AKP-Staaten voll ausspielt und die AKP-Staaten entsprechend unter Druck setzt. 2007 läuft die Verlängerung des Präferenzsystems von Lomé aus, und die AKP-Staaten haben viel zu verlieren: Sie führen 40 Prozent ihrer Exporte in die EU aus, während das umgekehrt nur für drei Prozent gilt. Auch die Auszahlungen aus dem Europäischen Entwicklungsfonds sind letztlich an die Unterzeichnung der EPAs geknüpft. Frau Wieczorek-Zeuls Hinweis ist deshalb zynisch. Die AKP-Staaten haben keine Wahl. Deshalb ist es genau richtig, wenn die Initiative für eine Neuformulierung des Verhandlungsmandats der EU-Kommission von Europa ausgeht.

In den Dokumenten der Europäischen Union und in unserem Ausschuss ist ständig die Rede von Politikkohärenz. Der Europäische Entwicklungskonsens fordert, dass die Ziele der Entwicklungszusammenarbeit auf allen Politikfeldern der EU Berücksichtigung finden müssen. Die Praxis sieht völlig anders aus. In den EPA-Verhandlungen ist von Kohärenz nichts zu sehen. Sollte sich die EU-Kommission mit ihrer aktuellen Verhandlungslinie durchsetzen, würden Entwicklungsziele massiv unterlaufen. Als Folge der EPA wären die Produzenten in den AKP-Staaten einem ungleichen Wettbewerb mit den effizienteren und überdies oft subventionierten Produzenten der EU ausgesetzt, in dessen Ergebnis sie von ihren lokalen und nationalen Märkten verdrängt würden. Der EU-Ausschuss der Assemblée Nationale spricht von einem vierfachen Schock, der auf die AKP-Staaten zukäme: für die Landwirtschaft, für im Aufbau befindlichen Industrien, für die Haushalte (aufgrund sinkender Zolleinnahmen) und für die Handelsbilanzen. Aminata Traoré, ehemalige Kultusministerin Malis, bezeichnete die Freihandelsabkommen gar als die „Massenvernichtungswaffen“ Europas.

DIE LINKE. setzt sich für eine andere EU-Außenhandelspolitik gegenüber den Ländern des Südens ein, die dem UN-Menschenrecht auf Entwicklung, dem Schutz heimischer und regionaler Märkte und den international festgelegten Zielen der Armutsbekämpfung verpflichtet ist. In deren Mittelpunkt darf nicht der Wettbewerb, sondern muss der solidarische Austausch mit den wirtschaftlich schwächeren Partnern stehen. Ich unterstreiche deshalb unsere Forderung, die wir heute hier im Bundestag und zugleich gemeinsam mit vielen Abgeordneten in anderen EU-Ländern stellen, dass der EU-Kommission das Mandat zu den EPA-Verhandlungen entzogen und dass ein neues, entwicklungspolitisch kohärentes Mandat formuliert wird. Sowohl in der Europäischen Union, als auch in ihren Partnerstaaten dürfen soziale und ökologische Standards nicht der Wettbewerbsfähigkeit geopfert werden. Es darf kein Druck auf die Verhandlungspartner ausgeübt werden, ihre Binnen- bzw. regionalen Wirtschaftsräume durch Liberalisierung zu gefährden. In volkswirtschaftlich, ökologisch, sozial oder kulturell sensiblen Bereichen dürfen keine Liberalisierungen verlangt werden. Alle Verhandlungen müssen künftig offen und öffentlich geführt werden. Sie müssen von einer regelmäßigen sozialen, ökologischen und kulturellen Folgenabschätzung auf der Grundlage von gemeinsam mit zivilgesellschaftlichen Gruppen erarbeiteten Maßstäben begleitet werden. Dies wäre ein wesentlicher Beitrag zur Umsetzung der UN-Millenniumsziele!